„Mit der zunehmenden Abkehr von der Institution Kirche und dem Wunsch nach wissenschaftliche Methoden, aber auch aufgrund des höheren Bekanntheitsgrades, der Akzeptanz und nicht zuletzt auch den Erfolgen der Psychotherapie, wenden sich Hilfesuchende immer öfter an den sogenannten professionellen Helfer.“
Der Münchner Psychotherapeut Werner Dopfer, der dies im Nachwort zu dem vorliegenden Buch schreibt, ist ein solcher Helfer. Authentisch und selbstkritisch beschreibt er in diesem Buch Fälle, in denen „die Normalität zerbricht“. Sie sind ihm nicht 1:1 genauso in seiner Praxis begegnet, sondern sie sind „aufgrund der Verfremdung und Anonymisierung letztendlich Fiktion.“
Vielleicht zeigen sie gerade deshalb so viel von dem Arbeitsalltag eines Psychotherapeuten auf. Es sind zum größten Teil „schwere Fälle“, von denen er berichtet. Therapien, die mitunter viele Jahre dauern. Therapien auch, die von Klienten oder auch vom Therapeuten abgebrochen werden.
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, so spannend und mitfühlend waren die Geschichten über leidende Menschen und ihre „Seelenscherben“.
Doch ich bin mir sicher: außer bei ausgewählten Therapeuten mit einem besonderen Ruf sind Fälle wie die geschilderten eher die Ausnahme als die Regel. Ich hätte es deshalb begrüßt, wenn Dopfer auch zwei bis drei Fälle von Menschen mit „Seelenscherben“ in sein Buch aufgenommen hätten, wegen denen die Mehrheit der Klienten einen Therapeuten aufsucht. Depression etwa, Burnout, Bindungsängste oder -unfähigkeit, mangelndes Selbstbewusstsein oder Probleme am Arbeitsplatz.
Nichtsdestotrotz: ein beeindruckendes Buch.
Werner Dopfer, Seelenscherben. Wenn die Normalität zerbricht, Droemer 2014, ISBN 978-3-426-30064-0
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-12-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.