Die US-amerikanische Literatur liefert dem alten Europa Epen, die dieses nicht mehr zu erzählen in der Lage ist. Nach John Updikes Rabbit-Tetralogie, in der dieser einen Einblick in Entwicklung wie Seelenleben des Mittelstandes aus der amerikanischen Provinz gab, hat Louis Begley nun mit dem dritten Buch über Albert Schmidt die Befindlichkeiten und Brüche der Upper-Middle-Class der Ostküste in einer großen Erzählung verarbeitet. Nach About Schmidt und Schmidt Delivered erscheint nun mit Schmidt Steps Back der wohl letzte Band.
Obwohl mit den drei Büchern maximal 15 Jahre des Protagonistenlebens thematisiert wurden, sind in ihnen fulminante Entwicklungen und Brüche enthalten. Vergegenwärtigt man sich, dass das Schmidt-Epos mit dessen Eintritt ins Rentnerleben beginnt, ist es erstaunlich und als erste Botschaft bereits revolutionär, wie vieles sich noch in dem Leben dieses störrischen Kauzes ereignet. Es sind flüchtige wie leidenschaftliche Verhältnisse zu Frauen, die nicht um einen Grad weniger erotisch sind wie die eines jungen Mannes. Es sind Enttäuschungen, die aus der Erkenntnis resultieren, dass die institutionellen Pflichten, die aus einer gesellschaftlichen Sozialisation entstehen, keine wahren, tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen per se herstellen. Und es sind Lehren, die gezogen werden müssen aus der Einsicht, dass soziale Bande und professionelle Verhaltensmuster nicht mit irgendwelchen Techniken hergestellt werden können.
Was Begley mit seinen drei Schmidt-Büchern sehr eindringlich nahe bringt, ist die Sicherheit, dass selbst die so eherne Stabilität einer Zivilisation wie der an der Ostküste wie der Flaum eines jungen Vogels im atlantischen Wind hin und hergetrieben werden kann und selbst die großen Gewissheiten einer kulturell vermeintlich herrschenden Klasse sich in Nichts aufzulösen in der Lage sind, sobald die globalen Turbulenzen die Richtung unerwartet ändern.
Die Metamorphose des festen Weltbildes eines erfolgreichen Anwaltes, der durch persönliches Schicksal aus dem Verwertungsprozess herausfällt, ist jedoch das Spannendste an Begleys Erzählung. Alles, was sich in materiellem Erfolg messen lässt, nimmt ihm ein Stückchen Glück und alles, was ihn menschlich weiter bringt, liegt in einer gänzlich anderen Sphäre und ist mit den Maßen der Gesellschaft, der er entspringt, gar nicht zu messen. Die Botschaft Begleys ist die Notwendigkeit einer Entkoppelung von der Berufs- und Erfolgssozialisation, sofern man vom Leben nach der Arbeit noch etwas erwarten will. Alles andre ist der Abstieg in die Katakomben der Existenz. Nur der Paradigmenwechsel vom Materiellen in das Reich der Weisheit und Philanthropie bietet dem Menschen, der weiß, dass er vor dem Finale steht, noch einen Zeitkorridor, in dem eine existenzielle Qualität zur Wirkung kommen kann.
Das alles ist von einem Mann erzählt, der aufgrund seiner eigenen Vita weiß, wovon er spricht und der das Handwerk der mündlichen Erzählung exzellent beherrscht und zu verschriftlichen weiß. Louis Begley ist ein großer Erzähler und das, was er uns erzählt, wirkt weit in unser aller Zukunft hinein. Denn Albert Schmidt, der Mann mit den Brüchen und den schmerzhaften Erkenntnissen, das sind wir selbst. Wenn nicht jetzt, dann irgendwann.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-04-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.