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Wiglaf Droste - Nomade im Speck
Buchinformation
Droste, Wiglaf - Nomade im Speck bestellen
Droste, Wiglaf:
Nomade im Speck

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(Bücher frei Haus)

Mit „World gone wrong“ soll Bob Dylan die Welt nach 1989 einst beschrieben haben und tatsächlich kam damals einiges aus dem Lot, wie auch der 1961 geborene Komiker Wiglaf Droste, der das alles seither live kommentierte, zu erzählen weiß. Frei nach dem Motto „Lieber Vagabund statt moribund mit Kummerbund“ hat der Kabarettist und Autor Wiglaf Droste hier einige seiner Kolumnen zusammengetragen, die von dem fabelhaften Zeichner Nikolaus Heidelbach kongenial illustriert wurden und leicht leserlich so manchen unfreiwilligen Warteaufenthalt lustvoll verkürzen können. Humor ist wenn man trotzdem lacht, Droste kann dem Sesshaften nur die Haft abgewinnen, im Nomadenleben hingegen fühlt er sich wohl und geleitet den werten Leser durch so manches Abenteuer in Sachsen, Mexiko oder Italien. Dabei geht es natürlich auch um Kulinarik: Stierhodensuppe, Frikadellen mit Kapern, Knoblauch und Chili, kalauergefährliche Pizza, Hinkenbrötchen, Banditen-Frijoles, Nudeln mit Nichts und Neonati

„Frikadellen sind...Vertrauenssache!“
„In Berlin leben“ klingt nach Widerspruch und was er mehr als 30 Jahre dort gesucht habe, lässt er sich in drei Tagen von einem Touristen nacherzählen. Heute lebt der Autor ohnehin in Leipzig und verurteilt jene, die sich über das dortige Idiom lustig machen und nicht einmal wissen, dass allein Leipzig 17 verschiedene Idiolekte kennt. Wiglaf Droste spielt gerne mit nationalen Klischees, die sich natürlich gerade dann aufdrängen, wenn man die Landessprache nicht unbedingt perfekt beherrscht. Witze wie „Wieso haben die Hosen von irischen Bauern keine Reißverschlüsse? Weil irische Schafe gute Ohren haben.“ Oder „Warum bekommen Deutsche kein Aids? Weil sie keine Freunde haben.“ werden wohltuend von tiefergehenden Betrachtungen abgelöst, wie etwa der Erkenntnis, dass in der Frikadelle das Weißbrot schon mit drin ist. Aber Frikadelle ist eben wie so vieles mit „F“ oder „V“ ...Vertrauenssache! Eine kleine Hommage an den kürzlich verstorbenen „Erwerbsnomaden“ Harry Rowohlt, der gerne Chilisauce über seine Speisen spritzte, weil er vor lauter Schwarzem Tabak nichts mehr schmecken konnte, beginnt nicht umsonst mit den Worten: „Vater schreibt man stets mit Vau, bei...“.

Asyl im Drittland Balkonien
In Helgoland verliebt Droste sich in eine Robbe und schwärmt seiner Freundin von ihr vor. Doch kein Mann schwärmt ungestraft von einer anderen Frau vor einer anderen Frau, wie er bald zu verstehen lernt. Viele Metaphern erweitern den Wortschatz des Lesers, etwa wenn Droste dem „Tier aus dem Pelz helfen“ für Schlachten benutzt oder Ringelnatz’ „Meinriechtwieich“ für Bett und „Nasentrost“ für Schnupftabak bei Preusslers Räuber Hotzenplotz. „Achseljauche“ verwendet er für Deodorant. Auch mit Kindern scheint er sich gut zu verstehen, denn als er den Nachbarsjungen bewirtet flötet dieser ihm ins Gesicht: „Erwachsene sind voll widerlich, die essen Nudeln mit Sauce“. Was uns auch gleich zu Drostes Lieblingsland bringt: Italien. „Das ist das Große und Fatale an Italien. Was anderswo als nebensächlich gilt, wird hier zur Hauptsache und die angeblich wichtigen Dinge verblassen.“ In Kalabrien, wo er bei einer Witwe einen Balkon zum schreiben bezieht und ihr dort zum Dank Blumen pflanzt, beschimpft seine Zimmerwirtin die klauenden Raben mit den Worten: „Ihr Asylvögel! Euch bei mir durchfressen! Morgen Luftpistol! Partisan! Bella Ciao! „Es ist schön in eine leere Kirche zu gehen und in sich Menschen zu finden“, schwelgt der Autor träumerisch in Erinnerungen. „Chi scopa capodanno, scopa tutto l’anno!“ heißt es dann zu Silvster. Neujahrsvorsatz beipflichten

Fazit: Droste paraphrasiert in seinem speckigen Nomaden eine Vielzahl von Aphorismen und Anekdoten aus dem Sprachschatz des Volkes der Dichter und Denker, aber auch das des Österreichers Gustav Mahler: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ mit viel Witz und Hingabe. Heimat findet der selbstgewählte Nomade nur „In mir oder nirgends“, wie er Brecht’s Galilei Spruch umwandelt und kommt schließlich doch zu einem nachdenklichen, traurigen Ende. Aber schließlich verschafft nicht die vermeintliche Erkenntnis Erleichterung, sondern der Zweifel an ihr, wie auch Wiglaf Droste schließt.

Droste, Wiglaf & Heidelbach, Nikolaus
Nomade im Speck
Critica Diabolis 235
Klappenbroschur, 4-farb-Druck
192 Seiten, 18.- Euro
ISBN: 978-3-89320-208-9

[*] Diese Rezension schrieb: jürgen Weber (2016-06-01)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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