In Italien hatte sich der Faschismus schon seit mehr als einer Dekade etabliert, als Hitler zum Staatsbesuch nach Rom kam und ausgerechnet der Adelige, Archäologe und Kommunist Bandinelli dazu auserkoren wurde, den Kunstbanausen durch die Museen und Kunstschätze Roms und Florenz’ zu führen. Mussolini hatte also genug Zeit gehabt, den Sieg des Faschismus und die Errichtung des faschistischen Impero als Erfüllung der Geschichte und der antiken Vergangenheit des Imperium Romanums erscheinen zu lassen. Aus Anlass des Besuches des deutschen „Führers“ wurde in Rom nicht nur ein eigener Bahnhof - „Roma Ostiense“ – errichtet, sondern auch die Häuser und Paläste neu gestrichen und in Florenz entlang des Flusses Arno wurden die Brüstungen aus pietra serena in Beton gegossen, ganz so „als ob sie sich schämten, dass Florenz nicht die klimatischen Eigenschaften eines schweizerischen Luftkurortes habe“, wie Bandinelli bissig kommentiert. Auf der Bahnstrecke Rom-Florenz wurden alle Bauernhäuser und auch die Hundehütten neu gestrichen und lobpriesen mit großen Schriftzügen die beiden Diktatoren und die Achse Rom-Berlin.
Führer des „Führers“ durch Rom und Florenz
Als Staatsbediensteter musste Bianchi Bandinelli auf Befehl handeln und erfüllte die Aufgabe, die beiden schlimmsten Diktatoren der Geschichte durch die Kunstschätze Roms zu führen nur sehr widerwillig, wovon man sich auch auf einigen Fotografien im vorliegenden Buch überzeugen kann. Ein so gebildeter und feinsinniger Mensch musste die beiden Kretins und Kunstbanausen also durch die Kunstschätze der Antike in Rom und Florenz führen und natürlich litten seine ansonsten sehr fachmännischen Ausführungen unter der Tatsache, dass er sich in der Gegenwart von Personen befand, „denen gegenüber ich keinerlei Gefühle der Sympathie und Hochachtung empfinden“ konnte. Die „Achse Rom-Berlin“ wäre für ihn allerhöchstens in der Via dei Malcontenti zu finden gewesen: der Straße der Unzufriedenen, scherzt Bandinelli über den Besuch der beiden Verbrecher in der römischen Straße gleichen Namens und selbst den Tyrannenmord spielt er in seinen Überlegungen kurz durch, aber nur um zu dem Ergebnis zu kommen, dass er damit nicht nur sein eigenes und das seiner Familie verwirkt hätte, sondern die Tat selbst auch sinnlos gewesen wäre: 1938 glaubten alle noch fest an die beiden Systeme, da das Grauen noch nicht alle Bevökerungsteile erfasst hatte und der Krieg erst noch bevorstand.
Audienz beim Kaiser im Exil und Besuch der beiden Deutschlands
„Wenn der Bolschewismus gekommen wär’...“, murmelte Hitler und Mussolini antwortete in einem unverhohlen römisch gefärbten Deutsch vervollständigend: „Alles zersteert.“ Trotz des durchaus traurigen und schrecklichen Umstandes, versteht es Bandinelli mit viel Einfühlungsvermögen und psychologischer Raffinesse die beiden Staatsmänner ins Bockshorn zu jagen und behält sich auch angesichts der furchtbaren Gesellschaft seinen Humor, den er auch in seinen Tagebucheintragungen zu Wilhelm II. im holländischen Exil schon bewiesen hat. Dort schreibt er auch von einer „intellektuellen Verwandtschaft zwischen dem (letzten) Kaiser und Hitler und das obwohl das gesamte monarchische Umfeld entschieden antinazistisch war. Die „groteskeste Sache“ sei ein Text des Kaisers gewesen, der „Allgemeinplätze mit unbegründeten Behauptungen und mythologischen Konstruktionen einer Universalgeschichte“ vermischte. In Gegenwart des „Wirrkopfs mit theologisierendem Gefasel“ – Wilhelm – müsse man unweigerlich an die Schrecken des Großen Krieges denken und könne nichts als Ekel empfinden.
Eine wunderbare scharfe Sprache macht Bandinellis „Tagebuch eines Bürgers“ zu einer anregenden Lektüre voller Einsichten auch die beiden Teile Deutschlands nach dem Krieg, die er in den 50er und 60er Jahren besuchte. Da er als Sohn einer Deutschen und eines Italieners beide Sprachen perfekt beherrschte lesen sich seine Betrachtungen pointiert und spannend und zeugen vom Esprit eines großen Geistes.
Ranuccio Bianchi Bandinelli
Hitler, Mussolini und Ich
Aus dem Tagebuch eines Bürgers
Reihe: Zeugnisse & Dokumente
221 Seiten, Hardcover (bedruckter Schutzumschlag)
Übersetzung: Elmar Kossel
ISBN: 978-3-88221-084-2
Preis: 19,90 €
[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-07-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.