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Teufelchen
Autor: Stefan F. · Rubrik:
Kurzgeschichten

Reflexionen eines Jubilaren

So, da stehst du nun.
Du hast Tränen der Rührung in den Augen und kannst dadurch deine Kollegen nur noch verschwommen sehen. Ja, sie sind alle gekommen, prosten dir zu, klopften auf deine Schultern und klatschten brav, als dein Chef dich zum Rednerpult holte.
Nun bist gegen deinen Willen gerührt von so viel Anteilnahme und hast einen Kloß im Hals.

Der Chef ist bemüht lustig, lächelt nur mit dem Mund und lacht über seine Scherze am lautesten. Trotz der schon fast peinlichen Vorstellung lachen alle mit und klatschen ihm Beifall. Er ist schließlich der Chef. Aber du kannst ihn eigentlich gar nicht leiden. So viele Schlachten habt ihr schon geschlagen, ihr seid in all den Jahren so oft aneinander geraten und mit den Köpfen zusammen gestoßen. Du hast dabei viel zu oft den kürzeren gezogen. Er ist schließlich dein Chef. Und wie er sich in seinem Erfolg über dich gesuhlt hat, das Schwein!
Ja, du findest er ist ein Schwein. Aber du sagst es ihm nicht. Nicht einmal jetzt, wo du doch nichts mehr zu verlieren hast. Du bist ein Feigling. Dieses Arschloch, dass dich all die Jahre malträtiert, terrorisiert und gemobbt hat, legt seinen Arm um deine Schultern. Als wart ihr in all den Jahren die besten Freunde. Er grinst dich mit seinem falschen Grinsen an. Und du hast Tränen der Rührung in den Augen und grinst zurück. Schäm dich.

Er überreicht dir eine goldene Uhr.
Das Standardgeschenk nach all den Jahren in der Firma. Doch was soll sie bedeuten, fragst du dich. Soll sie dich an die wenige Zeit erinnern, die dir noch bleibt? Oder an die viele Zeit, die du in der Firma verbracht hast und doch viel sinnvoller nutzen hättest können?
Vielleicht ist sie von symbolischer Bedeutung? Ja, das wird es sein, denkst du dir. Sie symbolisiert die goldene Handschelle, die dich an diese Firma jetzt vierzig Jahre gefesselt hat. Vierzig Jahre, jeden Arbeitstag marschierst du nun durch das Tor. Damals, als du hier angefangen hast, da hättest du niemals gedacht, dass du hier stehst und die goldene Handfessel unter Tränen und mit einem Kloß im Hals entgegen nimmst. Du hattest Plane. Nur ein paar Jahre noch, bis du genug Geld hast, dann, ja dann...

Dann trat deine Frau in dein Leben. Gut ein paar Jahre länger, zu Zweit ist das Leben teurer. Aber dann ... kamen die Kinder und es wurden noch ein paar Jahre dran gehängt.
Jetzt bist du Opa, hast vierzigjähriges Dienstjubiläum und bekommst die verhasste goldene Uhr. Die Handschelle, die dich auch nach deinem Ruhestand an die Firma binden soll. Und dabei ist sie nicht einmal aus Gold!
Du bekommst die vergoldete, billige Kopie der Firmenuhr. Für die Uhr aus Gold bist du nicht weit genug aufgestiegen. Wie sollte das auch klappen? Du hattest ja nur vierzig Jahre Zeit. Ha! Und zu allem Hohn ist dein Chef noch nicht einmal vierzig. Er hat halt studiert und wurde so ganz nebenbei dein Chef.

Du nimmst die vergoldete Uhr und Tränen rinnen deine Wangen hinunter. So weit hat es die Fessel schon gebracht. Sie hat nicht nur deinen Körper all die langen Jahre an die Firma gefesselt. Sie hat deine Einstellung so lange bearbeitet, dass du jetzt in Tränen der Rührung ausbrichst.
Du könntest deinem Chef jetzt endlich mal die Meinung sagen. Alles raus lassen, ihm voll auf seinen Schreibtisch kacken! Vor versammelter Mannschaft bloßstellen. Das wäre ein innerer Triumph. Aber das würde diesen schönen Augenblick zerstören. Alle sind deinentwegen hier und gratulieren dir. Das willst du erstmal auskosten. Später vielleicht, ja später hättest du bestimmt den Mut, mal mit dem Chef ein offenes Wort zu wechseln.

Aber erstmal solltest du aufhören zu heulen und endlich ein paar heuchlerische Worte des Dankes finden! Sieh dich mal um. Alle starren dich an und warten auf deine Rede! Reiß dich endlich zusammen, wisch die Tränen weg und schluck den Kloß runter!
Na also, geht doch!
Und jetzt sprich mir nach: „Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid ...“


Einstell-Datum: 2008-11-01

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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