26. Januar 2008, 12 Uhr: Die Wände des kubanischen Hotelzimmers, wo diese Fotoaufnahmen stattfanden, sind in einem dunklen Blau angestrichen, der Verputz blättert schon etwas ab. Die rote Satinwäsche des hölzernen Bettes bringt dadurch einen umso frivoleren Glanz in die intime Stimmung dieser Fotografien. Der schachbrettartig mit blau-grünen Kreuz-Fliesen gekachelte Fußboden erinnert mehr an ein Boudoir oder vielleicht ein Badezimmer, denn an ein Schlafzimmer. Über dem in dunklem Holz gehaltenen Bett, befindet sich ein Bild mit einer wohl lesenden Engelsgestalt. Doch davon wollen die Fotografien nicht erzählen, denn inmitten dieses verblichenen Glanzes eines untergegangenen Reiches (Havanna) strahlt die fleischlich sinnliche Nacktheit von Emmanuelle Beart hervor und haucht der Szenerie so viel Leben ein, wie dieses Hotelzimmer wohl zuvor noch nie gesehen hat.
Diese Geschichte wird von einer Frau über eine Frau erzählt und sie ist voller Sympathie und Bewunderung für das vermeintliche Objekt vor dem Objektiv der Kamera. Erst dreht das Modell der Kamera seinen Rücken zu, die Haare werden dabei nach oben gehalten, um auch den Blick auf die Halspartien zu lenken, die ansonsten bedeckt wären. Die makellose Schönheit steht beinahe auf Zehenspitzen, die hochhackigen Korkschuhe sind so voll und prall, wie der Körper den sie tragen und auch wenn sie etwas von der Einzigartigkeit und dem Zauber der Szenerie wegnehmen, wirken sie doch nicht wirklich störend. Doch dann dreht sich das Modell unerwarteterweise halb nach links um, legt sich nicht auf das vor ihr befindliche Bett, aber sucht auch nicht das Auge des Betrachters, die Linse der Kamera. Sie scheut etwas davor zurück, geradewegs hineinzusehen, setzt sich bald denn nun doch auf das Bett und vergräbt ihr Gesicht in ihrem Schoß. Erst langsam erhebt sich der Oberkörper, jetzt mit einer Zigarette zwischen den Fingern neuen Mut fassend, um sich dann in einer anderen Ecke des Zimmers verschwommen auf dem Fußboden kauernd zu verstecken.
Die Bilder erzählen nicht unbedingt eine Geschichte, aber natürlich ist Emmanuelle Beart auch nicht nur irgendein Modell, sondern eine Schauspielerin. Und sowohl ihr Körper als auch ihr Gesicht erzählen immer eine Geschichte.
Langsam gibt sie auch ihr Gesicht frei, doch stets mit einem von der Kamera leicht abgewandten Blick. Dann wieder wirft sie ihren ganzen Körper mitsamt ihrem Blick an die abbröckelnden Wände, die robuste Zartheit ihres Körpers und der zunehmend dekadentere Verfall ihrer Umgebung karikieren dabei die schützenswerte Intimität ihres beeindruckenden Knochen- und Köperbaus und plötzlich ein Szenenwechsel, die blauen Wände weichen weißen, die rote Satinbettwäsche einer gesticketen weißen Tagesdecke und das weibliche Engelsbild einem Jesusbild mit blutendem Herzen (Stigmatabild). Der Blick des Modells, Emmanuelle Beart, richtet sich nun auf zu dem Heilsversprechen von Gottes Sohn, der hier vor einer vergilbten und ebenso schmutzigen wie abbröckelnden Wand gezeigt wird. Der Fußboden ist immer noch der gleiche, blaue und rote Kachelkreuze reihen sich aneinander und darauf steht immer noch in denselben Korkschuhen eine mächtige Frauengestalt, die uns vornehmlich ihre Rückseite präsentiert. Wenn sie sich einmal umdreht, dann nur halb und mit den Augen geschlossen, als würde sie sich schämen für etwas, auf das man wirklich nur stolz sein kann. Andere Kameraspiele zeigen ihr Vexierbild vor einem Kleiderkasten mit Spiegeltür und es scheint, als stünden zwei oder drei Emmanuelles hintereinander, sie zieht quasi einen bunten Schatten hinter sich her, denn ihr vermeintliches Spiegelbild ist verschwommen, so als müsste sich das Modell erst ganz zusammenfügen und wäre noch nicht ganz komplett, steht hinter ihr eine zweite, verschwommene, ebenso schöne Emmanuelle.
