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Die Herleitung des perfekten Verbrechers
Autor: Sean · Rubrik:
Kolumne

Service: Entdecke Verbrecher in Deiner unmittelbaren Nähe, wie Deine Ehefrau, Deinen Nachbarn, Deinen Bruder, der sich tagsüber als Jurist tarnt. -Nur eines bitte nicht tun: Die Strafverfolgung in die eigenen Hände nehmen!

§ 1

Der perfekte Verbrecher wird eine Umwertung der Normalität vornehmen, indem er sie quantifiziert: Verbrechen sind quantifizierte Normalität. Der perfekte Verbrecher wird der Zweiteilung seines Verhaltes – in normal und von der Norm abweichend – also mit einer Art „fuzzy logic“ begegnen. Jene fuzzy logic gebietet einer „Wesenheit“ wie blau, eine „Wertigkeit“ wie hellblau, was den Wiedereintritt in ein vollkommen neues, nicht-positives Recht bedeutet. Im Sinne einer schöpferischen Physik, wird das positive Recht also Bauplan perfekter Verbrechen. Der perfekte Verbrecher kultiviert seine kriminelle Energie als advokatische Kompetenz, welche der Vorausschau möglicher Verbrechen dient, nicht der Verteidigung vor Gericht.


§ 2

Perfekte Verbrechen dürften sowieso keine Reaktionen herbeiführen, der perfekte Verbrecher auch keine konventionelle gesellschaftliche Rolle einnehmen. Was für den gewöhnlichen Verbrecher gilt, dass er nämlich regulärer Wirkungsfaktor des sozialen Lebens ist, trifft auf den perfekten Verbrecher nicht zu. Perfekte Verbrecher können zukünftige Moral antizipieren, so wie Robin Hood, indem Tyrannei im Anschluss umgedeutet wird. Robin mag nur eine literarische Figur aus der englischen „Gest“ darstellen, ein mittelalterliches Gesangbuch, aber sein Verbrecher-Mythos lebt. Verbrechen sind, in Abhängigkeit vom Zeitpunkt, quantifizierte Normalität.


§ 3

Im Gegensatz zu Verbrechern, hat der Rechtsschützer letzte Gründe für sein Handeln nachzuweisen. Er muss sich auf Ideen des Staats berufen, dabei sind gelungene Verbrechen Anti-Ideen schlechthin. Der perfekte Verbrecher lebt im Zustand raschen sozialen Wandels. Diesen Zustand, bekannt auch als Anomie, führt er selbst herbei, oder provoziert ihn, weil darin Normen und Erwartungen unbekannt sind. Während der Kriminologe angestrengt gesellschaftliches Chaos bekämpft, schafft sich der perfekte Verbrecher ein Chaos und lebt darin als Phantom.


§ 4

Um seine Ziele durchzusetzen, verfügt der perfekte Verbrecher über legale (sic!) und illegale Mittel. In der Regel fallen kulturelle Ziele wie Wohlstand und die dazu notwendigen Mitteln (zum Beispiel Bildung) weit auseinander. Nicht so in der chaotischen Gesellschaft, wo der perfekte Verbrecher als Lehrer von „Mächten“ auftritt (darunter fallen juristisch gesehen auch Naturerscheinungen, wie Blitze). Als Teil einer Subkultur, wird er seinen Schülern kriminelle Rollen zuteilen, deren Zugangschancen von den Zielen der Gruppe abhängen, nicht von gesellschaftlichen. Als Lernziel veranschlagt der perfekte Verbrecher solche Inhalte, die in Bezug auf drohende Sanktionen schnell veränderbar sind, also auch fuzzy-logisch. Zum Beispiel „Gerechtigkeit“. Bei fortgeschrittener Anomie kann sogar der Sonderfall auftreten, dass der perfekte Verbrecher gerechte Menschen ausbildet, die sich ausschließlich ans Gesetz halten – ja, weil es der Sache dient! Durch den hohen Innovations-Druck nämlich, mutieren Gesetze zu quasi Verbrecher-Regeln. Daraus erhellt, dass der Erfolg vial illegale Mittel für einen perfekten Verbrecher überhaupt nicht entscheidend ist, sondern der Zugang zu Mitteln überhaupt – und wenn es Gut-sein bedeutet!


§ 5

In der Regel haben Außenseiter beschränkten Zugang zu legalen Mitteln, das ist klar, verstehen sich auch nicht auf die Kunst illegale Mittel wirksam umzudeuten – erst recht nicht, wenn sie einmal in die Mühlen der Strafjustiz geraten sind. Dabei treffen die Gesetze der BRD ja überhaupt nicht zu! Sondern nur die Verhandlung darüber. Der lange Weg von der Verübung einer Straftat bis zum Richterspruch, veranschaulicht das. Schon mal die Verhaftung eines Täters veranlasst? Der Haftrichter kann schlecht aus dem Bauch heraus, so wie ich, sondern muss sich an bestimmte Regeln halten, die - im philosophischen Sinne aber – wenig analytisch sind. Ein Verstoß gegen Regel x hat nicht notgedrungen Strafe y zur Folge, wenngleich die Beweise ausreichen mögen. Hinzu kommt ein „Portfolio“ mildernder Umstände, die ich hier gar nicht aufzählen kann. Mein Elternhaus etc. etc.


