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Thomas Bernhard - Der Keller - Eine Entziehung
Buchinformation
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Bernhard, Thomas:
Der Keller - Eine
Entziehung

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(Bücher frei Haus)

„Der Keller“ erschien als zweiter Band von Thomas Bernhards sogenannten „autobiografischen Romanen“ und es ist wahrscheinlich von den fünfen der unspektakulärste, am wenigsten bekannt gewordene, wahrscheinlich tatsächlich der unbedeutendste.

Das letztveröffentlichte Buch der Fünfer-Reihe, „Ein Kind“, gehörte vom Inhalt her eigentlich vorn an die erste Stelle. Es zeigt Bernhard als Kind zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, damals mit seiner Mutter im bayerischen Traunstein lebend, sowie des Kindes große Liebe zu seinem Schriftsteller-Großvater, dem erfolglosen Heimat-Romancier Johannes Freumbichler. „Die Ursache“, der nach dem Datum seines Erscheinens erste Band, zeigt uns Bernhard als Schüler in einem katholischen Salzburger Gymnasium kurz vor Kriegsende. Ihren legendären Höhepunkt findet „die Autobiografie“ (ein oft genug äußerst frei erfundenes, fiktives, nicht dokumentarisches Werk) in „Der Atem“, wenn die Erzählung in jene grundsätzliche „Entscheidung“ mündet: Den Tod, für den man ihn wegen einer schweren Lungenkrankheit „vorgesehen“ hat, immerhin liegt er (angeblich!) im Totenhemd, im Sterbezimmer der Klinik und hat die Letzte Ölung bereits empfangen, wehrlos hinnehmen - oder sich mit aller Kraft dagegen sträuben und für eine Weile das höllische irdische Leben anpacken? Den endgültigen Entschluss, Schriftsteller zu werden, trifft der junge Bernhard im vierten Band, wenn er sich gegen den Rat seiner Ärzte entscheidet, das Lungensanatorium Grafenhof zu verlassen und in die Stadt Salzburg und zur Arbeit (damals journalistische Gelegenheitsjobs für Zeilenhonorar) zurückzukehren.

Zurück nun aber zu „Der Keller - Eine Entziehung“, dem zweiten Buch. Das zeigt uns den Autor als ungefähr sechzehnjährigen Jugendlichen und Schulabbrecher, die später lebensprägende Krankheit ist noch nicht ausgebrochen. Hier das typische Bernhard-Motiv der unbarmherzigen einsamen Entscheidung, den von allen anderen gegangenen Weg zu verlassen und entgegengesetzt zu gehen, sofort am Anfang. Direkt vom Weg zum Gymnasium will Thomas ins Salzburger Arbeitsamt gelaufen sein, wo man ihm einen Ausbildungsplatz als Kaufmannsgehilfe beim Podlaha in der Scherzhauserfeldsiedlung vermittelt habe, einem kleinen Laden im Kellergeschoss eines der dortigen Wohnblocks.

Damals durch einiges freies Gelände von der südlich liegenden Stadt Salzburg getrennt, bildete die Scherzhauserfeldsiedlung eine ärmlich erbaute Massensiedlung für die Armen und Entwurzelten der Nachkriegszeit. Die Charakterisierung dieser Menschen als Asoziale und Abenteurer forciert Bernhard sogar noch. Überhaupt ist auch hier wieder alles zutiefst schwarz oder weiß.

Auf dem Amt hat man ihm als lebensunerfahrenen Jungen diese Gegend auszureden versucht, aber er wusste es selbst am besten, sie und nichts anderes wird ihm gemäß werden. Als Leuchtturmgestalt ins nonkonformistische Dasein hinaus habe ihm neben dem ab den ersten Kindertagen auf ihn einwirkenden Großvater niemand mehr so gut weiterhelfen können wie der Podlaha. Dieser sei ein heimatloser Wiener von einigem musikalischen Verstand gewesen, in seinen musikalischen Projekten allerdings vollkommen gescheitert, daher jedoch mit einer ganz anderen Einsicht als die üblichen Salzburger Kleinbürger.

