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Literaturforum: Kuscheln statt Hoellebecq


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 Thema: Kuscheln statt Hoellebecq
Jawollja
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 06.08.2005 um 16:48 Uhr

Diese Nachricht wurde von Jawollja um 16:52:17 am 06.08.2005 editiert

Kontaktanzeigen im Internet boomen, entsprechende Online-Foren zählen inzwischen mehrere Millionen Mitglieder. Bei geringen bis gar keinen Gebühren bieten sie Singles den Vorteil, potentielle Partner gezielt und anonym nach Aussehen, Wohnort oder Interessen anzu-sprechen – eine Möglichkeit, die Umfragen zufolge gerade Frauen zu schätzen wissen. „Sanftes Anbaggern“ lautet die Devise. Ob diese neue Ausdrucksform weiblicher Emanzipation es auch für Männer einfacher macht, die „Frau des Lebens“ zu finden, dazu ein – betont subjektiver – Erfahrungsbericht.

Eigentlich ist Cora schuld. Nach dem zweiten Glas Chianti neulich ging es mal wieder um den üblichen Sex- und Beziehungsfrust bei urbanen Mittdreißigern, als sie plötzlich mit etwas herausrückte, womit wir Männer allemal zu beeindrucken sind, mit nackten Tatsachen nämlich:
„62 E-Mail-Kontakte in dreieinhalb Monaten. 17 Verabredungen insgesamt, darunter fünf Knutschereien und zwei Affären.“
„Du machst Witze“, grinste ich.
„Überhaupt nicht“, protestierte Cora. „Alle meine Freundinnen flirten übrigens im Internet.“
Im tröstenden Schleier des Chiantis wurde mir plötzlich zweierlei klar: Erstens, warum Cora in letzter Zeit einen so aufgeblühten Eindruck machte, zweitens, warum es in den Cafés neuerdings so viele angeregt plaudernde Pärchen zu beobachten gab.
Virtuelle Bekanntschaften, logisch.

