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Thomas Bernhard - Meine Preise
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(Bücher frei Haus)

Bezeichnend für den Bernhard der späteren Jahre, dass, nachdem er sich während der siebziger Jahre mit den zu seinen besten Werken zählenden autobiografischen Romanen als literarische Einzelgängerfigur eingeprägt hatte, er sich in die Idee hinein verstieg, auch noch die kleinen Geschichten im Zusammenhang mit den ihm verliehenen Literaturpreisen könnten Wortkunstwerk und fürs Publikum wichtig und erhaltenswert werden. Nein, nein, das sind sie nicht geworden, diese neun von, wie er anvisiert hatte, vierzehn oder fünfzehn Preisverleihungen, bei denen er den Geehrten abzugeben hatte. Aber - darauf legt er Wert: Geehrt sei er bei derlei Veranstaltungen nie worden, sondern von Kleingeistern und kulturlosen Ministeriumsapparatschiks lächerlich gemacht und vorgeführt.

Warum er diese Preise überhaupt angenommen hat, wenn er sie nicht respektiert hat und wo er ab Mitte der siebziger Jahre verbreiten ließ, er nehme von nun an nie mehr einen, nebenbei will er uns das in seinen Memoiren-Stückchen aber auch noch begründen.

Exemplarisch spielen die unterschiedlichen Elemente in der Geschichte mit dem Österreichischen Staatspreis zusammen. Das sei nicht der Große Staatspreis, den man für ein Lebenswerk erhalte, gewesen, bloß der Kleine, den sozusagen alle zweiundzwanzigjährigen, modern gekleideten Wiener Hörspielautoren schon vorher bekommen hätten, während seine Größe noch verkannt gewesen sei. Aber ja nicht wirklich, sondern verkannt nur von der österreichischen Administration. Damals sei er schon Mitte bis Ende dreißig gewesen, der große internationale „Frost“-Erfolg habe hinter ihm gelegen. Und dann so ein Zwergerlpreis mit einer Feier, zu welcher ihm der Unterrichtsminister ein auf einer Südseeinsel spielendes Buch andichtete, ihn als „im Ausland geborenen Nicht-Österreicher“ vorstellte. (Als vor der Umwelt verstecktes uneheliches Kind war er 1931 in den Niederlanden zur Welt gebracht worden.) Man mag sich fragen, wie er in die Auswahl gekommen war, wenn für diese Auszeichnung die Autoren ihre Texte selbst einzureichen hatten. Ach, sein Halbbruder Peter habe das, ohne alle Kenntnis seinerseits, am letzten Tag der Frist, persönlich beim Pförtner des Ministeriums in Wien, besorgt, da hätte er nicht einschreiten können. Im Übrigen sei er ja schon auch ein gemeiner Mensch und habe daher, entgegen dem Ratschlag aller seiner Freunde, das Ding nicht zurückgegeben, dieses Geld habe er nämlich behalten wollen.

Solches Geraunze ist kein Werk der Kunst und wird es auch niemals mehr werden. Aber vergnüglich zu lesen ist es gewiss. Wie ja auch jene Mär vom ganz kurz vor der Feier gekauften Anzug, in dem man dann aber nicht mehr erkannt worden sei, sich gekränkt in die zehnte Reihe gesetzt, den endlich bettelnden Subalternen barsch zurückgewiesen habe, nur wenn der Chef persönlich komme, stehe man auf und gehe aufs Podium hinauf. Man hat das schon mal gelesen, kennt die Anekdote aus „Wittgensteins Neffe“. Darin war es aber noch der „Lebenskünstler-Philosoph“ und allerbeste Freund und Mentor Paul Wittgenstein gewesen, der dem Dichter innere Stärke eingegeben hatte, sich bei einem niederträchtigen Event zu schlagen. Für „Meine Preise“ ist als stützende Begleiterin nur noch von „meiner Tante“ die Rede, jener, von Bernhard so allerdings niemals vorgestellten, Millionenerbin des jüdischen Wiener Schokoladenhauses Hofbauer, der greisen Hedwig Stavianicek, die ihn ein Leben lang mütterlich gestützt hat, nicht zuletzt finanziell.

