In vielen in den vergangenen Jahren erschienen Büchern haben Autoren versucht zu verstehen und zu beschreiben, was in Israel innenpolitisch und gesellschaftlich vor sich geht. Sie haben Ursprünge lebendig gemacht und Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt. Von all diesen Büchern sei Carlo Strengers 2011 erschienenes Buch „Israel“ genannt. Darin wurde folgendes deutlich:
Israel geht seit einigen Jahren durch eine der schwersten Krisen seit der Staatsgründung 1948. Nach außen ist das Land isoliert, selbst bei wohlwollenden Politikern und Intellektuellen in Europa rufen die Entscheidungen der Regierung nicht nur großes Unverständnis, sondern mehr und mehr unverhohlene Ablehnung hervor.
Vom Friedensprozess mit den Palästinensern ist keine Rede mehr, Araber und Juden leben im Alltag mit gegenseitiger Verachtung nebeneinander her und der eskalierende, hier in Europa kaum wahrgenommene Kampf zwischen den religiösen und den säkularen Juden nimmt Formen an, die nicht erst seit gestern die Grundfesten der israelischen Gesellschaft bedrohen, die innerlich mehr und mehr zerreißt.
Mit Hilfe der Psychohistorie und mit unzähligen Beobachtungen aus dem Alltag versuchte Carlo Strenger in diesem nach wie vor lesenswerten Buch den deutschen Lesern Einsichten zu vermitteln in die auch historisch gewachsene Mentalität des Landes und sich damit jenseits der weltweit eingefahrenen Wahrnehmungen Israels zwischen Dämonisierung und Idealisierung zu verorten.
Er plädiert für die mentale Abrüstung der Projektionen auf allen Seiten, die er nachvollziehbar und transparent darstellt. Dabei versucht er, das menschliche Bedürfnis nach Sinnsuche nicht zu übersehen. Diese Kategorie taucht in seinem Buch immer wieder auf. Er kommt zu dem Schluss, dass nur eine Politik jenseits des Erlösungsbedürfnisses, die mit der Unvollständigkeit der menschlichen Existenz Frieden geschlossen hat, Israel und dem Nahen Osten Frieden bringen kann.
Ganz anders, aber mit dem gleichen leidenschaftlichen Impetus, Israel, das er durchaus auch als sein Land versteht, versucht der deutsche Journalist Johannes C. Bockenheimer das aktuelle Israel zu beschreiben und zu einem persönlichen, für den Leser nachvollziehbaren Verständnis zu kommen. Er begegnet Schriftstellern wie Amos Oz, führt Gespräche mit Politikern, Rabbis und Managern, aber auch mit ganz normalen Menschen, die sonst niemand um ihre Meinung bittet über ihr Land.
Er konfrontiert diese ernüchternden Bestandsaufnahmen immer wieder mit der Gründungsidee von Theodor Herzl und mit dem, was die vielen Menschen bewegte, die teilweise schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Palästina einwanderten und vor und nach der Staatsgründung das Land trotz immer stärker werdenden militärischen Bedrohungen durch die Araber und Kriege mit ihnen das Land zum Blühen brachten.
Doch Bockenheimer resümiert: „Der Staat Israel existiert zwar, Herzls Versprechen aber, dass mit dem Judenstaat auch der Judenhass Geschichte sein würde, hat sich als Märchen erwiesen. Herzl ist nicht an den Zionisten gescheitert, sondern an den Antisemiten.“
Johannes Bockenheimer ist mit einer lockeren Sprache ein Buch gelungen, das nicht nur ein wichtiges Panorama der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft liefert, sondern auch eine unterhaltsame und stellenweise regelrecht witzige Lektüre ist.
Johannes C. Bockenheimer, Chuzpe, Anarchie und koschere Muslime, Pantheon 2015, ISBN 978-3-570-55276-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-12-16)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.