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Peter Handke - Versuch über die Jukebox
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Handke, Peter:
Versuch über die
Jukebox

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(Bücher frei Haus)

Handke ist im Rahmen der österreichischen Literatur der siebziger und achtziger Jahre als „Antipode“ Thomas Bernhards beschrieben worden. Die beiden Herren gingen sich, nach ihrem anfänglichen Lehrer-Schüler-Verhältnis, zu Lebzeiten vorsichtig aus dem Weg. Handke lobte Bernhard immer noch ab und an und Bernhard sagte vergleichsweise wenig Negatives über Handke, öffentlich. Eher über die „Grazer Schule“, zu der Handke ja gezählt wurde, und über Jandl und die Mayröcker, das seien talentlose Schulmeister.

Handkes „Versuch über die Jukebox“ berichtet von einem längeren winterlichen Aufenthalt in einem abgelegenen Teil von Spanien. Von vornherein steht für den Dichter fest, er wird sich an diesem Ort mit einem mythischen Objekt seiner Jugendjahre beschäftigen, der Jukebox. Neben dem „Versuch über den geglückten Tag“ ist es eine weitere Arbeit, in der Handke aus den Songs von Van Morrison zitiert. Gar so hehr über den Boden abgeschwebt, wie sein Image vom Rilke-George-Nachfahren es verkündet, ist er nun doch nicht. Und sein Sprachklang ist immer wieder verblüffend ähnlich dem bei Thomas Bernhard. Lange, unüberschaubar in einander verschachtelte Satzarchitekturen.

Auch die Manier eines priesterlich Vordenkenden, eines Mannes, der sich von allen sozialen Verbindungen gelöst hat, um seinen Lesern vom wahren Wesen der Welt berichten zu können, hat was Bernhard-Hochfahrendes. Unter Attacken der Bescheidenheit und Schüchternheit scheinen die zwei Österreicher und Suhrkamp-Helden nie gelitten zu haben. Ja - auch der rhetorische Trick, ein halbes Buch lang darüber zu schreiben, dass man dieses Buch also demnächst dann schreiben werde, erinnert einigermaßen an die vielen „Studien“, mit denen Bernhards Protagonisten meist nie zu Rande kommen.

Stellen wir uns einen hageren Typen vor, der den Rainer-Maria-Lookalike-Wettbewerb in diesem Jahr gewonnen hat und jetzt ein Hotelzimmer im ariden Inneren Kastilien bezieht. Handke sagt: wahrscheinlich der „stillste Ort“ Spaniens. Die kleinste Provinzhauptstadt auf jeden Fall. Und warum gerade hier und nicht am schönen Mittelmeer oder im wärmeren Andalusien? Eben weil vormals der große Antonio Machado durch diese Straßen gewandelt ist. 1939 verstorbener Lyriker, entkräftet gestorben, an der Seite seiner Mutter, auf der Flucht vor Franco.

Nun schreiben wir in diesem Soria jedoch nicht über Machado, vielmehr in geistiger Verwandtschaft mit ihm über den Zauber, den die Wurlitzer-Jukebox in den fünfziger Jahren in die eigene Jugend in Kärnten hineingebracht hatte. Und wenn wir so sinnen, wohin unsere müßigen Schritte als Nächstes wohl gehen werden, fällt uns Casarsa ein. Denn dort war nicht nur der norditalienische Lyriker Pier Paolo Pasolini ein Kind, sondern vor allem stehen dort heute (also, Ende der achtziger Jahre) mehrere dieser zauberischen Jukeboxen noch in Blüte!

Wer nicht bereit ist, dem Einzelmensch Peter Handke einen, sozusagen, Jesus-Status seines Künstlerseins sozusagen stellvertretend für uns andere arme Würmchen aus dem Banal-Leben zuzugestehen, ist verloren in solchen (immerhin recht bald durchgelesenen) Büchlein.

Zitat:

Von der anmutigen, reichen und jukeboxgesäuberten Kapitale Udine war er an einem Sommerabend hier, „hinter dem Tagliamento“ angekommen, als Grund nur sechs Gedichtworte von Pasolini, der in dieser Kleinstadt einen Teil seiner Jugend verbracht hatte und später die Jukeboxen von Rom, im Verein mit den Flipperautomaten, als die amerikanische Fortführung des Krieges mit anderen Mittel geschmäht hatte: „in der verzweifelten Leere von Casarsa“. Nach einem versuchten Rundgang über die Ränder hinaus, wegen des Verkehrs auf allen Ausfahrtsstraßen bald abgebrochen, drehte er um, betrat aufs Geratewohl die nicht wenigen Bars, und in fast einer jeden leuchtete ihm, schon von der Straße aus, eine Jukebox entgegen (die eine vornehmere hatte eine Videobox, mit einem Bildschirm hoch oben, von wo auch der Ton wegstrahlte). Und alle diese vielgestaltigen, alten und neuen, Kästen waren in Betrieb, spielten, nicht Hintergrundmusik wie sonst oft, vielmehr vordringlich, laut; dröhnten.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-02-19)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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