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Wolf Haas - Auferstehung der Toten
Buchinformation
Haas, Wolf - Auferstehung der Toten bestellen
Haas, Wolf:
Auferstehung der Toten

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(Bücher frei Haus)

Die erste Geschichte aus der sich inzwischen über acht Romane und beinahe zwanzig Jahre (zirka 1990 und 2010) erstreckenden Serie um den eher unfreiwillig und oft ziemlich unglückselig als Privatdetektiv agierenden ehemaligen Wiener Polizisten Simon Brenner ist, wie ich gerade merke, das ideale Einsteigerbuch ins Brenner-Austria-Krimi-Genre gewesen. Aber das passt! Brenners Fluch ist doch ebenfalls, dass er alles so halb mitkriegt, ohne es wirklich zu merken - dann viel später schlagartig erkennt, was er am Anfang verpasst hatte.

Der erste Brenner spielt in Zell am See im Pongau, im Salzburger Land. Unterhalb von den Tauernstauseen, die nämlich eine angebliche Befreiungsbewegung, von der am Ort aber jeder weiß, dass bloß ein einzelner Spinner dahintersteckt, zu sprengen ankündigt. Aber nicht zu Ostern, wie du jetzt geglaubt hast (ha, du musst lernen, dass bei Brenner-Romanen einer direkt zu dir spricht, aber nicht der Brenner, sondern so ein Unbekannter, man weiß nichts Genaues über den), sondern im September, quasi Herbst, aber Jahrhundertsommer, Klimakatastrophe, 30 Grad. Die zwei Toten sind im Winter gestorben - ein altes Ehepaar aus Amerika. Die hat man in den Skilift gesetzt und sie gestoppt und hängen und erfrieren lassen. Sie stehen nicht auf, sondern einer geht her und hebt Geld von ihrem Konto ab. Der Depp von der Zeitung schreibt es nur so mit Auferstehung. Außerdem kann man verraten, dass diese Amerikaner ein Geheimnis von der Hochzeit von dem, sagen wir, Tycoon vom Ort, Zell, gekannt hatten, weil sie mit ihm verwandt sind. Und dass es in der Familie Inzest gegeben hat. Dass der Verrückte, der Versager, der mit dem Anschlag, der Neffe von diesem Großkotz ist. Der hat dem sein Alibi gegeben, im Winter, obwohl sie sich spinnefeind sind.

Also, du merkst, es ist ein wenig anders wie sonst, quasi Alpen-Philip-Marlowe. Und der Brenner seit neun Monaten jetzt in Zell, weil die Polizei den Fall nicht gelöst hat, Brenner quasi gekündigt, rausgeschmissen, irgendwie, jetzt Detektiv für eine Agentur, Versicherungsrecherchen. Jetzt fragst du dich, wie das geht, dass die ihm den Gasthof so lange zahlen, wenn er nichts leistet. Wieso er in Wien seine leere Buwog-Wohnung noch hat, um die er sich jetzt auch langsam ängstigt. Solche Dinge darfst du dich bei Brenner-Ermittlungen aber niemals fragen.

Der Wolf Haas, wie er das damals erfunden hat, war ein Germanist und Werbetexter in Wien, aber eben von Maria Alm am Steinernen Meer her, ebenfalls Salzburger Land, paar Kilometer entfernt. Da weiß man, wie er auf Zell am See kam. Dann einen Erfolgsmenschen, der alle in den Boden sauft und das Eisstockschießen gewinnt und dem ein Panoramaschuppen gehört am Berg und der mit den ganz jungen Mädchen was laufen hat. Das kann man sich gut alles ausmalen.

Aber, es fällt dir nur nicht auf, wenn du vorher nie einen Brenner gelesen hast, den ersten zuerst liest: Erster Satz ist nicht „Jetzt ist schon wieder was passiert.“ Und bis zum ersten Mal ding kommt ... So etwa: „Und dann war da noch der, der ding dabei“ ... hast du das halbe Buch gelesen und es fällt dir nicht auf, dass das eine typische Brenner-Manier ist, ding da. Und die sprechen hier ganz lesbar in der wörtlichen Rede mit so Gänsefüßchen, nicht dauernd indirekt, weil der ding dir‘s erzählt, der Erzähler, wo du nie weißt, wer der überhaupt ist. Das ist aber der Haupteffekt vom Buch, dass dieser Erzähler, so, ah, wie sag ich, „österreichisch“ ist. Also vielleicht langsamer wie die eine Deutsche in „Auferstehung der Toten“, die keine Hände hat, nur Armstümpfe, aber Niki Lauda auf der Autobahn, weil ein Steuer wie ein Schiffsrad. So eine ist dann schnell. Der Brenner ist eher langsam. Und der Erzähler ebenso. Weil er immer, wenn er was anfängt, lieber noch was ganz anderes bespricht. Es fällt sich so ins Wort.

