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Blick von außen auf die DDR
Autor: ArnoAbendschoen · Rubrik:
Sonstiges

Verwandte drüben gab es bei mir nicht. Solange die DDR bestand, machte ich hin und wieder einen Tagesbesuch in Ost-Berlin. Außerdem durchquerte ich beim Transit oft dieses fremde Staatsgebiet. Es ergaben sich nur selten nähere Kontakte zu den Einheimischen. Welche tieferen Einblicke kann man so gewinnen?

Wie viele Besucher der Hauptstadt der DDR machte auch ich die Bekanntschaft Devisenhungriger. In meinen Fall waren es zwei junge Männer, die mich am Alexanderplatz ansprachen und über lange Zeit wortreich beknieten, ihnen doch zu einem für mich sehr vorteilhaften Wechselkurs DDR-Mark in D-Mark zu wechseln. Und es sei überhaupt kein Problem, nicht ausgegebene Ostwährung bei der Ausreise ganz legal wiederumzurubeln. Diesen Unsinn, verbunden mit einer langen Lügengeschichte, schwatzten sie mir zwar vor, doch nicht auf, so sympathisch sie im Übrigen auch wirkten.

Eine ähnliche Begegnung auf einem Parkplatz an der Autobahn zwischen Berlin und Magdeburg. Wir hätten da womöglich gar nicht halten dürfen, vielleicht wollte der Fahrer nach dem Motor sehen. Da kam ein junger Bursche, ein wenig verwildert, wie unter starkem Druck stehend, aus dem Gebüsch auf uns zu, bat um Westgeld, nicht gewechselt, sondern geschenkt. Wir waren auf der Hut und lehnten gleich ab. Er verdrückte sich sofort.

Mit Freunden war ich einmal zum Kaffeetrinken bei einem Brieffreund von einem von uns. Es war in einem Ost-Berliner Vorort, Kaulsdorf-Süd, glaube ich. Der Gastgeber war ein Orchestermusiker in mittleren Jahren. Wir saßen im Garten, umgeben von seiner Familie und Verwandtschaft. Die Gespräche waren lebhaft, offen, freimütig. Der Musiker fing selbst davon an, von einer möglichen Flucht zu sprechen. Ab und zu reise er ja mit dem Orchester ins westliche oder neutrale Ausland - wenn er einfach wegbliebe? Na ja, sagte er, er habe eben Familie, zuckte mit den Achseln und ging zu etwas anderem über.

Am meisten hat mich das Folgende beeindruckt. Ich kam von Kopenhagen und landete auf dem DDR-Flughafen Schönefeld. Eben war auch eine Maschine aus Budapest angekommen, mit vielen DDR-Bürgern. Die Pass- und Zollkontrollen für den Transit nach West-Berlin einerseits und die Einreise in die DDR andererseits erfolgten natürlich an verschiedenen Schaltern. Sie waren nicht weit voneinander entfernt, und ich konnte von meiner kleinen Schlange die größere drüben beobachten – und wie die Amtspersonen jeweils mit den Wartenden umgingen. Die Behandlung hätte kaum unterschiedlicher sein können. Während wir Westler distanziert-korrekt und durchaus höflich abgefertigt wurden, herrschte innerstaatlich ein ganz anderer Umgangston. Da wurde durchweg barsch aufgefordert und nicht selten auch kurz angeschnauzt, so dass man kaum glaubte, was man hörte und sah … Und die ließen sich das, ohne zu murren, alles gefallen? Und bekamen dabei mit, wie ganz anders international die Sitten waren?

Ich wähle einen Vergleich, um den Eindruck dieser Schönefelder Szene zu vermitteln: Stellen Sie sich eine Schafherde vor, um die ein Hütehund bellend herumspringt. Er hat nur eins im Sinn: die Herde gemäß den Befehlen seines Herrn beisammen zu halten und in die gewünschte Richtung zu drängen. Dass ihm ja keines ausbüchst oder Sonderwege einschlägt. Und in seinen Mitteln ist er nicht wählerisch, beißt auch schon mal in die Hinterläufe. Hauptsache, sie spuren.

Man kann es auch gehobener ausdrücken. Die DDR pflegte im Umgang mit den eigenen Bürgern gewisse preußische Tugenden. Wie Fontane mal sagte: Stramm, stramm, alles über einen Kamm. Oder Tucholsky über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: Das Land war ein einziger Kasernenhof.

Alles vorbei und Geschichte, klar. Aber was ist nachher aus den Schäferhunden und –hündinnen geworden? Keiner mehr da zum Schurigeln? Und wie haben sich die Schafe von damals später entwickelt? Ach, das ist ein zu weites Feld … Mir scheint, einige von ihnen – nur wenige, hoffe ich - haben selbst Lust bekommen, den Schäferhundepart zu übernehmen. Ein Elend ist es zuweilen mit früher Prägung.


Einstell-Datum: 2014-07-19

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Dieser Text wurde noch von niemandem bewertet.

