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Oskar Maria Graf - Das Leben meiner Mutter
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Graf, Oskar Maria:
Das Leben meiner Mutter

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(Bücher frei Haus)

Oskar Maria Graf, der vor allem mit seiner Autobiographie „Wir sind Gefangene“ 1927 in Deutschland bekannt geworden war, ging 1934 ins Exil. Zunächst blieb er in Wien, wo er seinen berühmten Aufruf „Verbrennt mich!“ verfasste, dann ging er nach Brünn in der Tschechoslowakei und 1938 nach New York, wo er bis zu seinem Tod 1967 blieb. Kaum hatte Graf seine Heimat verlassen müssen, quälte ihn ein Projekt, das er noch unbedingt vollenden wollte. Es handelte sich dabei um ein Romanvorhaben, das das Leben seiner Mutter zum Thema haben sollte. Das Sujet quälte Graf, weil er glaubte, mit einer Referenz an das Sesshafte und Weibliche einen Kontrapunkt gegen das Zerstörerische und Männliche des Faschismus setzen zu können. 1940, im New Yorker Exil, beendete er den Roman mit dem Titel „Das Leben meiner Muter“, in dem er nicht nur seinen Plan vollendet hatte, sondern er hinterließ in Konzeption und Epik ein Werk, das vollkommen in der tolstoianischen Tradition stand.

In zwei Teilen handelt Graf die aus seiner Sicht bedeutenden Stränge des Lebens seiner Mutter ab. Im ersten, Menschen der Heimat genannt, gibt er einen Einblick in die Traditionen des oberbayrischen Dorfes, die bestimmt sind durch die großen Metaphern von Natur, Arbeit und Harmonie. Die Biographie seiner Mutter Therese Graf, die von einem Bauernhof kam und einen Handwerker heiratete, der seinerseits das Unruhige und Unstete symbolisierte, ist in ihrer Zeichnung sogleich die Antipode zu den destruktiven Kräften der historischen Entwicklung, die gekennzeichnet ist durch Technik, Krieg und Unrast. Therese Graf steht für den Ausgleich, für das Zyklische der Natur wie für den gesunden Menschenverstand. Sie entzerrt die großen, modischen Slogans des Zeitgeistes, indem sie sie auf das Profane des bäuerlichen Alltages anwendet und somit entzaubert.

Der als Mutter und Sohn überschriebene zweite Teil des voluminösen Romans enthält gezwungenermaßen starke autobiographische Akzente des Autors und aktualisiert damit die im ersten Teil gesetzte Metapher der Mütterlichkeit in Bezug auf die desaströse politische Entwicklung der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Zum Scheitern der Emanzipationsbewegungen wie der Münchner Räterepublik und den Kämpfen der 20iger Jahre, an denen Oskar Maria Graf teilgenommen hatte, gehört letztendlich auch das Zurücklassen der Mutter in einem im Irrtum und der Gewalt versinkenden Deutschland. Graf lässt sie hinter sich als die große Hoffnung, weil sie letztendlich den verführerischen Ideologien unzugänglich bleibt, genauso wie den Vorwurf des eigenen Versagens.

Das Leben meiner Mutter ist ein Roman, der die Herausbildung der Moderne mit ihren konkreten destruktiven Potenzialen in Deutschland bewusst werden lässt wie kein anderer. Seine Größe besteht in der epischen Qualität und der konsequenten Weigerung, in der Zuflucht zu einem neuen Dogma das alte hinter sich zu lassen.

[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-11-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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