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ArnoAbendschoen - 05.06.2021 um 23:25 Uhr

„Wenn die Augen geschlossen sind, beginnt die wahre Welt.“ (Gore Vidal, The City and the Pillar, dt. Geschlossener Kreis)

„Der Homosexuelle hat nur eine Chance – die Brillanz, und er wird wegen ihrer gehasst; ist er nicht brillant, wird er verachtet.“ (Hubert Fichte, Versuch über die Pubertät)

„Das Fleisch ist schmutzig, aber sehr gütig.“ (Hans Henny Jahnn, Fluss ohne Ufer)

"Er muß nicht etwa sein Leben erzählen, wie er es gelebt hat, sondern es so leben, wie er es erzählen wird." (André Gide über den Schriftsteller, Tagebuch 3.1.1892)

„Für jede Dummheit gibt es hier unsagbar rasch rechtfertigende, gute, kluge Gründe.“ (Robert Walser, Friedrichstraße)




Kenon - 09.06.2021 um 20:41 Uhr

Zitat:

„Der Homosexuelle hat nur eine Chance – die Brillanz, und er wird wegen ihrer gehasst; ist er nicht brillant, wird er verachtet.“

Das kann man sicherlich noch weiter fassen, wobei es dann natürlich den Bereich des Persönlichen verlässt:

Einer Minderheit – und diese muss ja nicht zwangsläufig eine sexuelle, sondern kann ebenso eine ethnische oder religiöse usw. oder sogar kombinierte sein – anzugehören ist ja immer auch eine Chance: Durch die Ablehnung und Ausgrenzung, die man erfährt, durch die Misserfolge, an der Mehrheitsgemeinschaft teilzuhaben, ist man gezwungen, sich seine eigenen Wege zu suchen. Was für die Mehrheit praktisch wie ein Naturgesetz, um das man sich keine Gedanken machen muss, funktioniert, funktioniert nicht für den Angehörigen einer Minderheit. Dieser Umstand, es nicht einfach wie alle machen zu können, kann auch vollkommen positiv mit dem Wort “Freiheit” umschrieben werden: In der “Freiheit von” steckt die Möglichkeit einer “Freiheit für”. Diese zu entdecken und zu nutzen, ist eine Entwicklungsaufgabe, an der man scheitern kann, aber es gibt unzählige historische und zeitgenössische Beispiele, die zeigen, wie Menschen aus einem zuerst als solchen empfundenen Nachteil heraus herausragendes geleistet haben.

Zurück zum Persönlichen:
Lieblingszitate im engeren Sinn habe ich nicht, obwohl ich viele Textstellen sehr gern mag. In meinem Abi-Jahrbuch habe ich damals Kafka zitiert, ohne ihn als Autor zu nennen, um nicht als abgehobener Schnösel zu erscheinen, für den ich sicherlich doch von manchen gehalten worden bin:
Zitat:

“Von einem gewissen Punkt gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.”

Das ist dunkel und trotzdem absichtsvoll und gefällt mir heute, 24 Jahre später, noch immer.




ArnoAbendschoen - 09.06.2021 um 21:46 Uhr

Ja, deine erweiternde Analyse ist zutreffend. Man könnte z.B. auch den überproportional großen Beitrag von Menschen jüdischer Herkunft zur europäischen Kultur des frühen 20. Jahrhunderts zum Teil mit dieser von Hubert Fichte dargelegten Mechanik erklären. Fichtes Vater war übrigens Jude und Hubert bis zum Kriegsende gefährdet.

Zu Fichtes Satz passt als Erklärungsmuster gut die Mutationstheorie. Scud hat sie halb-ironisch in seinem Film "Permanent Residence" eingebaut.




Kenon - 25.06.2021 um 17:22 Uhr

Ja, an Menschen jüdischer Herkunft oder jüdischen Glaubens habe ich bei den obigen Zeilen auch gedacht, ihr überproportionaler Anteil an besonderen kulturellen Leistungen gerade auf dem Gebiet der Literatur ist in der von Dir genannten Zeit ganz offensichtlich; ich möchte darüber aber gar nicht so viel spekulieren, vielleicht trotzdem so viel dazu:
Einerseits haben wir da eine gewisse gesellschaftliche Außenseiterrolle, auf der anderen Seite eine lange und große Tradition des Diskurses, der sich über so viele Aspekte des menschlichen Lebens erstreckt, sowie einen besonderen Wert, welcher dem überlieferten bzw. überlieferbaren Wort, lesend, schreibend und rezitierend zugemessen wird; aber wir haben ja auch berühmte Pastorensöhne wie beispielsweise Lessing, Wieland, Schleiermacher, Schlegel, Schelling, Mommsen, Burckhardt, Nietzsche und Hesse (zitiert nach: “Das Zeitalter der Intelligenz” von Denis Sdvižkov), welche den Rahmen der Betrachtung noch weiter machen.

Was besagt die Mutationstheorie? Ich habe dazu nichts finden können.




ArnoAbendschoen - 25.06.2021 um 22:03 Uhr

Bei Wikipedia lautet das Stichwort "Mutationismus":

https://de.wikipedia.org/wiki/Mutationismus

Als einen zentralen Satz hebe ich bloß hervor:

"Unter Mutationen verstand de Vries singuläre, im Vergleich zu Darwins allgegenwärtiger Fluktuation seltene Ereignisse, die die treibende Kraft der Evolution sind." Scuds autobiographische Filmfigur Yvan zieht aus der Theorie Schlüsse für die Zukunft menschlicher Fortpflanzung, die ich mir so ausdrücklich nicht zu eigen mache ...

