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Tarja Sohmer - Das Verbleichen der weißen Stadt
Buchinformation
Sohmer, Tarja - Das Verbleichen der weißen Stadt bestellen
Sohmer, Tarja:
Das Verbleichen der
weißen Stadt

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(Bücher frei Haus)

Tarja Sohmer ist eine Spezialistin in Sachen poetischer Lakonie. Ihre Gedichte, die sie in Einzellesungen und Projekten mit der Gruppe Poesie Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt hat, legen davon Zeugnis ab. Tarja Sohmer ist eine Meisterin der kleinen Form – was neugierig macht: wie wird da ein Roman aus ihrer Feder aussehen? Gerade auch in letzter Zeit wird in den einschlägigen literarischen On- und Offline-Foren ja wieder ungebrochen hartnäckig behauptet, der Roman sei die Königsform der Literatur – sprach man so nicht von altersher gerade von der Lyrik? Welchen Verbindungslinien aus Form, Stil und Thematik wird Tarja Sohmer also erwartbar nachspüren?
Der Roman „Das Verbleichen der weißen Stadt“ erschien im Jahr 2014, als Finnland, die Heimat der Autorin, Gastland der Frankfurter Buchmesse war. Im Sog des allgemeinen Interesses für die geografisch große, aber vergleichsweise menschenarme Region im Nordosten Europas lancierte der Heiner Labonde Verlag aus Grevenbroich, seit über zehn Jahren auf finnische Literatur und Sachbücher spezialisiert, den rund 180 Seiten umfassenden Erstling der Autorin.
Sohmer, die aus dem westfinnischen Ylöjärvi stammt, einer kleinen Stadt in der Nähe von Tampere, zog es früh in die Welt: seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte sie Auslandsaufenthalte in den USA und in Schweden und kam dann als Au-Pair-Mädchen nach Deutschland, wo sie in Hannover und Weimar Literaturwissenschaften und Kulturmanagement studierte. In der niedersächsischen Landeshauptstadt lebt sie auch heute.
Aus Sohmers Herkunftsumkreis speist sich denn auch der Erzählhintergrund des Romans, der zwischen dem kleinstädtischen Ambiente der Ich-Erzählerin Jaana, der ländlichen Perspektive ihrer heimlichen Liebe Jussi und ihrem Traum von einem Leben in der Großstadt changiert. Die äußere Handlung spielt in den 1970er Jahren und ist im Grunde schnell erzählt: Jaana und ihre kleine Schwester Lotta verleben zusammen mit ihren Eltern die Sommerferien bei einer befreundeten Bauernfamilie auf dem Land. Ein durch Lotta verursachter Unfall führt zur dauerhaften Verletzung des kleinsten Sohnes der Bauern, was das gesamte ohnehin schon instabile Gefüge der beiden Familien zusammenbrechen lässt. In der Folge werden Jaana und Lotta von zu Beginn noch halbwegs einander zugewandten Geschwistern immer mehr zu Konkurrentinnen um ihre Träume, um erste Lieben und um ihren jeweiligen Platz im Leben, ohne einander jedoch ganz aufgeben zu können. Auch die Beziehungen zu den Eltern sind sprachlos und wirken wie deformiert, ihre Gesten bleiben hilflos, ein Loslassen ist allen Beteiligten aber nicht möglich.
Die sich zurück nehmende, beinahe karg wirkende Sprache der Tarja Sohmer, die sich auch in ihren Gedichten manifestiert, illustriert diese inneren Zustände der Protagonisten aufs Trefflichste. Die Autorin hat den Roman auf Deutsch verfasst, vielleicht um eine notwendige innere Distanz zu den Personen und Geschehnissen aufbauen zu können. Dazu befragt postuliert sie: Solche Geschichten kenne jeder in Finnland, auf Finnisch hätte sie das nicht aufzuschreiben brauchen. Für eine deutsche Leserschaft erschließt sich so vielleicht ein Stück weit die „finnische Seele“, und zwar jenseits aller Klischees von der schrulligen Schweigsamkeit, wie wir ihr in den abstrusen Geschichten eines Mikael Niemi oder gar in den heiteren Episoden eines Bernd Gieseking begegnen: Tarja Sohmers Grundton ist ernst, nachdenklich, vorsichtig tastend, manchmal schwermütig, aber auch nie ohne Hoffnung. Das passt gut zu den Versuchen der Hauptfigur um jugendliche Selbstdefinition und schlägt die Brücke zur Schwierigkeit, erwachsen und verantwortungsvoll zu werden, die Menschen in allen Kulturen zu meistern haben, trotz Enttäuschungen, desaströsem ersten Sex und der allgegenwärtigen Erfahrung von Schuld und Unverstandensein.
Das Ende bleibt, wie könnte es auch anders sein, in der Schwebe: zwar findet Jaana ein kleines Familienglück mit Mann und Tochter, aber man spürt unterschwellig, dass auch diese Konstellation nicht von Dauer sein könnte. Zu viele Fragezeichen zu den Beziehungen hängen unausgesprochen in der Luft; sich dem Anderen zu offenbaren hat letztlich keine der Figuren gelernt.
Trotz der adoleszenten Protagonistinnen ist „Das Verbleichen der weißen Stadt“ kein Jugendbuch, obwohl man es durchaus auch Heranwachsenden empfehlen möchte, weil es so nah und unmittelbar die Eindrücke der Ich-Erzählerin spiegelt. Die er-wachsene Leserschaft hingegen spürt zuweilen, dass auch sie selbst in mancherlei Hinsicht mit den Jahren nur ge-wachsen zu sein scheint und wird sich womöglich eigenen Defiziten in Bezug auf die Verarbeitung ihrer Vergangenheit bewusst. Tarja Sohmers Sprache befördert diesen Effekt: in kurzen Sätzen deutet sie an, setzt das Textverständnis auf eine bestimmte Spur, überlässt Rückschlüsse und Ausdeutung jedoch oft auch dem Publikum. Dabei ist ihr Stil gut lesbar, trotz der eigentlich eher unspektakulären äußeren Handlung entstehen keine Längen. Insgesamt bleibt der Eindruck einer sehr gelungenen Prosa. Vielleicht traut sich ja der Heiner Labonde Verlag auch irgendwann das kommerzielle Wagnis, eine Auswahl von Tarja Sohmers Gedichten vorzulegen? Es
wäre der Leserschaft zu wünschen.

“Das Verbleichen der weißen Stadt“ von Tarja Sohmer
Heiner Labonde Verlag, Grevenbroich 2014, ISBN 978-3-937507-38-5
EUR 23,80

[*] Diese Rezension schrieb: Marcus Neuert (2015-07-20)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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