„Ich war so leer wie die Taschen einer Vogelscheuche. Ich ging zur Küche und trank zwei Tassen schwarzen Kaffee. Man kann auch von anderem als Alkohol das heulende Elend kriegen. Ich hatte es von den Frauen. Sie machten mich krank.“ Privatdetektiv Philip Marlowe bekommt es in diesem Klassiker der Krimiliteratur gleich mit zwei schönen Töchtern eines Milliardärs zu tun, denen er sich aber natürlich zu erwehren weiß. Denn niemals würde er seinen Beruf mit Privatem mischen, auch wenn es selbst Marlowe manchmal schwer fällt, die Beherrschung zu bewahren. Aber vielleicht macht gerade das ihn so sympathisch und natürlich umso unwiderstehlicher, für die Frauen.
Harte Drinks…
Wer sich also sexuelle Eskapaden erwartet, wird enttäuscht werden, denn Marlowe ist ein harter Knochen, der sich lieber an seine „Pulle“, eine „Flasche Roggen“ oder einen „heißen Toddy“ hält und abwartet. „Eine weitere Legion träger Minuten zog vorbei.“, schreibt Chandler lakonisch über die Detektivarbeit und die literarischen Bilder und Ausdrücke sind so illuster wie erhellend: „Sie sind in den letzten Stunden schon der Zweite, der mir über den Weg läuft und sich einbildet, er hielte die Welt beim Schwanz, nur weil er eine Wumme in der Hand hat.“ Bei Chandler wird auch unverhohlen dem Alkoholismus gefrönt, wenn es etwa heißt: „Also holte ich meine Büroflasche heraus und nahm einen Schluck und ließ meine Selbstachtung vor die Hunde gehen.“ Oder dann ein paar Seiten weiter: „Das Klügste was ich tun konnte, war, noch einen zur Brust zu nehmen und den ganzen Mist zu vergessen.“ Natürlich wird auch viel geraucht, Zigarren, Zigarillos, Zigaretten, nur ein Laster lässt Marlowe aus: „Es ist schwer für Frauen – selbst für nette Frauen – zu begreifen, dass ihr Körper nicht unwiderstehlich ist.“ Marlowe bringt es sogar fertig, eine schöne Frau die nackt in seinem Bett liegt nach Hause zu schicken und das sogar mit Nachdruck, „nun ein bisschen fix“, ruft er ihr zu. In Howard Hawks Film noir Verfilmung des Krimiklassikers mit Humphrey Bogart als Marlowe und Laureen Bacall als Vivian wurde auf diese Szene verzichtet und auch die Geschichte etwas verändert, damit Bogey und Laureen auf der Leinwand wie im Leben das perfekte Liebespaar spielen und seinsein können.
…und lakonischer Humor
Es gibt auch sehr viele poetische und auch sehr witzige Momente in der Prosa Chandlers: „Aber dies war mein Zimmer, in dem ich wohnte. Es war alles, was ich an Zuhause hatte. In ihm waren sämtliche Dinge, die mir gehörten, die eine Bedeutung für mich hatten, eine Vergangenheit, alles, was mir eine Familie ersetzte.“ Oder: „Sie war eine, die immer in Kneipen rumhing, als ob sie kein Bett hätte.“ Chandler spricht von „Rippenbohrern“ anstelle von Pistolen, von „sich leicht falsche Zähne holen“ statt Schlägerei oder von „sein Büro hatte den muffigen Geruch jahrelanger Routine“. Außerdem verrät Raymond Chandler auch endlich, warum Detektive immer einen Hut tragen: damit sie Glastüren einschlagen können, um an Evidenz zu kommen. Verführerische spärlich bekleidete Frauen, einige Leichen, viele gemixte Highballs und eine Story in der Story. Was will man mehr! Bleibt noch die Frage, warum der Roman „Der große Schlaf“ heißt, aber die wird auch im Film nicht beantwortet. Dafür sieht man bei der ansonsten sehr züchtigen filmischen Umsetzung, wie die Bacall sich am nackten Knie kratzt und Bogart sie auch noch neckisch dazu auffordert. Zudem muss noch erwähnt werden, dass die vorliegende Ausgabe des Diogenes Verlages in einem wunderschönen Leinenumschlag aus bunter Seide daherkommt und das Format sich vortrefflich für einen Strandbesuch eignet.
Raymond Chandler
Der große Schlaf
Werk mehrteilig, detebe 26106, 368 Seiten
Erschienen im Juli 2013
ISBN978-3-257-26106-6
€(D) 10.90 / (A) 11.30
sFr16.90*
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-07-19)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.