 

Kommentare


Das ist Nachfrager
Kommentar # 1:
Autor: Nachfrager, 24.08.2014 um 17:21 Uhr


Hallo Arno,

ja, es gab diese und jene Flughafenmitarbeiter - wie überall. Findest du heutzutage auch, du musst nur genau hinsehen.
Natürlich, gegenüber Westberliner oder Westdeutschen gab es wohl eine Anweisung, dass sie korrekt und höflich mit den Leuten umzugehen haben. Deshalb verstehe ich auch nicht die Endlosklagen über die unhöflichen Grenzbeamten, da spielen sicher andere Momente hinein als das wirkliche Erlebnis. Als unhöflich wurde ja schon angesehen, dass man den Pass verlangte und Bild und Original verglich. Wozu die DDR natürlich jeden Anlass hatte an dieser Grenze zwischen zwei feindlichen Gesellschaftssystemen. Oder denk mal daran, wie Asylbewerber heute behandelt werden, da kann man auch nicht sagen Kasernenstaat.


Das ist ArnoAbendschoen
Kommentar # 2:
Autor: ArnoAbendschoen, 31.08.2014 um 09:37 Uhr


Nachfrager, erst mal willkommen in den heiligen Hallen hier.

Mein Text ist weniger einer über die DDR als einer über Ex-DDRler heute. Ich sage ja selbst anfangs: "Welche tieferen Einblicke kann man so gewinnen?" Um Schafe und um Schafe im Schäferhundekostüm ging´s also vor allem. Mir war nämlich aufgefallen, dass manche ihren Stallgeruch trotz großen Bemühens nicht loswerden und dass sie, wenn sie können, schummeln wie die DDR bei ihrer Kommunalwahl 1989. Das habe ich mir mit Hilfe von Assoziationen zu erklären versucht. Ich gebe zu, mein Ansatz ist arg feuilletonistisch.

Arno Abendschön


Das ist Kenon
Kommentar # 3:
Autor: Kenon, 31.08.2014 um 13:53 Uhr


Die Spuren von fast 60 Jahren Diktatur kann man auch heute noch öfter am Flughafen Schönefeld beobachten. Aber nicht nur dort, sondern an vielen Orten, an denen sich ein gewisses Klientel gehalten hat, sei es in den Schulen, im Eisenbahnbetrieb, in der Post oder auch in den REWE-Filialen, die ehemals Konsum-Kaufhallen waren.

Das erschreckende ist, dass auch Menschen, die heute vielleicht 25 oder 35 Jahre alt und in einem entsprechenden Täterumfeld aufgewachsen sind, ein vollkommen asoziales DDR-Benehmen ererbt haben; oder dass andere, die familiär nicht direkt in den alten Machtapparat verstrickt sind, sich um die Auseinandersetzung drücken, weil sie damals vielleicht erst 10 oder 15 Jahre alt waren, als die DDR zusammenbrach, und "nicht so viel mitbekommen haben". Wenn die wüssten, wie man sie quasi vom ersten Atemzug an zu "neuen" Menschen formen wollte...

Wie der viel gescholtene Schönbohm einmal sagte, fehlt eine „ehrliche Selbstreflexion auf das eigene Leben im Räderwerk einer gefährlich alltäglichen Gewohnheitsdiktatur“. So kommt es zu den unschönen Kontinuitäten, die besonders in Berlin/Brandenburg, also Preußen, virulent sind, was natürlich die Frage aufwirft, ob das Problem nicht doch ein noch viel älteres ist.


Das ist Nachfrager
Kommentar # 4: Blick von außen auf die DDR
Autor: Nachfrager, 31.08.2014 um 14:30 Uhr


Hallo Arno,

ich weiß nicht, was an ehemaligen DDR-Bürgern so komisch sein soll. Es sind Leute wie alle, kluge und dumme, dicke und dünne, lange und kurze. Und was Stallgeruch angeht, so hat jeder seinen, egal, ob aus Ost oder aus West. Auffallend aber, dass sie sich oftmals gegenseitig nicht riechen können. Aber das war zu erwarten nach dem zwangsweisen Zusammenschmeißen. Keiner ist frei von Fehlern, Arno. Und wer es zuerst sagt, hat die meisten Fehler.

Gruß, Nachfrager


Das ist Nachfrager
Kommentar # 5: Blick von außen auf die DDR
Autor: Nachfrager, 31.08.2014 um 14:34 Uhr


Hallo Kenon,

du scheinst ja sehr schlechte Erfahrungen mit Ostdeutschen gemacht zu haben, die stinken dich sozusagen aus jeder Pore an. Übrigens, falls du das noch nicht wissen solltest: Jeder Staat ist eine Diktatur, denn jeder Staat hat seine herrschende Klasse. Im Westen sind es die Monopole und die Finanzoligarchie, im Osten waren es die Arbeiter und die Bauern. Du kannst dir aussuchen, welche Diktatur dir lieber ist.
Das überlasse ich ganz dir.