So weit zur Vorgeschichte. Eine Woche später sitze ich vor dem Computer und schreibe diesen Bericht. Zurück liegen viele Stunden intensivsten Flirtens per Mausklick und Tastatur. Um es vorwegzunehmen: Es hat sich gelohnt. Aber nicht, weil ich meine Traumfrau gefunden habe, sondern weil ich endlich die Seele der postanalogen Single-Frau an sich ergründen durfte.
Aber der Reihe nach. Am Tag nach meinem Gespräch mit Cora hat-te ich mich in der von ihr empfohlenen Single-Börse eingeloggt. Außer Coras eindrucksvoller Flirtstatistik waren auch die auf der Startseite an-zuklickenden Referenzen viel versprechend: Testsieger da, fünf Sterne dort, ein Verhältnis Männer zu Frauen von 48 zu 52, sowie als besonderes Kennzeichen eine „überdurchschnittlich anspruchsvolle Klientel“.
Keine Frage, hier war ich richtig.
Das mit den Formalitäten klappte dann auch ganz prima: Pseudonym ausgedacht (ich entschied mich für ein kryptisches Konstrukt aus Initialen und Geburtsjahr), Passwort ausgedacht (Name der Ex-Freundin), Fotokopie des Ausweises weggefaxt (wegen der Seriosität) und ein paar Minuten später erhielt ich eine E-Mail mit meiner Freischaltung.
Dann kamen die ersten anspruchsvolleren Entscheidungen auf mich zu: Selbstdarstellungstext und Foto. In punkto Foto entschied ich mich für die Version „Freischaltung nach individueller Freigabe“. Schließlich wollte ich es vermeiden, dass meine im Internet surfenden Bekannten oder Nachbarn mich zufällig als liebeshungrigen Single outeten. Mit dem Selbstdarstellungstext war es schon schwieriger. Nach längerem Hin- und Her entschied ich mich für die Wahrheit.
„Gefährliche Geliebte gesucht“, lautete meine bewusst provokante Überschrift, und im weiteren kennzeichnete ich mich als ansehnlichen, sportlichen, kulturell gebildeten und sexuell normal orientierten Mann, zusätzlich ausgestattet mit ein paar Großstadtmacken sowie dem Um-stand, chronisch pleite zu sein. Außerdem, so betonte ich, ginge es mir weniger um eine feste Beziehung, als um ein interessantes, durchaus nicht nur amouröses Verhältnis, DVD-Abende bei italienischem Rotwein inbegriffen. Diese Angaben zusammen mit meinen biometrischen Daten, Sternzeichen und Rauchersymbol müssten eigentlich genügen, um die eine oder andere Antwort in meinem Postfach landen zu lassen. Dachte ich.
Zwei Tage später telefonierte ich mit Cora, der Internet-Power-Flirterin, um mir ein paar professionelle Tipps abzuholen.
„Nur abwarten reicht natürlich nicht, schon gar nicht bei Männern“, erklärte mir Cora in leicht belehrendem Tonfall. „Da musst du schon selber aktiv werden.“ Auch das mit dem Foto sollte ich mir noch mal überlegen. „Ohne Bild läuft bei mir erst mal gar nichts.“
Also schaltete ich mein Lächeln für das gesamte World-Wide-Web frei und wurde auch sonst aktiv. In die Suchmaske zu den weiblichen Singleprofilen gab ich meine Präferenzen ein und zeigte mich da aufgeschlossen: Alter 25 bis 40 Jahre, Größe, Haarfarbe, Augenfarbe und Stern-zeichen egal, Nichtraucherinnen und Kinder erstmal auch.
Einen Mausklick später hatte ich sie vor mir, meine potentiellen Traumfrauen, im oberen dreistelligen Bereich, und alphabetisch nach Pseudonymen sortiert.
Ach ja, die Pseudonyme. Ich gebe zu, dass meine kryptische XY00-Formel nicht sonderlich originell war, aber „1A-Rumpelstilzchen“, „Mau-si123“ oder „Superwoman108“ sind es noch weniger, außerdem verraten sie mehr über die Personen dahinter als denen vielleicht selbst lieb sein sollte.
Also konzentrierte ich mich im Folgenden auf die rechte Spalte mit den Überschriften der Selbstdarstellungen. Okay, flirtende Frauen müssen ja nicht zwingend eine lyrische Ader besitzen, aber mit Kreationen wie „Träume können wahr werden“, „Prinzessin küsst Frosch“, „Bärchen gesucht“, oder „Hallo, du da draußen“, erweckt frau einen feministisch ge-stählten Großstadtprinzen garantiert nicht aus dem Singleschlaf, zumal wenn sich die entsprechenden Autorinnen beim Reinklicken als „total unkonventionell“, „irre kreativ“ oder „einfach anders“ bezeichnen.
Aber immerhin hatten diese Frauen überhaupt etwas geschrieben. Gut ein Drittel der weiblichen Singles verzichtet nämlich gänzlich auf ei-nen Begleittext und vertraut in traditioneller Gepflogenheit voll und ganz dem Äußeren, sprich der Aussagekraft des Fotos – nebenbei ein Thema für sich). Manchmal fehlt allerdings sogar das, und es bleiben die biometrischen Angaben, das Pseudonym und das Sternzeichen. Zugegeben: Bei Konstellationen wie „Rubensfrau“, 158 cm, 78 kg, Löwin, reicht das bisweilen sogar als Entscheidungshilfe.
Also zurück zur Startseite. Trotz Flatrate: Zeit ist auch Geld, und nach zwei Stunden intensiver Singleprofilrecherche war meine Ausbeute gleich Null. Das heißt, da gab es eine Maja22, bildhübsch, mit besten Daten und sogar einem ordentlich formulierten Text, der aber besagte, dass „Bettgeschichten“ nicht für sie in Frage kämen, allein schon wegen der beiden Kinder.
Blieb als letzter Erfolg versprechender Ausweg die Volltextsuche mittels spezieller Suchbegriffe. Da ich nichts zu verlieren hatte (außer Zeit) ging ich aufs Ganze. „Houellebecq“ lautete mein Favorit, gleichzeitig einer meiner Lieblingsschriftsteller, und das wirklich nicht nur wegen der vielen pornografischen Szenen in seinen Werken. Jedenfalls, eine Frau, die diesen Namen in ihrer Selbstdarstellung erwähnte und ihn oben-drein auch noch richtig zu schreiben vermochte, würde ich vom Fleck weg heiraten. Ergebnis: Null Treffer.
Nächster Versuch: „Jazz“. Das allein schon wegen meiner Platten-sammlung, an der keine Frau über kurz oder lang vorbeikommt. Ergebnis: Zwei Treffer. Beim Reinklicken standen vor „Jazz“ allerdings die beiden erläuternden Wörter „mag keinen“.
Vorerst letzter Versuch: „John Lennon“. Ich sehe nämlich ein wenig so aus wie der einstige „Mann des Jahrhunderts“, wird mir nachge-sagt, wenn auch erst in dessen späten Yoko-Ono-Phase. Ergebnis: Unfass-bare null Treffer!
Aus lauter Verzweiflung und nicht ohne eine gewisse Häme gab ich dann doch noch einen Begriff ein: „Kuscheln“. Und siehe da, ich hätte bestimmt die ganze Nacht hindurch Frauenprofile studieren können.

„Dir ist wirklich nicht zu helfen“, versuchte mich Cora tags darauf zu trösten. „Es geht doch erst einmal nur um eine bloße Kontaktaufnahme. Beim Kneipenflirt fängst du ja auch nicht gleich mit Wittgenstein an.“
Darüber solle sie mal lieber schweigen, gab ich hinterhältig zurück, wohl wissend, dass Cora den Witz nicht kapieren würde.
„Mir haben diese Treffen jedenfalls Spaß gemacht“, sagte Cora, und ließ jetzt die Verlagskauffrau durchblitzen: „Außerdem konnte ich dadurch endlich mal meinen Marktwert überprüfen. War super für mein Ego. Und dieses Wochenende habe ich tatsächlich den Mann meines Le-bens gefunden.“
„Lass mich raten“, sagte ich: „Bärchen 123 vielleicht?“
„Nein, Thomas heißt er. Auf Jules Party haben wir uns kennen ge-lernt. Er hat mich einfach angequatscht und es war Liebe auf den ersten Blick. Du … ich muss los.“
Zurück am Computer wählte ich mich noch einmal im Flirtcafé ein. Kurzerhand gab ich den Vornamen und die ungefähren biometrischen Daten meiner letzten Freundin ein und klickte auf den Suchbutton.
Ein Treffer. Und die Frau hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Ex. Ihr Begleittext bestand aus einem einzigen, kurzen Satz:
„Und tschüß!“
Es gibt sie also doch noch, die Klasse-Frauen.

PS: Da ist mir beim Schreiben des Titels doch glatt ein freudianischer Fauxpas unterlaufen ...


dh
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