Das alles scheint hastig und flüchtig in die alte Maschine gehackt. Bernhards eruptiver Arbeitsstil nach ausgiebigen Phasen des Wohllebens ist Legende. Und dann halt nicht so genau redigiert, bzw. eben nicht wirklich fertig gemacht für die Veröffentlichung, ein Werk aus dem Nachlass. Zu viele Belanglosigkeiten stehen im Text.

Wir lernen, dass der Franz-Theodor-Csokor-Preis nicht nur nach einem Mann benannt worden ist, der sich mit Bernhards Poeten-Großvater Freumbichler öfters am Wallersee getroffen hat, im Gasthaus weitläufig Verwandter, und nämlich sei auch noch der echte Ödön von Horváth der Dritte im Wirtshaus gewesen, bloß sei der Thomas noch Kind gewesen, habe daher nicht erfasst, welche Giganten ihn umgaben. Wir lesen weiterhin, als Erwachsener sei Bernhard diesem Herrn Csokor noch einmal begegnet. Genau da aber sei Csokor in Gesellschaft von George Saiko gewesen, dem bekannten Autoren des Romans „Der Mann im Schilf“ (ein vergessener Hit von 1956). Thomas Bernhard sei dann gleich nach Venedig weitergefahren - und wer wohl wäre ihm dort als Erster über den Weg gelaufen, wenn nicht dieser berühmte Saiko! Er habe das unterbrochene Gespräch an genau der Stelle aufgenommen, an der es abgebrochen war und zu einem Schiff gewiesen, auf dem er des Abends nach Ancona ablege, ob der junge Thomas nicht mitfahren wollte.

Bernhard muss gespürt haben, dass dem kleinen Buch einiges abging. Er stoppte es, der Suhrkamp Verlag reichte es im Jahr 2009 dann doch noch nach. Mit Thomas Bernhard ist das wie mit den Beatles. Jedes Jahr könnte man eine neue Platte auf den Markt werfen, leider hat man keine mehr im Schrank liegen.

Zurück zum Kleinen Staatspreis, mit dem der für Bernhards Karriere und Ruf sehr effektive erste Wiener Literaturskandal um diesen Autor verbunden bleibt. Während Bernhards Dankesrede sei der Ignorantenminister aufgesprungen, mit den Worten „Und wir sind dennoch stolze Österreicher“, aus dem Saal gestürzt, die Glastür habe er „mit lautem Knall“ zugeworfen. Knall oder Klirren? Jedenfalls hört Bernhard wenige Sätze danach „das Fenster“ zersplittern. Und all die Schranzen und Speichellecker springen auf und laufen ihrem Herrn hinterher, lassen den Preisträger vollkommen allein im Saal. Da sieht Bernhard genauer hin und bemerkt, er hat das nur geglaubt, dass die Glastür (das Fenster?) zersplittert wäre, aber ist sie nicht, es hat sich nur so angehört.

Der Text jener Rede aber, er habe ihn auf die lange Bank geschoben gehabt und erst kurz vor der Veranstaltung eilig „zusammengeschmiert“, sich nichts dabei gedacht, dieser Text ist überliefert und er frappiert und verstört heute noch. Einigermaßen abgehoben und unverschämt muss dieser Mensch gewesen sein. Er konnte 1967 wirklich noch nicht ahnen, wie gut sich seine Worte in den achtziger Jahren in der Rückschau ausnehmen würden, nachdem er sich mit den Jahren mehrere Male aufs Fach des Staatsschmähers und Österreichverdammers, eines Katholiken- und Nazi-Geißelers verlegt hatte.

Zitat:

Zu meiner größten Verblüffung zog plötzlich einer der Herren, ich weiß wieder nicht, welcher, aus dem Bücherhaufen auf dem Tisch, wie mir schien wahllos, ein Buch von Hildesheimer heraus und sagte in umwerfend naivem Tone und geradezu schon im Aufstehen zum Mittagessen: Nehmen wir doch Hildesheimer, nehmen wir doch Hildesheimer und Hildesheimer war gerade jener Name, der während der ganzen stundenlangen Debatten überhaupt nicht gefallen war. Nun war plötzlich der Name Hildesheimer gefallen und alle rückten auf ihren Sesseln und waren erleichtert und stimmten in den Namen Hildesheimer ein und binnen ein paar Minuten war Hildesheimer zum neuen Bremer Preisträger bestimmt. Wer wirklich Hildesheimer war, wußten sie wahrscheinlich alle nicht.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2017-02-15)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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