Was die zwei großen Wellen von Autoren christlicher (Pfarrersöhne) bzw. jüdischer Herkunft um 1800 bzw. um 1900 angeht, so hat der Literaturhistoriker Heinz Schlaffer auf diesem Phänomen in seinem Buch "Die kurze Geschichte der deutschen Literatur" eine ganze Theorie aufgebaut: grosse Literatur als Produkt eines schmerzhaften Emanzipations- und Ablösungsprozesses - auch eine Form von Mutation.




Kenon - 25.06.2021 um 23:27 Uhr

Danke für die beiden Stichworte, Arno.

In diese kurze Geschichte der deutschen Literatur schaue ich sicherlich einmal hinein.




ArnoAbendschoen - 26.06.2021 um 21:12 Uhr

Zu Schlaffers Buch auf Versalia:

https://www.versalia.de/forum/beitrag.php?board=v_forum&thread=4599

Kostprobe aus dem erwähnten Buch:

„Damit Dichtung geschrieben werden kann, braucht sie Erinnerungen an eine archaische Welt, in der die Aura der Wörter noch nicht völlig durch technische Medien zerstört worden ist; wo noch nicht die Aufklärung des Journalismus, der popularisierten Wissenschaft und des Tauschverkehrs die letzten Reste von Glauben und Aberglauben beseitigt hat, wo jemand, der schreibt, die Mühsal seiner Befreiung von vorliterarischen Traditionen darstellt, die er dadurch zugleich zerstört und im Gedächtnis bewahrt.“ Das mit der "Aura der Wörter" gibt mir zu denken.




Kenon - 28.06.2021 um 19:56 Uhr

Oh, das finde ich erst einmal super, dass Du sinngemäß sagen kannst:
Schau doch mal, was ich vor 10+ Jahren hier dazu geschrieben habe.

Ich habe jetzt eine Weile über das Thema nachgedacht. Ich meine, es ist gibt keine allgemein- geschweige denn letztgültige Antwort auf die Frage, was Voraussetzung großartiger Dichtung ist; gleichwohl kann der Austausch darüber sehr spannend sein. Ich würde es nahezu tautologisch begründen: Großartige Dichtung erfordert einen großartigen Dichter, der sie hervorbringt. Das ist natürlich nicht gerade befriedigend; aber alles andere wird sehr schnell unglaublich komplex und schwierig. Allerdings sehe ich schon, dass die “Befreiung irgendwovon” eine ganz wesentliche Bedingung sein kann, mag das nun von einer repressiven Gesellschaft oder traumatischen Erlebnissen usw. usf. sein; eine freiere Gesellschaft muss demnach notwendigerweise auch weniger große Literatur produzieren und umgekehrt kann ich mir so auch erklären, warum beispielsweise so viel lesenswertes aus Russland & Co. stammt. Zudem gibt es auch immer wieder Wellen kreativer Kunst, da herrschen passende Bedingungen und der eine inspiriert den anderen, man wetteifert im ergiebigsten Sinne.

“Aura der Wörter” ist sicherlich ein spannender Begriff. Vermutlich muss ein Dichter den Wörtern natürlich-über-natürliche Qualitäten zumessen, um großes schaffen zu können. Es mag sich um eine Art Zauber handeln, der jederzeit platzen kann – wie wir bei Arthur Rimbaud gesehen haben.

Ich selbst lese kaum noch Belletristik; hier und da etwas zeitgenössisches aus der Ukraine oder Russland; manchmal schließe ich eine Bildungslücke bei den Klassikern, aber auch nur, wenn mir ein Werk zusagt. Ich wüsste jetzt keinen deutsch-sprachigen Autoren nach Thomas Bernhard, den ich empfehlen könnte. Ich finde das nicht einmal mehr bedauernswert; wir haben Zugriff auf Werke einer immens reichen Geschichte.




ArnoAbendschoen - 22.09.2021 um 18:44 Uhr

Weitere Zitiermunition:

Man erlebt es ja öfters, dass sich gerade in den Köpfen mancher sehr gescheiter Leute ganz paradoxe Begriffe festsetzen.

(Dostojewski, Aufzeichnungen aus einem Totenhaus)


Mich dünkt, es ist nicht die Umarmung, sondern die Begegnung die eigentliche entscheidende erotische Pantomime ... Die Begegnung verspricht mehr, als die Umarmung halten kann.

(Hugo von Hofmannsthal, Die Wege und die Begegnungen)




Kenon - 27.09.2021 um 00:02 Uhr

Johann Gottfried Herder

Zitat:

Ist´s mit dem Menschen, als Pflanze betrachtet, anders? Welche Unermeßlichkeit von Hoffnungen, Aussichten, Wirkungstrieben füllt dunkel oder lebhaft seine jugendliche Seele! Alles trauet er sich zu; und eben weil er´s sich zutrauet, gelingt´s ihm; denn das Glück ist die Braut der Jugend. Wenige Jahre weiter, und es verändert sich alles um ihn, bloß weil er sich verändert. Das wenigste hat er ausgerichtet, was er ausrichten wollte, und glücklich, wenn er es nicht mehr und jetzt zu unrechter Zeit ausrichten will, sondern sich friedlich selbst verlebet.




ArnoAbendschoen - 24.02.2022 um 22:11 Uhr

Das Folgende ist scharfsinnig beobachtet:

"Der Eitle will nicht sowohl hervorragen, als sich hervorragend fühlen, deshalb verschmäht er kein Mittel des Selbstbetruges und der Selbstüberlistung. Nicht die Meinung der anderen, sondern seine Meinung von deren Meinung liegt ihm am Herzen."

(Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches - Selbstgenuss in der Eitelkeit)




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