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Dimitri Todorov - 22 Jahre Knast
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Todorov, Dimitri:
22 Jahre Knast

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(Bücher frei Haus)

Todorov, 1947 in Graz geboren, ist in München aufgewachsen. Hier hat er seine Lehrzeit mit Autoknacken und Einbrüchen verbracht. Er hat dafür dreieinhalb Jahre bekommen. In der Jugendstrafanstalt Ebrach liest er die großen Russen, vermutlich auch Dostojewski. Wieder in München, trifft er auf seine alte Gang. Man verabredet einen Überfall auf einen Geldtransporter. Es kommt etwas dazwischen.

Todorov plant ein noch größeres Ding. Das hat es hierzulande noch nie gegeben: Banküberfall mit Geiselnahme. Er tut sich mit Hans-Georg Rammelmayer zusammen, den er Hansi nennt. Am 4.8.1971 stürmen sie die Filiale der Deutschen Bank in der Prinzregentenstraße, nehmen Geiseln, verlangen zwei Millionen und ein Fluchtauto.

Draußen vor der Absperrung drängeln sich bald Tausende. Strauß, damals Justizminister in Bayern, ist auch da. München leuchtet wieder, wenn auch etwas fahl. In der Bank trinken sie Sekt und Kognak mit den Geiseln. Ein feiner Restaurateur schickt Verpflegung. Todorov kommt einer jungen Frau näher als sonst bei ihm üblich.

Sieben Stunden dauert es schon, da geht Rammelmayer mit einer Geisel zum bereitgestellten Auto. Die Polizei schießt sofort, Rammelmayer auch. Dann ist nicht nur Hansi tot, sondern auch die Frau neben ihm. Strauß ruft: „Patscht hat’s!“ (Es ist die Generalprobe für das Olympiamassaker ein Jahr später.) Die Polizei stürmt die Bank. Todorov schießt – in die Luft, wie er später sagt. Tatsächlich hat er keinen getroffen. Das Gericht will ihm das mit der Luft nicht glauben und verurteilt ihn wegen versuchten Mordes an einem Polizisten zu Lebenslänglich. Prozessführung und Urteil waren sehr umstritten.

Todorov hat zweiundzwanzig Jahre verbüßt, die meiste Zeit in Straubing. Er holt im Knast das Abitur nach und studiert an der Fernuniversität Hagen sechs Semester Sozialwissenschaften. Er sympathisiert mit der RAF und hat Kontakt zu führenden Mitgliedern. Er führt eine Homoehe hinter Gittern, dreizehn Jahre lang. Der Partner, ein farbiger US-Soldat, ist ein verurteilter Doppelmörder. Als dessen Zeit um ist, wird er sofort in die USA abgeschoben. Todorov hat noch lange Jahre abzusitzen.

Todorov erzählt seine Autobiographie detailreich und zugleich lakonisch, mit einem Unterton, gemischt aus Trauer und Selbstbewusstsein. Wir erfahren viel über das Gefängnisleben, über Mithäftlinge, Ausbruchsversuche und gerissene Anwälte. Wie überlebt ein Lebenslänglicher? Körperliches und geistiges Training sind wichtig. An diesem extremen Ort spielt Phantasie eine Hauptrolle. Und wie kommt Todorov nach der Entlassung in die Freiheit zurecht? Weniger gut, aber das ist eine neue Geschichte.

Ich selbst habe keine Bank überfallen, nie Geiseln genommen, nicht mal mit der RAF sympathisiert – und doch habe ich beim Lesen oft Nähe gespürt. Wie Todorov das Vergangene verarbeitet, das gefällt mir. Was geschehen ist, wird nüchtern und im Bewusstsein eigener Schuld anerkannt, ohne Selbstkasteiung, ohne Selbstrechtfertigung. Er trägt es und lebt weiter. Seine kleinen Fluchten im Knast, seine Überlebensstrategien, sie sind mir vertraut. Das bürgerliche Leben ist nur ein erweitertes Gefängnis mit gelockertem Strafvollzug.

Motive aus dieser Autobiographie sind in das Drehbuch zum Film „Gefangen“ von Jörg Andreas eingegangen.

[*] Diese Rezension schrieb: ArnoAbendschoen (2010-06-19)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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