Das macht den singulären Tonfall von all den Brenner-Büchern aus, den du zuerst für eine öde-komische Masche hältst, bis du irgendwann, so ab dem vierten, fünften Fall, merkst, dass du süchtig nach dem bist. Also rechtzeitig aufhören, nur so als Rat. Das ist schon so. Aber jetzt, warum der erste Brenner da der beste ist, um es das zu lernen: Weil da hat er nicht vier kriminelle Geschichten in eine hinein verpackt. Und das sind nicht zehn bis vierzehn Einheimische, die mit lauter Namen vorbeirauschen und du siehst sie aber noch gar nicht, da fallen sie schon tot um. Bei „Auferstehung der Toten“ hat Wolf Haas es bei einer einzigen Geschichte belassen. Es wird auch nur einer im Buch dann noch ermordet. Täter gefasst sowieso, was glaubst du. Obwohl ...

Praktisch für den Einsteiger ist vor allem, dass einem die Figur dieses Detektivs noch erklärt wird. Denn man muss sagen: Meister der Nebenbei-Charakterisierung ist Haas nicht. Als Autor sieht der manchmal irgendwelche Figuren vor sich, aber du - als Leser - siehst sie nicht richtig. Jetzt der Brenner schon weit in den Vierzigern und nie zu eigenem Herd und Familie gelangt. Weil Kind quasi, fremd und nicht abgeholt in dieser Welt. Und tief gekerbtes Gesicht und schreckliche Migräne und leise und beharrlich. Und, sagt der Haas, alle Frauen gleich Beschützerinstinkt, alle Männer sehen nur den Behinderten. Also Affären, am Ende doch wieder Goodbye, Philip Marlowe.

Jetzt, wenn man ehrlich ist, was man ja nie sein darf in so Buchbesprechungen, aber für dich heute, dann sind die Fabeln von den Brennerkrimis schon ziemlich unglaubhaft, geradezu abstrus bisweilen. Wenn ich dir sage, dass außer den Erfrorenen (vor Weihnachten) und der Hitze (im September), im dünnen Roman noch eine Uhrzeigerfabrik vorkommt, wo die Arbeiter am Farbstoff sterben, eine Laienspielschar und eine Schauspielerin, die sich mit einer amerikanischen Toten so stark identifiziert, dass sie sich Clare Corrigan nennt, obwohl Zellerin, eine Besinnung auf die patriotische Errungenschaft der Kapruner Staumauern nach dem Krieg, der sogenannte Preußenstadl, Luxuswohnanlage mit zwei Lifts, ein Eisstockschießen, im Sommer, eine Freiwillige Feuerwehr, wo der Kommandant die Brandstelle, explodierte Tankstelle, mit einer anderen verwechselt, kein Feuer, ein Friedhof, ein Gottesdienst, der Streit mit dem Reporter von der Zeitung und einer mit dem gewesenen Chef aus Wien, der Brenner seine „Tschechenaugen“ ankreidet ... ahnst du, dass so eine Brennerbuch-Handlung Richtung absurd tendiert.

Dann kommt das Problem, dass der Haas, also der Autor von den Büchern, sozusagen Opfer seiner Strategie ist, dass der Erzähler ständig einen Zinnober machen soll, wenn er einfach nur was sagen will. Wenn zum Beispiel der Brenner die Deutsche in dieser Luxuswohnung besucht, sagt er dir, da ist noch jemand dort. Aber nicht, wer, also nicht gleich. Weil immer drumrum anfangs. Jetzt muss er dir was hinschreiben, wieso die gewusst haben, dass Brenner das ist, weil unten Kamera, und wie der Teppich aussieht und was man aus dem Fenster sieht. Damit du seine „sonderbare Art zu schreiben“ immer kriegst. Ja gut. Aber dann ist es die Clare Corrigan, die noch da ist, was dich jetzt nicht so dermaßen schockiert. Und da muss er dir begründen, wieso das überhaupt sein kann, dass die gerade da ist. Obwohl er dir nie begründet, wieso man den Brenner einen ungelösten Fall neun volle Monate recherchieren lässt für Geld. Da fragst du dich schon: „Wieso muss ich das denn auch noch lesen?“

So lässt sich sagen, weil sie ihre spezielle Erzählertonlage haben, sind die Brenner-Krimis wie sonst überhaupt keine Krimis. Und die haben schon was. Und machen dich süchtig. Aber sie sind nicht so sehr eingängig und gehen dir auch mal auf dem Geist. Das kann man nicht vorher wissen, ob das für dich was taugt. Hier, beim allerersten, da hat er das alles noch nicht komplett beisammen. Da entwickelt er es noch. Deswegen bei diesem Mal ziemlich problemfrei zu lesen (wenn auch nicht typisch). Das wird sich dann noch ändern.

Zitat:

Jetzt darfst du nicht vergessen, daß über Zell , also eigentlich im Glocknermassiv, praktisch direkt über den Köpfen der Zeller, einer der größten Stauseen von ganz Europa ist. Das ist den Leuten ja gar nicht bewußt, wenn sie durch Zell gehen. Daß da über ihnen, praktisch wie ein Damokles, wenn die bricht, so eine Staumauer. Weil die Moosersperre, das ist eine von den drei Staumauern. Und die steht praktisch mitten in diesem Gebiet, das „Heidnische Kirche“ heißt. Wo der Name herkommt, weiß man nicht.
Und dann gibt es noch die Drossensperre und die Limbergsperre. Es ist natürlich unmöglich, daß eine Mauer wirklich bricht. Aber sagen wir einmal so. Wenn die bricht, da brauchst du nicht glauben, daß ein einziger Zeller das überlebt.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-09-18)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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