§ 6

Das ÜBER-ICH sei Kontrollinstanz, ES der unkontrollierbare Instinktbereich und das ICH die Schnittstelle aus diesen beiden Teilen. Schon die eigene (kriminelle) Persönlichkeit ist dialogisch angelegt, also keine feste Entität. Polizei und Gericht selektieren und verhandeln, ehe sie einen Verdächtigen zum „Täter“ stempeln. Dabei kann die Bindung an die soziale Norm und das tatsächliche Ausmaß der Normabweichung im „Dunkelfeld“ ganz verloren gehen. Genau meine Rede. Insofern ist Dunkelfeldforschung eine Art Hilfswissenschaft des Verbrechertums, nicht wahr? Denn sie lehrt, wie ein perfekter Verbrecher dem Filterprozess, der ihn als Verbrecher eigentlich bloßlegen soll, ohne Flucht entgeht.


§7

Die Eigenschaft „kriminell“ war noch nie das Attribut eines Verbrechers, sondern das Ergebnis der Anwendung komplizierter Regeln. Politisch gesehen, kann Kriminalität gar als Instrument des Staates angesehen werden, der vermittels von Institutionen und Funktionsträgern, darüber souverän/willkürlich verfügt. Über welche Mittel verfügt jetzt der perfekte Verbrecher? Er könnte zunächst analytisch vorgehen, indem er jene „Gabelungen“ analysiert, die aus ihm einen Verbrecher machen. Tatsächlich hat der Delinquent, also der nicht überführte Verbrecher, nach dem Gerichtsurteil zahlreiche ontologische Veränderung erfahren („Tatverdächtiger“, „Täter“ etc.) – aber natürlich nicht freiwillig! Darum stemmt sich der perfekte Verbrecher gegen jede Form der Lehre vom Sein (Parminedes, Heidegger etc.) - so wie Chinesen. In China finden derzeit juristische Experimente statt, die der Propagierung des Rechts dienen. Dem armen Reisbauern wird sagt, er hätte einen Vorteil davon, wenn er schlichte Anwendungen des Rechts kennenlernt und mit Computern einübt. Prinzip Lochkarte: Der Regelverstoß x, sagt ihm der Computer, hat Strafe y zur Folge. Würde es sich in China um ein verbindliches Rechtsregime handeln, mit unpolitischen letzten Gründen, wären solche Übungen lobenswert. Despotie braucht man jedoch nicht wirklich zu üben. Selbst wenn der perfekte Verbrecher das Chaos liebt, er wird das deutsche Rechtssystem bevorzugen – weil hier sogar perfekte Verbrecher Rechte haben.


§ 8

Das bringt uns sogleich zum Thema: gesellschaftlicher Überbau, wie die marxistische Wissenschaft sagt. Der perfekte Verbrecher braucht welches politische Regime? Das ist die falsche Frage… Welches Regime stellt der perfekte Verbrecher eigentlich dar? Die sozialistische Kriminologie behauptet: Wurzel jeglicher Kriminalität ist die in antagonistischen Klassen geteilte Gesellschaft. Entsprechend viel Hoffnung hat man in die Machtübernahme des Proletariats gesetzt - so war das früher -, und führte die noch verbleibende Kriminalität auf Überreste der kapitalistischen Grundstruktur zurück. Ich muss sagen, das ist schon eine recht perfekte Idee, nicht wahr? Aber der perfekte Verbrecher ist ein kapitalistischer Luxus, das gilt es zu betonen.

Was taugt die Idee eines perfekten Verbrechers, wenn es keinen entsprechenden Klassenstandpunkt gibt? Es gibt durchaus einen entsprechenden Klassenstandpunkt, wenn vielleicht auch nur in Form der Philosophie eines Ex-Spions? Die Verbrecherfiguren von Edgar Wallace, Supergehirne wie Fantomas etc. Wenn wir noch Massenmörder wie Hitler, Stalin und Mao hinzunehmen, kommt zumindest eines zum Vorschein, dass ein überführter - oder toter Verbrecher, kein perfekter Verbrecher ist. Solche Verbrecher sind in noch einer anderen Hinsicht nicht perfekt, indem wir ihre Geschichten überhaupt kennen. In diesem Sinne…

www.seanschneider.de


Einstell-Datum: 2010-01-08

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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