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Literaturforum: Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart


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 Thema: Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart
Jasmin
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 05.05.2005 um 12:43 Uhr

Schreibt Haruki Murakami große Literatur? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, zumal der sehr erfolgreiche Schriftsteller aus Japan, Jahrgang 1949, eben durch seine großen Auflagenzahlen Kunst für die Massen anzufertigen scheint. So geht man denn nicht ganz unbefangen an die Lektüre seiner Bücher heran und analysiert Murakamis Prosa mit Argusaugen, die nach trivialen Fallstricken Ausschau halten. Und ja, man findet sie natürlich die oberflächlichen und banalen Passagen, ganz ohne Zweifel. Immer wieder stolpert man über allzu deutliche, profane Erklärungen und detaillierte Beschreibungen, vor allem in Bezug auf offensichtlich unwichtige, überflüssige Äußerlichkeiten, aber – und nun kommt das Eigentliche, das Wesentliche: Murakamis Erzählkunst zieht trotz allem einen machtvollen, zauberhaften Bannkreis um den geneigten Leser, der nicht eher verlassen werden kann, als bis die allerletzte Zeile gelesen wurde und dies im Zeitraffertempo. Man saugt sich fest an Murakamis Worten, zwar nicht an jedem, aber vielleicht macht das auch einen Teil des Reizes aus, dass man immer unbewusst auf der Suche nach der nächsten Perle, nach dem nächsten Gipfelpunkt ist.

Worum geht es in Sputnik Sweetheart (im japanischen Original Supuutoniku no koibito)? Es geht vor allem um die Liebe, um ein bizarres Dreieck, bestehend aus dem Ich-Erzähler, einem Lehrer Ende Zwanzig, dessen ehemaligen Kommilitonin Sumire und einer älteren, kosmopolitischen Geschäftsfrau, Miu. Der Lehrer liebt und begehrt Sumire. Diese hat ihn zwar sehr gern, begehrt ihn aber nicht, zumal sie sich in Miu verliebt und diese begehrt. Aber auch hier läuft die Liebe in eine Einbahnstraße. Miu liebt rein platonisch.

Glühende Leidenschaft und hoffnungsloses Begehren werden von heftigen Schmerzen begleitet. Der Ich-Erzähler schildert diese Tantalus-Liebesqualen zuweilen recht drastisch:

Ich sehnte mich danach, sie in die Arme zu nehmen. Ein heftiges Verlangen, sie zu Boden zu werfen, überkam mich, aber ich wusste, dass es keinen Zweck hatte und zu nichts führen würde. Ich bekam kaum noch Luft und hatte das Gefühl, mein Gesichtsfeld verenge sich plötzlich. Die Zeit stand still und fand keinen Ausgang, durch den sie entweichen konnte. In meiner Hose schwoll die Begierde, hart wie ein Stein. Ich war außer mir, völlig durcheinander. Irgendwie musste ich meinen Körper unter Kontrolle bekommen. Ich holte tief Luft, schloss die Augen und begann in dieser abstrakten Dunkelheit langsam zu zählen. Meine Begierde war so heftig, dass sie mir die Tränen in die Augen trieb.

Aber das Gefühl für Sumire ist nicht nur auf diese fleischliche Begierde zu reduzieren. Im Vordergrund stehen von Anfang an eine tiefe, geistige Bindung und seelische Verwandtschaft, gleiche Interessen, die Liebe zu Musik und Literatur, ein Gefühl von unvergleichlicher Nähe und Vertrautheit. Bei jeder ihrer Begegnungen führen sie lange Gespräche:

Nie bekamen wir genug davon, und nie gingen uns die Themen aus. Unsere Gespräche waren intensiver und intimer als die der meisten Liebenden und drehten sich um Literatur, Landschaft, Sprache, um Gott und die Welt.

So wundervoll diese geistige Affinität aber auch sein mag, so stößt sie den Protagonisten immer wieder äußerst schmerzhaft an seine Grenzen. In Sumires Nähe vergisst er zwar für eine Weile seine Einsamkeit, aber nur um bald darauf diese noch viel intensiver als je zuvor zu empfinden:

Zu akzeptieren, dass sie fast keine (oder eigentlich gar keine) Gefühle für mich als Mann hegte, war natürlich nicht leicht. Manchmal war mein Schmerz so groß, als würde mir ein scharfes Messer in den Leib gestoßen. Trotz dieser Qualen gab es für mich nichts Kostbareres als die mit Sumire verbrachte Zeit. In ihrer Gegenwart vergaß ich den fundamentalen Unterton von Einsamkeit, der mein Leben bestimmte. Sumire erweiterte den Radius meiner Welt, ließ mich tief Luft holen. Das gelang nur ihr.

Bald wird auch Sumire erfahren, wie die Nahtstelle zwischen Traum und Wirklichkeit schmerzen kann. Die Schmerzen, die sie ohne Absicht, ja, ohne sich dessen überhaupt je bewusst gewesen zu sein, dem Ich-Erzähler bereitet hatte, wird sie nun von Miu zugefügt bekommen. Miu, die weder homosexuelle Erfahrungen hat, noch das Bedürfnis, welche zu machen. Sumire muss nun selber erleben, was es bedeutet, nicht begehrt zu werden:

In der Welt der Träume muss man keine Unterscheidungen treffen. Überhaupt keine. Dort existieren von Anfang an keine Grenzen. Darum kommt es in Träumen auch fast nie zu Kollisionen, und wenn doch, tun sie nicht weh. Aber in der Realität ist das anders. Die Realität schmerzt. Realität. Realität.

So geht es in diesem Buch nicht nur um die Liebe, sondern auch um andere existentielle Fragen und Bereiche, wie die Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit, das Diesseits und das Jenseits, Fragen nach dem Tod und dem Sinn des Lebens. So seicht und leicht Murakami zuweilen daherkommt, so tiefgründig und melancholisch, ja geradezu existentialistisch kann er plötzlich werden und einen in tiefste Tiefen hinabziehen, wenn man denn dazu bereit ist. Auch über das Schreiben sinniert er oder besser gesagt, lässt die angehende Schriftstellerin Sumire sinnieren:

Deshalb habe ich angefangen zu schreiben. Ich hänge auf ganz alltägliche Weise meinen Gedanken nach, gerate unversehens auf unbekanntes Territorium und empfange einen Traum – einen augenlosen Fötus namens Erkenntnis, der in der überwältigenden Weite eines kosmischen Fruchtwassers namens Unkenntnis treibt. Vielleicht sind meine Romane so lächerlich lang und kommen nie zu einem richtigen Abschluss (zumindest bisher), weil ich diesen Maßstäben weder technisch noch moralisch gewachsen bin.

Vielleicht reflektiert Murakami hier über sein eigenes Schreiben und vielleicht hat er, wenn es denn stimmen sollte, sogar teilweise Recht, zumal seine Romane tatsächlich ein besseres Ende verdient hätten. Fest steht jedoch, dass Murakami zu den besonderen, den außergewöhnlichen Erzählern gehört, die wirklich etwas zu erzählen haben. Allein die Kunst der Auslassung beherrscht er noch nicht. Manche Rezensenten loben seinen lakonischen Stil. Dem kann ich aber nicht beipflichten.

Wenn man vielleicht ein gutes Drittel von Sputnik Sweetheart gnadenlos zusammenstreichen und verdichten würde, dann könnte man von wirklich großer Literatur sprechen.

Süchtig wird man nach Murakamis Worten allemal.

Haruki Murakami, Sputnik Sweetheart, Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe [exzellente Arbeit], btb-Verlag, Juni 2004

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