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Literaturforum: Im Stehen weiter kommen


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Forum > Prosa > Im Stehen weiter kommen
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 Thema: Im Stehen weiter kommen
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seit dem 09.11.2005

     
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 09.11.2005 um 17:04 Uhr

Ich höre viele Geschichten und diese hat mir ein Freund erzählt, grad erst vor kurzem.


Nein, wart, die Geschichte ist ja noch nicht vorbei. Es kam eine Kutsche – ja, richtig altmodisch – mit Pferden und Kerzen und Vorhängen drinnen, der ganze Schnick Schnack. Ich steig also ein. Der Typ vorne war nicht gerade vom gesprächigen Schlag, das war sofort deutlich. Und dann sitzt du da, ich bin mir ja schon ein bisschen blöd vorgekommen, aber nach einer Weile ist das auch vergangen und das laute Geräusch das diese fahrende Holzkiste machte war ohrenbetäubend. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Ich bin dann wieder munter geworden, ich weiss nicht, ich glaub nicht dass es viel später war. Ich hab die Vorhänge auf die Seite gezogen konnte aber nichts sehen weil es noch dunkel war.
Ich lehnte mich zurück auf der Bank und schaute mich um. Naja, für den transport in den Himmel fand ich es schon armselig. Und das Scheiß Gerumpel ging mir unheimlich auf die Nerven. Nein, also nicht, dass ich echt darüber nachgedacht hab, ich hab mir nur kurz überlegt, was ich ihm sagen werde. Ich mein, ich hab ja viel Blödsinn gemacht in dem Leben, aber ich kann gut diskutieren, ich dachte ich werds ihm schon gut verkaufen. Und immerhin, ich glaub nicht an den Himmel und die Hölle und den ganzen Scheiß. Ich mein, wenn ich in Deutschland ein Verbrechen begehe, dann werde ich ja auch nicht nach chinesischem Recht beurteilt, oder? Ja, und weil hier manches ganz normal ist, was zum Beispiel in China strafbar ist, deshalb hab ich doch nichts falsch gemacht nicht wahr. Und darum hab ich mir auch auf der Fahrt, die langsam echt mal aufhören hätte können, auch keine Sorgen gemacht.

Selbstmord wars. Aber bitte, wenn man immer nach dem, was die Kirchen sagen leben würde, dann wär ja überhaupt kein Spass mehr am Leben. Jeden Sonntag in die Kirche, ja genau... mit dem Kater, den ich Sonntags hab...

Jedenfalls bleibt das Ding stehen. Ich steig aus, der Typ vorne drauf sagt noch immer kein Wort, was für ein Unsympath, und deutet auf ein Haus. Jetzt sehe ich es, es schaut aus wie der Reichstag oder ein Bezirksgericht oder so was. Ich geh rein. Die Portiertussi tut total gestresst, obwohl überhaupt niemand bei ihr steht und was will. Ich stell mich also hin. Sie ignoriert mich und ich kann das nicht ausstehen. Du weißt schon, so wie einen die Schaltermitarbeiter bei der Post ignorieren wenn man dran ist - nur noch kurz irgendwas ablegen - und einem damit runtermachen. Ich war also schon etwas in rage, du verstehst.

Dann schaut sie mich an, tut ganz überrascht und fragt: „Ja, bitte?“
*saublödenTussiinGedankendenHalsumdreh*

Ja, was sagst dann, he? Ich fang also an und stotter rum, ja was weiss den ich, was ich da sagen soll?!
„Hm, ich bin gerade gestorben, also, das soll heissen, ich weiss nicht genau, wie lang es jetzt her ist, was ist denn heute für ein Tag?“

Mann, was hab ich mich geärgert, aber, ich mein, du kennst mich ja, ich hab probiert doch halbwegs freundlich zu sein und quetsch mir also ein Lächeln auf die Lippen.
Sie schaut mich an, legt den Kugelschreiber an die Lippen und macht eine lange Pause bevor sie was sagt. Ja, richtig argh!
Dann sagt sie kurz und spitz: „Name?“ und schaut auf ihren Schreibtisch.
Ich sag meinen Namen und schiel über den Tresen um zu schaun ob sie mich da irgendwo stehen hat, in irgendeinem himmlischen Register oder so.

Sie sieht es und schliesst die Mappe, damit ich nix sehen kann. Dann steht sie auf und geht zu einem Schrank hinter ihr und trödelt da mit irgedwas herum. Am Anfang dachte ich ja noch - gutgläubig wie ich bin- , dass sie irgendwas für mich sucht, aber dann sehe ich, dass die Tussi beim telefonieren mit irgendeiner Freundin ist, kann man sich das vorstellen!

