Auch zum 300. Geburtstag Friedrich II. wurde vieles publiziert, das alte Klischees bediente. Da wurde, wie eh und je, vom aufgeklärten Monarchen und dem Salomon des Nordens ebenso gesprochen wie nicht minder bekannt vom skrupellosen Machtmenschen, der sich eines philosophischen Ornats bediente, um seine kalte Machtpolitik zu kaschieren. Zwei Aspekte kamen auch bei diesem erneuten Anlass, sich mit Friedrich II. zu befassen, zu kurz oder fanden gar keine Erwähnung. Zum einen der Perspektivenwandel in der Rezeption, der aus dem jeweiligen politischen Zeitgeist hervorgeht und zum anderen die Rolle Voltaires. Beides war wieder einmal sakrosankt, weil es das Spiel der ideologischen Instrumentalisierung Friedrichs II. gründlich verdorben hätte.
Das Buch Hans Joachim Schädlichs, Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II.. Eine Novelle, macht da eine gründliche Ausnahme. Dazu bedurfte es großen Mutes des Autors, sich einer Technik zu bedienen, die besonders bei Intellektuellen in Deutschland stets als suspekt galt: Schädlich schmilzt die historischen Umstände, unter denen sich die Beziehung zwischen Preußenkönig und Philosophenikone entwickelte, ab auf die kalten Strukturen. Die Handlung wiederum wird sowohl sprachlich als auch in Bezug auf ihre Aussage reduziert auf das Genre des Polizeiberichts. Und schon ist es so gar nicht mehr möglich, ins Schwärmen und Phantasieren zu geraten, sondern es tritt eine Ernüchterung ein, die ihresgleichen sucht.
Beide Protagonisten werden zu ganz normalen Akteuren ohne illustre Aura und es wird deutlich, dass Voltaire ein Philosoph war, der durchaus materiell und politisch dachte und seinerseits bereit war, im Auftrage Frankreichs den Preußenkönig etwas auszuspionieren. Genauso wie Friedrich II. die Hitze besaß, um dem französischen Literaten die Bitte zu unterbreiten, seine Poesie zu redigieren als auch die Kälte, dem geistigen Wegbereiter der französischen Revolution seine mächtige Faust zu zeigen, als ihm die Beziehung politisch zu gefährlich wurde. Das ist insgesamt eine Entmystifizierung, die der Diskussion um das Verhältnis von Friedrich II. und Voltaire zueinander sehr gut tut und es schwerer macht, die Diskussion zu führen, um heutige, zeitgenössische politische Sträuße auszufechten.
Bei aller Reduktion, die im Wesen strukturalistisch, in der Ausführung lakonisch genannt werden kann, gelingt es Schädlich darüber hinaus, eine Fragestellung aufzuwerfen, die tatsächlich dazu beiträgt, aus einer strikt historischen eine universale Debatte werden zu lassen. Aus dem kalten Bericht Schädlichs, bei Bewertung der reinen Faktenlage, drängt sich nämlich die Frage auf, wieviel Philosophie verträgt eigentlich ein Mächtiger, ohne sich in seiner Rolle zu gefährden und wieviel Macht und Politik kann ein Philosoph in seinem Leben verarbeiten, ohne sein höchstes Gut, die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit, zu verlieren. Diese, quasi unter der beschriebenen Handlung liegende Fragestellung ist es, die das Buch zu einem respektablen Gewinn werden lässt.
Und bei der Betrachtung der beiden historischen Figuren kommt man zu dem Schluss, dass die immer wieder unterstellte Bipolarität von Philosophie und Macht eine Illusion ist, dass die Mächtigen durchaus philosophisch sind und die Philosophen ebenso politisch. Da geht es dann nicht mehr um Gut und Böse, sondern um Rollen in einem Spiel nach archaischen Regeln, was außerordentlich wohltuend ist, bei dem zuhauf existierenden ideologischen Kitsch.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-02-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.