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Rezensionen  
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Daniel Kahneman - Thinking, Fast and Slow
Der 1934 in Tel Aviv geborene Daniel Kahneman, heute emeritierter Professor verschiedener US-amerikanischer Universitäten und Träger des Wirtschafts-Nobelpreises von 2002, hat ein allgemein verständliches Buch vorgelegt, um Zugang zu Fragen seines lebenslangen wissenschaftlichen Forschens zu ermöglichen. Das wäre an sich nichts, was Spannung erzeugen müsste, handelte es sich nicht um Fragestellungen, die uns alle, täglich, stündlich, in jedem Augenblick beträfen. In seinem Buch Thinking, Fast and Slow, gibt Kahneman einen auch aus didaktischer Sicht gelungenen Einblick in die Forschung über das Wie und Warum menschlicher Entscheidungen.
In insgesamt fünf Kapiteln zeichnet er das Terrain. Er beginnt mit den zwei stereotypen Systemen der menschlichen Erkenntnis, dem emotional und dem rational gesteuerten. In einigen Fallbeispielen zeigt Kahneman auf, wie das menschliche Hirn bei welchen Reizen operiert und warum wir schneller sind, wenn die emotionalen und langsamer, wenn die rationalen Programme laufen. Die Reinform des Gebrauchs des kognitiven Apparates existiert nie, immer mischen sich die beiden Muster der Welterklärung, die Steuerung liegt aber in einer Hand. Sehr gelungen ist die Präsentation der beiden Systeme. Um uns zu System I, der Emotionalität zu führen, benutzt Kahneman das Bild eines gestressten Frauengesichts und für System II, die Rationalität, präsentiert er dem Leser den Anblick einer mathematischen Formel.
Es folgt ein Kapitel über heuristische Systeme, in dem es um Anker, die Überlegenheit der Kausalität in der statistischen Welt und die Erotik schlichter Deduktionen geht. Das Kapitel über die Selbstüberschätzung im kognitiven Prozess ist nahezu eine Fortsetzung der Kritischen Theorie in Bezug auf die Entstehung von Ideologie und die Ausführungen über die Wahlmöglichkeiten zwischen Res publica und Ego ist eine ebenso gelungene wie gesellschaftskritische Reflexion. Das letzte Kapitel über die beiden Selbst individualisiert noch einmal die Optionen und konjugiert sie in ihrer ganzen gesellschaftlichen Tragweite. Dabei geht es nicht nur um die Frage, welchen kognitiven Systems ich mich bediene, sondern auch, ob ich mich einer gesellschaftlich-sozialen oder individuell-hedonistischen Logik bediene.
Das Spannende an Daniel Kahnemans Buch ist das, was sich hinter dem vordergründigen, seine wissenschaftlichen Studien Beschreibenden verbirgt. Dabei geht es um Welterklärung wie Gesellschaftskritik gleichermaßen. Der Leser erfährt nicht nur, welchen instrumentellen Hintergrund konkrete Entscheidungen haben, sondern auch, welche Motivlage das Ergebnis der Entscheidung in seiner Qualität prädestiniert. Und Kahneman bleibt da nicht in der praktischen Folgenlosigkeit der Abstraktion. Das materielle Leitmotiv kognitiver Prozesse im Kapitalismus beraubt, so der einstige Professor aus Berkeley, das Individuum seiner Fähigkeit, in Kreativität und Gestaltung den Zustand des Glücks zu finden. Chapeau! Chapeau!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-02-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.
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