Und dann war aus. Ich winke ihr und sie deutet mir noch kurz zu warten, legt langsam auf und kommt auf mich zu. Schaut ganz überrascht und sagt : „Ja bitte?“

„Also, jetzt hören sie mal genau zu: Ich habe eine scheiß lange Fahrt hinter mir, ich bin gerade gestorben und will jetzt augenblicklich von ihnen wissen, wo ich erwartet werde. Ich weiss ja nicht, wo sie ihre Ausbildung gemacht haben, aber so etwa unhöfliches wie Sie hab ich ja in Zeiten nicht erlebt. Ich werde mich über sie beschweren, darauf können Sie gift nehmen.“

„Zimmer 318, die Treppe nach oben, zweite Tür rechts.“ War die schnippische Antwort, sie schaute dafür nicht einmal in ihr blödes Register.

Kannst du dir das vorstellen! Unglaublich, da ist man endlich tot und glaubt den ganzen bürokratischen Scheiß hinter sich zu haben und dann sowas! Mann, was hätte ich für eine Zigarette gegeben. Oder noch besser einen Sandsack um richtig dagegen zu treten. So eine verdammte Scheisse, das war alles überhaupt net so, wie ich gedacht hatte! Jetzt muss man sich scheinbar sogar nach dem Leben noch alles selber richten!

Im ersten Stock schau ich mich erst mal um. Ja, die Zimmernummern sind schon mal gut. 315 seh ich und ein paar Notausgangsschilder. Alles ganz normal. Ha! Eine Raucherzimmer! Ja! Wenigstens eine Annehmlichkeit, dass hier in den öffentlichen Räumen das Rauchen noch nicht verboten ist! Ich also rein, die Luft steht von den Wolken, die Wände sind gelb, die Raucher in Gruppen beim reden. Manche lachen. Ich geh auf einen jungen Mann zu und frag ihn: “Hey, hast vielleicht an Tschick für mich?“ Er greift in die Innentasche und holt ein Päckchen Marlboro hervor, hält mir die offene Packung hin und gibt mir Feuer.
Und Junge! Noch nie hat mir eine Zigarette so geschmeckt, das kann ich dir aber sagen!
Ich stell mich zum Fenster und lausche was die anderen so sagen. Und ob du´s glaubst oder nicht, sie reden vom letzten Wochenende, von Frau und Kindern, so normal, dass ich kurz dachte, vielleicht bin ich überhaupt nicht tot und hab nur einen verdammt realistischen Traum! Verdammt realistisch! Ich schmeiß die Kippe aus dem Fenster und gehe zu Zimmer 318.

Es schaut wie ein Wartezimmer aus. Schon wieder warten denk ich und setz mich auf einen Sessel. Sonst ist niemand da und ich höre auch keine Stimmen.
Jetzt wirds mir doch ein bisschen unheimlich, ich mein, was wird mich erwarten? Ich schau mich um. An den Wänden hängt nichts, auf dem Tisch vor dem ein Stuhl steht liegen ein paar Akten oder sowas.
Die Tür geht auf und eine ältere, etwas dickere Frau in einer schwarzen Robe kommt herein. Sie schaut mich kurz an und nimmt hinter dem Schreibtisch platz. Sie setzt sich die Brille auf, macht mit ihrer Hand eine Gebärde, dass ich auf dem Stuhl vor ihr Platz nehmen soll, begleitet mit einem Lächeln, und wartet bis ich sitze.
Ich steh langsam auf und setz mich hin. Sie schaut mich freundlich an und dann sagt sie: „Ja bitte?“

„Also, ich—„
Ich seufze und fasse neuen Mut durch ihr Lächeln.
„Also, ich bin jetzt seit kurzem tot und ich wollte mit Gott reden um, naja, um die Sache fertig zu machen mein ich. Ich weiss ja nicht wie Sie das hier handhaben und ich will nicht irgedwie gegen die Regeln verstoßen oder so, aber Sie werden verstehen –„ ich machte eine Pause. Sie schaute in ihre Unterlagen. „Ich meine, wie... ich mein, was muss ich denn jetzt tun? Weil, schaun Sie, ich weiss natürlich, dass nicht alles gut war, was ich getan habe und ja, manches war vielleicht sogar richtig schlecht, aber ich kann das erklären! Man darf nämlich dabei die Umstände nicht aus dem Auge verlieren, wie sich die Dinge ereignet haben und überhaupt waren ja viele Dinge, die – „

Und wenn ichs dir sage, ich kam mir vor wie mein eigener Anwalt. Was die ganze Angelegenheit schwierig machte war, dass ich gar nicht wusste, was genau sie hier wussten, wenn du verstehst was ich meine.
Weil, stell dir vor, ich fang an irgendetwas zu erklären und dann stellt sich heraus, dass sie das eigentlich gar nicht gewusst haben! Ja, dann bin ich richtig angeschissen. Ich wollte es also so allgemein und diplomatisch wie möglich halten.

