Das vorliegende dreibändige Handbuch des Metzler Verlages zur Literaturgeschichte, dessen Bände nicht einzeln bezogen werden können, ist nach folgenden Kriterien gegliedert: Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe, Band 2: Methoden und Theorien, Band 3: Institutionen und Praxisfelder. Der Herausgeber Thomas Anz, seines Zeichens Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Marburg, ist natürlich nur einer von vielen Autoren, der sich dem „Kulturphänomen“ Literaturwissenschaft wissenschaftlich annähert. Insgesamt sind es 70 (!) Wissenschaftler auch aus anderen Disziplinen, die an diesem Handbuch mitgewirkt haben, was auch zeigt, dass die Literaturwissenschaft eine wichtige Rolle im Austausch mit den Kultur-, Sozial-, Kunst- und Medienwissenschaften spielt. „Das Handbuch zeigt, auf welchen Grundlagen die Literaturwissenschaft fußt. Es stellt u. a. Texttypen und thematische Merkmale vor, untersucht die Rolle des Autors wie des Lesers und fächert Textanalyse und -interpretation auf. In den Blickpunkt rücken auch Theorien und Methoden, die Geschichte der Literaturwissenschaft und ihre Institutionen. Das Grundlagenwerk basiert auf einem weit gefassten Literaturbegriff, der auch die Populärkultur und neue Medien einbezieht. Konkurrenzlos systematisch und ausführlich.“, so der Verlagstext. Am besten lässt sich der Inhalt des Handbuchs wohl auch mit folgenden Fragestellungen erfassen: Womit beschäftigt sich die Literaturwissenschaft? Was kann sie leisten?
Die „akademische Beschäftigung mit Literatur“ wie die Literaturwissenschaft auch charakterisiert werden könnte hat eine lange Tradition und geht als Begriff sogar bis 1828 zurück, als er in einem Verlagsverzeichnis erstmals erwähnt wurde. Literaturwissenschaft ist aber nicht nur Literaturgeschichtsschreibung, sondern auch ein Analysewerkzeug im Umgang "mit diversen Formen des Erzählens, mit bildlichen Redeweisen, mit Fiktionalität, mit der Beziehung von Texten auf andere Texte oder mit kultureller Fremdheit", wie Thomas Anz treffend in seiner Einleitung das Wesen der Literaturwissenschaft beschreibt. Der erste Band, der sich den Gegenständen und Grundbegriffen der Literaturwissenschaft widmet, orientiert sich in seiner Systematik an einem Modell literarischer Kommunikation, „das vom literarischen Text und seinen Merkmalen ausgeht, Instanzen der literarischen Produktion beschreibt und die medialen, institutionellen und normativen Bedingungen, die Instanzen reflexiver Selbstbeobachtung sowie die Kontexte literarischer Kommunikation mit einbezieht“. Der zweite Band stellt divergierende Verfahrensweisen und Konzepte der Literaturwissenschaft vor. Der dritte Band wiederum „beobachtet, beschreibt und reflektiert sich die Literaturwissenschaft selbst und zwar zunächst historisch, dann gegenwartsbezogen im Blick auf die unterschiedlichen Institutionen, in denen Literaturwissenschaft betrieben wird“. Bezüglich der Praktikabilität der Literaturwissenschaft wird im dritten Band auch auf die Berufsfelder eingegangen, in denen Literaturwissenschaftler tätig sind und es werden auch ihre Methoden und Hilfsmittel der Recherche vorgestellt.
Im Kapitel 3 des ersten Bandes, „Stilistische Textmerkmale“, erklärt der Autor Urs Meyer in seinem Beitrag zum Handbuch etwa nicht nur die Ordnung der Stilarten und verschiedene Arten der Stilistik, sondern auch die sog. rhetorischen Figuren und die sog. Tropen. Er bezieht sich dabei sowohl auf Roland Barthes` „alte Rhetorik“ als auch auf Plett und Kopperschmidt. Man unterscheidet in der Stilistik zwischen Klangfiguren sog. phonlogischen Figuren und Wortschatzfiguren. Zur ersten Gruppe gehören etwa Phonostilismen wie die Apokope oder das Anagramm. Eine Apokope ist nichts anderes als das Weglassen von Buchstaben oder Silben eines Wortes, meist aus sprachrhythmischen Gründen. Das Anagramm hingegen bedeutet eine Vertauschung von Lauten, wie etwa in Jim Morrison, der bei seinem Abgang versprochen haben soll, sich als „Mr. Mojo Risin`“ irgendwann wieder einmal bei seinen Freunden zurückzumelden. Ein beliebter Ausdruck im Italienischen, das ja eine viel musikalischere, „phonologischere“ Sprache als das Deutsche ist, ist "Onomatopöie", was eine klangmalerische Nachbildung von Lauten, Geräuschen oder anderen Sinneswahrnehmungen bedeutet: Furzen, wäre ein gutes Beispiel, denn das Wort klingt fast so, wie das, was es bezeichnet oder beschreibt. Weitere phonologische Stilismen finden sich auch als Alliteration („Kirche Küche Kind“) oder Assonanz. Wortschatzfiguren hingegen variieren das morphologische Material im ästhetischen Gebrauch: "Wenn in der Rhetorik von Wortfiguren die Rede ist, sind häufig Wortschatz-, Sinn-, Laut- und Syntaxfiguren zugleich gemeint, die in diesen Fällen lediglich in ihrer Gesamtheit von den Tropen unterschieden werden. Neologismus etwas bezeichnet das Gegenteil eines Archaismus, Pleonasmus („runder Kreis"), Tautologie („Der Kreis ist rund wie ein Ring") oder ein Hendiadyoin: nein, dabei geht es um kein neues handy oder iphone, sondern um Konjunktionen wie "einzig und allein" oder andere Synonyme. „Das war nicht ganz dumm", also das Dementieren des Gegenteils, nennt man Litotes, Übertreibung eine Hyperbel oder Elativ ("herzlichste" Grüße statt herzliche). Oder was ist eine Kontamination? Eine Politesse! (Verschmelzung zweier Begriffe, in diesem Falle: Polizei und Hostesse). Das Nichts nichtet? Ein Polyptoton. In der Werbesprache findet man auch häufig die Paranomasie: Verknüpfung von klanglich, morphologisch oder pseudoetymologisch verwandten Ausdrücken. Ergänzungen und Aktualisierungen auch unter www.handbuch.literaturwissenschaft.de
Thomas Anz (Hrsg.)
Handbuch Literaturwissenschaft
Gegenstände - Konzepte - Institutionen
XIX, 1428 S., 3 Bände im Grauschuber. Je Band ca. 500 S., Geb.
Preis: EUR 99,95
ISBN: 3-476-02154-8
ISBN: 978-3-476-02154-0
Erschienen am: 15.11.2007
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-01-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.