Gruß, Nachfrager


Das ist Kenon
Kommentar # 6:
Autor: Kenon, 31.08.2014 um 16:54 Uhr


@Nachfrager

1) Zum Verständnis kurz: Ich wurde selbst in der DDR geboren.

2) Die DDR war ein sowjetisches Projekt. Nur auf sowjetischem Papier haben dort Arbeiter und Bauern die Macht ausgeübt. Das dürfte mittlerweile bekannt sein.

3) Du hast einen seltsamen, alles relativierenden Diktaturbegriff.

4) Natürlich lebe ich lieber in der BRD (auch wenn mir nicht alles in ihr gefällt) als in den beiden anderen Unrechtsstaaten DDR und Drittes Reich.


Das ist ArnoAbendschoen
Kommentar # 7:
Autor: ArnoAbendschoen, 31.08.2014 um 17:22 Uhr


Nachfrager, ich sollte es wohl verdeutlichen: Der Begriff "Stallgeruch" bezieht sich in meinem Kommentar nicht auf Ex-DDR-Bürger an sich, sondern auf eine ganz bestimmte, von mir ins Visier genommene Gruppe. Das Wort "Wendehälse" wollte ich vermeiden, zumal der damit bezeichnete Personenkreis nicht vollkommen identisch ist mit dem von mir gemeinten. Um es zu umschreiben: Es geht um gut Angepasste, die es sich zu richten wissen. Kurz: gestern unauffälliger Untertan, heute groß herausgekommen.

Vergleichbar damit sind diejenigen in der UdSSR, die vor 1991 brav funktionierten und danach als Großunternehmer tätig waren, z.T. Milliardäre wurden. Oder bei uns Leute, die es nach 1990 sehr weit in der Politik oder in den Medien gebracht haben. Ich muss wohl keine Namen nennen ... Allerdings habe ich beim Verfassen des Textes ohnehin an kleinere Fische gedacht.

Arno Abendschön


Das ist Nachfrager
Kommentar # 8: Blick von außen auf die DDR
Autor: Nachfrager, 31.08.2014 um 17:45 Uhr


Ja, Arno, davon gibt es massenhaft. Ich habe über diese Wendehälse sogar ein Gedicht geschrieben, finde es momentan aber nicht. Müsste ich raussuchen. Die tun heute so, als würden sie seit 100 Jahren Bundesbürger sein, und fletschen die Zähne, wenn sie auf einen treffen, der die Kurve gar nicht kriegen wollte - so, als sei der ein Alien, der in den Käfig gehört.

Das ist Nachfrager
Kommentar # 9: Blick vom außen auf die DDR
Autor: Nachfrager, 31.08.2014 um 17:56 Uhr


Ja, Kenon, Leute wie dich kenne ich auch. Die waren schon immer gegen die Ulbricht-Diktatur, gingen aus Protest gegen das Unterdrückungsregime bei Rot über die Straße, und als sie noch ganz klein waren, weigerten sie sich standhaft, sich aufs Töpfchen zu setzen, und machten noch mit drei Jahren ins Gitterbettchen. Apropos Gitterbettchen, bei den Kleinen hat es angefangen mit der Diktatur, und was draus geworden ist, das sieht man ja heute. Aber zum Glück haben wir heute die FGO und können uns glücklich schätzen, nicht immer nur auf Westpakete warten zu müssen. Heute kaufen wir selbst bei Aldi ein, und manchmal möchten wir unseren Westverwandten selber ein Päckchen schicken. So ändern sich die Zeiten, da hast du recht.

Das ist Kenon
Kommentar # 10:
Autor: Kenon, 14.02.2015 um 23:22 Uhr


Ich habe das Privileg genossen, einer Oppositionsfamilie zu entstammen.

Das ist ArnoAbendschoen
Kommentar # 11:
Autor: ArnoAbendschoen, 15.02.2015 um 00:07 Uhr


Opposition ist immer gut und nicht etwa "Mist". (Da irrte Müntefering.)

Arno Abendschön (auch von oppositionellem Adel abstammend)


Das ist Nachfrager
Kommentar # 12: Blick von außen auf die DDR
Autor: Nachfrager, 15.02.2015 um 07:24 Uhr


Wie es keine Sippenhaft geben sollte, sollte es auch keinen Sippenstolz geben, Kenon. Und Opposition ist nicht per se etwas Gutes oder etwas Schlechtes. Es kommt doch darauf an, wofür oder wogegen man ist, also für den Frieden oder den Krieg zum Beispiel. Stand man also in Opposition zur DDR, dann hatte man nichts gegen Krieg, denn in der DDR war jede Kriegspropaganda verboten. Steht man aber zur BRD in Opposition, dann ist man im allgemeinen ein Friedensfreund.
Und nun such dir aus, welche Opposition dir zusagt.

Ciao, Nachfrager


Das ist Nachfrager
Kommentar # 13:
Autor: Nachfrager, 15.02.2015 um 07:26 Uhr


Hab vergessen, Ironie drunterzuschreiben. Aber ich denke, sie wird auch so verstanden, gelle?

Nachfrager



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