„Ich liebe das Meer und bade in demselben mein Herz“, soll Peter Rosegger einmal am Strand des Quarnero ausgerufen haben und wie so viele andere seiner Zeit, das ausgedrückt haben, wonach allen war: Sonne, Strand und Meer, Freude, Erholung und vielleicht noch ein Kurschatten? Die „Etablissements der Südbahn“ verkörperten sicherlich die Sehnsuchtsorte der Bewohner Kakaniens, denn in kaisergelben Hotelpalästen und Villen im nordwestlichen Winkel des Golfs von Fiume fänden sich Gäste aus Wien und Budapest, Prag, Krakau und Lemberg zu einem Stelldichein ein. Hier traf man sich, um den neuesten Tratsch und Klatsch zu erfahren, und sich im „Curort Abbazia“ heilen zu lassen, entweder von der Einsamkeit oder einer wirklichen Krankheit. Das Verdrängen und Vergessen der wirklichen Welt sei hier zum Prinzip erhoben worden, schreibt Sachslehner, und Abbazia, heute Opatija, habe einen ganz eigenen Rhythmus gehabt, „frei vom modernen Teufel, genannt Nervosität“, so nochmals der schon eingangs zitierte Peter Rosegger.
Die „österreichische Riviera“, in der gleichsam eine eigentümliche Parallelwelt Kakaniens erschaffen worden sei, so Sachslehner, sei ein „Schweben in Genuss und Glück und Leichtsinn vor prachtvoller Kulisse und herrlicher Dekoration“ gewesen. Ein „Österreich am Meer“ zu träumen, war damals noch opportun, da real und die „Marschall Tito Straße“ hieß großspurig „Kaiser Franz Josef Jubiläums Reichsstraße“, das Hotel Quarnero heißt heute Kvarner, aber sein Glanz strahlt noch genauso hell. Eine etwas blutrünstigere Erklärung findet sich für die Bezeichnung des Meeres, das diese Gegend umschmiegt. Das Mare Quaternarium, sei deswegen aus „vier Teilen bestehend“, weil Medea auf ihrer Flucht ihren Bruder in vier Teile geschnitten hätte, um ihren Verfolger, König Aetes, aufzuhalten. Ein Teil, der Schenkelknochen, sei die Insel Cherso (Cres), ein Armknochen Lussin (Losinj), Veglia (Krk) sei wiederum ein Schulterblatt gewesen und die Inseln Unie, Levrera und Sansego weitere Knöchelchen. „Quarnero“ dürfte sich allerdings vom italienischen „carnivoro“ (Fleischfresser) herleiten, da die stürmische See so manchen venezianischen Seefahrer das Leben gekostet habe.
Am Vorabend des Großen Krieges, im April 1914, saßen sich die Minister in Abbazia gegenüber. Aber sie mussten tatsächlich „arbeiten“, denn es ging darum, die imperialen Ansprüche des jeweils anderen einzudämmen und einen Krieg zu verhindern. Das Treffen endet mit einem Telegramm, das „in besonders feierlicher Weise kundgab, dass abermals die vollkommene Übereinstimmung der drei verbündeten Mächte festgestellt worden sei“. Der Dreibund zwischen Österreich-Ungarn, dem Deutschen Reich und Italien stünde auf einer Linie, zur Erhaltung des Friedens selbstverständlich. Ein halbes Jahr später war nicht nur Abbazia Kriegsschauplatz, sondern ganz Europa. Und nicht nur eine Welt ging unter, sondern auch das alte „Abbazia“, das kleine „Österreich am Meer“. Gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial schildert der studierte Germanist und Historiker Johannes Sachslehner in diesem reich illustrierten Band den Aufstieg Abbazias von der kleinen „klimatischen Winterstation“ der k. k. priv. Südbahn-Gesellschaft zum mondänen Seebad an der Österreichischen Riviera.
Johannes Sachslehner
Abbazia - K. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria
März 2011
ISBN: 978-3-7012-0062-7
204 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-09-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.