„Nun, also zunächst müssen Sie verstehen, dass wir hier nicht gegeneinander arbeiten“ begann die Frau nach einer Pause. „Ihr Wohl liegt uns hier sehr am Herzen und obwohl wir verstehen, dass Ihnen vieles, was sie getan haben schlecht erscheint, ist es von äusserstm Belang, dass Sie verstehn und sich eingestehen, dass Sie selbst es getan haben.“

Aha! Also die klassiche Selbstanzeige! Jetzt wusste ich woran ich war. Du, das nenn ich mal himmlisch einfach, selbst keine Nachforschungen anstellen und dann dem anderen sagen, er soll´s selbst erzählen! Und es entwich mir ein vielbedeutendes „Aha!“

„Sehen Sie, wir nehmen hier von jeglicher Art von Urteil Abstand. Wenn Sie sich jedoch entscheiden sollten Dinge mit uns besprechen zu wollen, so sind hier viele Experten, die ihnen dabei Unterstützung anbieten können.

Wir haben verschiedene Programme ausgearbeitet, die, nach unserer Erfahrung sehr hilfreich sein können. Wissen Sie, die Erde ist ein Ort, an dem Sie sich sehr an Schema´s und Regeln gewöhnt haben. Sie haben dort, wie soll ich sagen, gewissermaßen vergessen, dass alle Regeln und Strukturen nur Vorschläge sind. Hier können Sie, wenn Sie dieses Programm wählen, lernen langsam zu durchschaun worauf sich Strukturen gründen, und sie werden im Verlauf dieses Programms lernen, dass sich alle Strukturen aus Ihnen selbst speisen. Wir bieten ihnen dabei die Möglichkeit dies zu erfahren mit Hilfe von anderen, mit denen sie sich austauschen können, Ideen besprechen und gemeinsam neue energetische Konzepte ausprobieren.“ Sie lächelte.

Mann, ich sags dir, zum ersten Mal seit diesem verdammten Tod war ich ein bisschen erleichtert. Irgedwie gabs eine Perspektieve und die Alte war endlich einmal ein freundlicher Mensch. Oder, ja, Mensch – was weiss ich!
Ich nickte verständnisvoll.

„Ein anderes Programm, das wir anbieten behandelt hauptsächlich ihre Vergangenheit. Sie können dabei mit Begleitung, so Sie dies wünschen, zurückgehen in verschiedene Situationen ihres Lebens. Sie sozusagen wiedererleben und dabei ein anderes Verständnis über die Dinge erlangen. In diesem Programm werden Fragen behandelt wie: Warum ist dies oder jenes so geschehen, und das Ergebnis wird schlussendlich ein – auf Verständnis basierendes – loslassen Ihrer Vergangenheit sein. Denn sehen Sie, wenn Sie daran festhalten, so hält auch ihre Vergangenheit an Ihnen fest und geht mit Ihnen, wohin sie auch gehen, wie ein schwerer Koffer, den sie mitschleppen. Dies klingt wohl ein wenig angsterregend, wenn ich Ihren Blick deuten darf, aber sehen Sie, es wird Ihnen niemand etwas wegnehmen. Tatsächlich kann das überhaupt niemand.“

Du, ich gebs ja nicht gerne zu, aber die Alte wurde mir immer sympathischer. Sie war freundlich, höflich und doch schien sie mir ehrlich. Ich war vorallem froh, dass nichts von dem Zauberei-Scheiss hier auftauchte. Ich meine, keine fliegenden Schweine oder schwebenden Engel oder so was. Nein, sachliche Information, das konnte ich jetzt brauchen.

„Sie müssen Ihre Entscheidung natürlich nicht sofort treffen und die anderen Programme in unserem Repertiore werden sie später noch erfahren. Fürs erste ist das jetzt genung.
Ich nehme an, Ihre Reise war lang und sie sind müde. Wir haben für Sie eine Reihe freiwilliger Begleiter, sie können in Zimmer 312 mit Ihnen Bekanntschaft machen und jemanden auswählen, der sie in der nächsten Zeit begleiten wird. Sie können ihre Wahl jederzeit neu treffen, unsere Mitarbeiter sind professionell, das heißt, es wird Ihnen niemand übel nehmen, wenn Sie sich neu entscheiden. Ihr Begleiter wird Ihnen auch in ganz praktischen Dingen Rat geben, so, dass Sie zum Beispiel nicht wieder eine Kutsche nehmen müssen sondern eine komfortablere Art zu reisen lernen können –eine der Annehmlichkeiten des nichtphysikalischen!“
Sie lächelte.

Ich stand auf. Sie stand ebenfalls auf, reichte mir die Hand und sagte: „ Ach ja! Beinahe hätte ich vergessen! Wir haben ein kleines Willkommensfest für Sie organisiert. Abgesehen von Ihren freiwilligen Begleitern werden andere anwesend sein. Wir haben uns noch nicht einigen können welche Musik wir einladen, also wenn Sie eine Idee haben, lassen Sie es einfach Ihren Begleiter wissen.“

Und nach einer kurzen Pause in der sie mir in die Augen schaute, sagte sie auf merkwürdig vertraute und gerührte Weise: „Willkommen.“

Ja, Mann, ich sag´s dir! Wenn ich´s nicht selbst erlebt hätte, ich würds nicht glauben. Du, meine CD Sammlung, die hab ich dir vermacht, und ich will keine Beschwerden hören, dass du den PC nicht bekommen hast!“ *ggg*

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