Als am Morgen „des 25. Juni 1645 vom westlichen Vorgebirge der Insel Kreta aus am Horizont eine lange und immer längere Kette von schwankenden Lichtern auf der Kimm des Meeres“ auftauchte, wurde klar, dass die Osmanen ihre Eroberungszüge im Westen noch nicht aufgegeben hatten. Sultan Ibrahims Reich hatte sich bereits von Ungarn bis zum Sudan und von der Grenze Marokkos zum Kaukasus ausgedehnt und stand nun quasi vor den Toren der Seerepublik Venedig, zu deren Besitz Kreta in jenen Tagen gehörte. Die Politik Ibrahims hieß laut Eickhoff „Stabilisierung durch Angriff und Expansion“. Denn im Innern des riesigen Osmanischen Reiches war es immer wieder zu Unruhen und Palastrevolten gekommen und nur eine expansive Außenpolitik konnte die Sipahi und Janitscharen einen. Der „tolle Ibrahim“ (Deli Ibrahim) war der Bruder und Nachfolger Murad IV, der noch auf seinem Totenbett die Ermordung Ibrahims angeordnet hatte. Auf „Nero folgte Heliogabal“, wie der Historiker Hammer-Purgstall es treffender nicht ausdrücken hätte können und dieser witterte die Schwäche Venedigs in dem Moment, als die Republik durch die zweite Pestepidemie auf die Hälfte der Bevölkerung dezimiert worden war.
Ähnlich verhielt es sich auch mit Kreta, das im klassischen Altertum noch von rund einer Million Menschen bewohnt war und im 17. Jahrhundert gerade mal 160-190.000 Bewohner zählte. Das Kreta vor der osmanischen Invasion beschreibt Eickhoff aber keinesfalls als friedliche und blühende Insel, vielmehr war die venezianische Oberschicht entweder verhasst und korrupt oder gräzisiert, beides wirkte sich auf die Herrschaft der Republik Venedig in jedem Fall nachteilig aus. Die „kretische Renaissance“ war nur ein kurzes Aufblühen vor der feindlichen Übernahme und – wie Eickhoff auch zu bedenken gibt – war die Eroberung durch die Osmanen eigentlich gar keine Verschlechterung für die kretische Landbevoelkerung, sondern häufig vielmehr eine Erleichterung. Die Praxis der türkischen Verwaltung sei tolerant gewesen, die neue Besiedelung war auch für die Agrarwirtschaft von Vorteil, die Arbeitskräfte brauchte.
Der „Krieg von Kandia“ (Kreta) war nur der Auftakt zu einer weitreichenden Zerrüttung Mitteleuropas, das gerade erst durch den Dreißigjährigen Krieg gegangen war. Der „Sturm auf Wien“ steht am Ende einer langen und spannenden Geschichte der osmanischen Eroberungen in Mitteleuropa, dessen Schicksal in der letzten Minute von Jakob Sobieski noch einmal gewendet wurde. „Kein Sieg von so großer Wichtigkeit hat so wenig Tote gekostet“, schrieb Graf Taafe am Abend der Schlacht am Kahlenberg. Als sich Kaiser Leopold und Koenig Sobieski begegnen und erster eigentlich Dankbarkeit zeigen sollte, da ohne den Polenkoenig alles verloren gewesen wäre, kommentierte Sobieski das Geschehen später mit den Worten „Ce que voyant peine n’en restais je pas petrifie“ (Fast ließ mich der Anblick versteinern).
Der Aufstieg Wiens zur europäischen Großmacht kann sicherlich auch mit dem Sieg über das Osmanische Reich begründet werden. Ekkehard Eickhoffs Darstellung des Umbruchs in Südosteuropa hat als Handlungsrahmen zwar nur 55 Jahre gewählt, jedoch sind die Ereignisse dieses halben Jahrhunderts von großer Tragweite für die nachfolgende Geschichte. Eickhoff hat Wien, Venedig, die Hohe Pforte, Ungarn, Galizien, die Ukraine, Dalmatien, Griechenland, die Ägäis und die Dardanellen zu den Orten seiner Handlung gewählt und bringt Offiziere, Staatsdiener und Diplomaten der Republik Venedig, den Hof des Sonnenkönigs und Vertreter des kaiserlichen Wien als Augenzeugen wieder zum Sprechen. Seine Studien und Forschungen hat er in diversen Archiven ausgeführt und legt mit vorliegendem Buch einen handfesten Beweis seiner Beschlagenheit vor. Auch wenn manche Formulierungen, die auf das Osmanische Reich gemünzt sind, wie etwa „(…) Das alles führte zu ständig steigenden Preisen bei schrumpfendem Realeinkommen des Volkes und stagnierenden Staatseinkünften.“ oder „Johann Sobieski ist ein vollkommenes Kind seiner Zeit.“ mir etwas zu modern erscheinen, bleibt schließlich kein Zweifel an der Seriosität des Unterfangens.
Ekkehard Eickhoff
Venedig, Wien und die Osmanen
Umbruch in Südosteuropa 1645-1700