Schließlich sehen wir noch ein rauchendes in sich selbst zusammengefallenes Modell, das gebückt auf dem Bett sitzt und schräg in die Kamera blickt. Es scheint fast als würden ihr Flügel auf dem Rücken wachsen oder als wäre da noch eine andere Gestalt auf ihrem Rücken, wie ein Alpdruck, eine „Nachtmahr“, der oder die sie belaste und sie immer noch nicht freigebe. (Dieses Foto befindet sich übrigens auch auf dem Titelbild des vorliegenden Fotoessays „Cuba libre“.) Aber es folgen noch zwei befreite Porträtfotos, in denen ihr Körper nicht zu sehen ist, sondern rein ihr Blick, ihre Lippen, ihre schwarz bedeckten Schultern. Sie sieht verletzt aus, auf diesen beiden letzten Fotos, fast etwas beleidigt, verschüchtert, als hätte man ihr etwas von ihrer Seele geraubt. Am 26. Januar um 13 Uhr, also eine Stunde nachdem sie das Zimmer betreten hatte, ist der Spuk wieder vorüber, das allerletzte Foto zeigt noch einmal das Zimmer mit dem leeren Bett und nur der hochhackige Korkschuh bleibt auf dem bunt gekachelten Fußboden zurück. In dieser einen Stunde hat sich alles das zugetragen, was ihre Phantasie sie ausmalen lässt und vielleicht sogar noch viel mehr.
Es bleibt also nur noch die Frage, warum Emmanuelle Beart so ein Buch gemacht hat. Ein Souvenir an sich selbst, eine Bestandsaufnahme ihres Körpers mit 45 Jahren, also kurz vor dem bevorstehenden endgültigen Verfall? „Alors ce corps devient bavard; il a des choses a dire. Il a son importance dans ce que j`ai dire. J`ai besoin de lui comme d`une parole qui n`a pas appris a etre polie.“ („Und auf einmal wird dieser Körper beredt ; er hat Dinge zu sagen. Er gewinnt seine Bedeutung aus dem, was ich zu sagen habe. Ich benötige ihn wie eine Sprache, die nicht gelernt hat, höflich zu sein.“) Mit diesen Worten erklärt sie das Projekt und wird auch den letzten Kritiker zum Schweigen bringen.
Emmanuelle Béart wurde am 14. August 1963 in St. Tropez, Provence-Alpes-Côte d'Azur, Frankreich als Tochter des libanesischen Ingenieurs, Dichters und Chansonniers Guy Béart und der früheren, italienisch-griechischen Mannequins und Schauspielerin Geneviève Galéa geboren, und ist heute also immerhin schon 45 (!) Jahre alt. Ihren ersten Erfolg feierte sie 1986 mit der Marcel-Pagnol-Verfilmung „Manons Rache” an der Seite von Yves Montand in der Rolle eines Hirtenmädchens. 1987 wurde sie von dem Regisseur Tom McLoughlin von 5.000 Kandidatinnen ausgewählt und drehte in Hollywood die Fantasy-Komödie „Verabredung mit einem Engel“. Für Jacques Rivettes Film „Die schöne Querulantin“ (La Belle noiseuse), in dem sie neben Michel Piccoli ein geheimnisvolles Aktmodell spielt, wurde sie 1991 bei den Filmfestspielen von Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. Weiters spielte sie in Filmen von Claude Sautet („Ein Herz im Winter”), André Téchiné („Ich küsse nicht“), Claude Chabrol („Die Hölle“) und François Ozon („8 Frauen”). Im Jahr 2006 präsentierte sie die Weihnachts-Wäschekollektion von H&M, wurde aber auch durch ihr soziales Engagement, u. a. als UNICEF-Botschafterin bekannt. Bei der Besetzung der Kirche Saint-Bernard in Paris (18. Arrondissement), 1996, durch Immigranten wurde sie ebenfalls verhaftet und verlor dadurch ihren Werbevertrag mit dem Modehaus Dior. Zuletzt (2008) war sie auf der Biennale in Venedig in einem Film von Fabrice du Welz mit dem Titel „Vinyan“ zu sehen.
Die Pariser Fotographin Sylvie Lancrenon arbeitet immer wieder gerne für Hochglanz-magazine wie „Elle“ oder „Vanity Fair“. Sie hat sich dabei ganz auf schöne Frauen spezialisiert und holte sich schon Charlotte Gainsbourg, Laetitia Casta, Monica Bellucci, Naomi Campbelle oder Claudia Schiffer vor die Linse.
Schirmer/Mosel Verlag
ISBN: 978-3-8296-0375-1
88 Seiten 50 Farbtafeln, teilweise ausklappbar
Format 23 x 24 cm
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2008-11-19)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.