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Giovanni Montanaro - Alle Farben der Welt
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Montanaro, Giovanni:
Alle Farben der Welt

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(Bücher frei Haus)

Der für diesen Briefroman für den renommierten Premio Campiello nominierte Schriftsteller und Anwalt Giovanni Montanaro entführt seinen von der ersten Seite des Buches gebannten und faszinierten Leser in die belgische Stadt Geel in das Jahr 1877. In Geel lebten schon seit dem Mittelalter Verrückte aller Art und Erscheinung in unkomplizierter, einträch¬tiger Gemeinschaft mit den normalen Bürgern. Sie waren in der Obhut von Familien, die dafür eine Vergütung bekamen, von der sie gut ihr Einkommen aufbessern konnten. Jeder dieser Kranken wurde in Ruhe gelassen. Wer kann, erledigt kleine Hausarbeiten für die Gastfamilie, arbeitet im Garten oder auch auf dem Feld. Andere laufen nur in der Gegend herum und schreien sich ihr Elend aus dem Leib.
»Manche sind gefährlich, sie werden als unschuldig bezeichnet und manche kommen wieder zu Verstand, einige wenige bringen sich um …“. So wird es die ich-erzählende Hauptfigur des Romans später beschreiben. Jeden Freitag werden die Kranken in die Kirche der heiligen Dymphna geführt, der Schutzpatronin der Verrückten, zu der schon seit Jahrhunderten Pilger aus ganz Eu¬ropa beten und auf ein Wunder hoffen.
Stirbt einer der Kranken, so wird sein Pflegeplatz in der jeweiligen Familie sehr schnell wieder besetzt. So ist es auch im Oktober 1877, als man einen neuen Kranken erwartet und sich mit einem Dorffest darauf vorbereitet. Doch die Kutsche kommt nicht. Stattdessen stellt sich heraus, dass in der Zwischenzeit ein Fremder im Dorf aufgetaucht ist. „Ich habe mich verirrt“, berichtet der seltsame Rothaarige; schon als Kind habe man ihn „fou roux“, den „rothaarigen Verrückten“ gerufen, und er heiße Vincent van Gogh.
Die wohlhabende Familie Vanheim, die vergeblich auf den neuen Mitbewohner gewartet hatte, nimmt den Fremden auf für ein paar Tage. Neben den drei eigenen Kindern lebt bei der Familie die dreizehnjährige Teresa Ohneruh, eine Waise, deren bei ihrer Geburt verstorbene Mutter als besessen galt. Der königliche Inspektor hält das Baby für gesund, gibt es aber in Pflege, weil er es „vor den neugierigen Blicken und dem naiven Aberglauben der Dorfbewohner“ retten will. Der Arzt spürt schon damals, dass es etwas gibt, das das Mädchen „zu etwas Besonderem machte“.
Die wenigen Tage, die Teresa mit van Gogh verbringt, werden ihr Leben verändern. Sie fühlt sich selbst zum ersten Mal, auch als junge, erwachende Frau, und sie erkennt mit ihrer besonderen Fähigkeit van Goghs Talent als Maler. Teresa sieht in seinen Augen, dass ihn ein „Drang erfüllte bis ins Mark“, und bringt ihn auf den Weg, „um endlich ins Land der Farben zu gelangen“. Sie kauft ihm beim Kaufmann Zoek, der den Verrückten sonn¬tag¬nach¬mittags Malunterricht erteilt, Ölfarben, Pinsel und Leinwand.
Doch bald schon verlässt van Gogh die Stadt Geel wieder. (Wikipedia bestätigt im Übrigen einen solchen Aufenthalt van Goghs).
Teresa kann Vincent nicht vergessen. Einziges Ziel ihres Fühlens und Denkens ist und bleibt er, wie sie später schreibt: „Was hätte mir mehr gefallen, zu lieben oder von Ihnen geliebt zu werden? … Was für eine Frau wäre ich wohl heute?“
Im Alter von 26 beginnt Teresa einen langen, erschütternden Brief an van Gogh, ohne zu wissen, ob er ihn je erreichen wird. Sie beschreibt darin das Leben in Geel und ihren eigenen Werdegang – wie sie lesen und schreiben lernt, van Gogh begegnet und liebt, später den epileptischen Anfall miterlebt, den er beim Malen seines ersten farbigen Bildes erleidet.
Es ist erschütternd, zu lesen, wie diese vor ihrer Begutachtung als Verrückte so glückliche Frau, die sich nach nichts anderem sehnt als nach Wärme und Liebe und so unendlich viel davon in sich trägt, in die Fänge von Wissenschaftlern gerät, die sie zum Objekt ihrer Forschungen machen, an denen sie zugrunde geht.
Sie wollte ihr ganzes Leben lang sie selbst sein, doch genau das hat man ihr nie gestattet.
„Alle Farben der Welt“ ist ein beeindruckender Roman über das Anderssein, und die Kraft der Liebe, die über den Tod hinausreicht. Aber auch ein Roman über das Malen und die Imagination der Farben. Der Autor beschreibt in einem Nachwort seine Überzeugung, dass van Gogh durch Geel gekommen und dort zum Maler geworden war.“

Giovanni Montanaro, Alle Farben der Welt, DVA 2013, ISBN 978-3-421-04587-4

[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-12-04)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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