Unhaltbar seien die Zustände bei ihm zu Haus, bei den „Seinigen“, das Wort Familie wie auch die Nennung exakter Verwandtschaftsgrade scheut Thomas Bernhard, gewesen: nur drei kleine Zimmer und darin neun Personen, wobei eine, der Großvater, ein ganzes Zimmer für sich alleine beanspruchen durfte. Unter solchen Voraussetzungen empfindet der Lebensmittelladenbub Thomas die Kargheit dieser Siedlung eher wie eine Befreiung. Der Podlaha habe die Leute wieder und wieder anschreiben lassen und wenn sie immer noch nicht zahlen konnten, habe er ihnen die Summe glatt gestrichen. Aber nicht gescheitert sei er mit diesem Geschäftsgebaren, denn, wenn die Leute zum einzigen Konkurrenten gegangen wären, habe es da keinerlei Kredit gegeben. Also wären die Kunden beim Podlaha mit der Zeit mehr, bei der Konkurrenz ständig weniger geworden. Eine typisch hingerotzte Bernhard-Geschichte, über deren Wahrheitsgehalt man nicht lange nachdenken sollte.

Erinnert man sich anlässlich des „Kellers“ an die grundsätzliche Kritik des anfänglichen Bernhard-Anbeters, später dann -Kritikers Peter Handke, Bernhard behaupte andauernd pauschal und grob, er untersuche nie etwas sorgfältig, gehe an die Dinge der Welt nirgendwo dicht heran, erarbeite sich keine neue Sprache für seine kleinsten Wahrnehmungen - Handke geht unverkennbar vom eigenen Schreibansatz aus - dann ist das bestimmt nicht frei aus der Luft gegriffen, gerade bei einem Roman wie „Der Keller“.

Man hätte berichten können, wie dieser Laden im Einzelnen aussah, was dort alles zu bekommen oder nicht zu bekommen war, wie die Bewohner in der Siedlung daherkamen, was sie die Woche über alles anstellten, wie sie sich ausdrückten. Doch das ist nicht Bernhards Geschäft. Ein sachlich zuverlässiger „Kamerablick“ ist ihm ganz fremd. Alle seine Erinnerungen sind zu fetzigen Sentenzen und polemischen Urteilen kristallisiert. Trotz der so „lebensnahen“ Situation eines jungen Menschen im ersten Berufsjahr gibt es wenig „Welt“ im „Keller“, dafür wiederum reiche Sprachartistik. Das abwandelnde, wieder und wieder und immer wieder Neu-Sagen, also Wiederholen, von wenigen, allerdings polemisch geschliffenen Erinnerungssplittern ist Stilmerkmal für Bernhards Kunst.

Was dieser zweite Band der „Autobiographie“, der wenig gelesene, demonstrieren kann: Wer eine fesselnde Handlung lesen möchte, sollte um den Schriftsteller Bernhard unbedingt einen Bogen machen! Der Genuss bei Bernhard besteht darin, ihm bei seinem modulierenden Spiel mit einem durchaus beschränkten Material „auf die flinken Finger zu sehen“! Johann Sebastian Bach kommt einem in den Sinn, von dem es heißt, als Organist habe er ein kleines Vorspiel zu einen Chorgesang begonnen, dann seinen ganzen Reichtum musikalischer Möglichkeiten daran ausprobiert, sodass die Leute gar nicht mehr verstanden hätten, wohin er unterwegs war.

Zitat:

Und was ist andererseits fürchterlicher als ein Samstagnachmittagsspaziergang, als Verwandten- oder Bekanntenbesuch, auf welchem die Neugierde befriedigt und das verwandtschaftliche oder bekanntschaftliche Verhältnis zerstört wird. Und lesen die Leute, quälen sie sich in Wirklichkeit mit einer selbstauferlegten Strafe ab, und nichts ist lächerlicher als Sport, dies beliebteste Alibi für die vollkommene Sinnlosigkeit des einzelnen Menschen. Das Wochenende ist der Totschlag an jedem einzelnen und der Tod jeder Familie.


[*] Diese Rezension schrieb: KlausMattes (2015-04-18)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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