Die Stadt hier ist Berlin als Nebenschauplatz. Das Land, wo der Film zu Hause ist, das ist eine Gegend in Brandenburg, fünfzig Kilometer südlich vom Berliner Stadtrand. Jänickendorf heißt das kleine Dorf im Baruther Urstromtal, gerade vor den Höhen des Flämings. Und der Fluss - es gibt keinen. Sollen wir es metaphorisch auffassen? Aber anstelle eines Erzählflusses haben wir es allenfalls mit einem Bach zu tun – und gerade darin liegt eine der Stärken des Films. Benjamin Cantu hat in seinem ersten Spielfilm, gedreht im Sommer 2010, seit 2011 im Kino, die üblichen Trampelpfade der Fernsehspielästhetik vermieden. Sein Rezept scheint gelautet zu haben: viel Struktur und wenig Plot. Es hat funktioniert, es hat viel Zustimmung von der Kritik wie von den Zuschauern gegeben.
Drehort war vor allem eine in Jänickendorf real existierende Agrargenossenschaft. Der Film nimmt teil an den Arbeitsabläufen dort: wie Rinder gehalten und Möhren verarbeitet werden – und wie der Nachwuchs an Arbeitskräften ausgebildet wird. Ein Dutzend Lehrlinge beiderlei Geschlechts und weitere Angestellte des Großbetriebs, das sind die Laiendarsteller des Films, die sich vor der Kamera unaufgeregt und natürlich verhalten – wir schauen so unmittelbar in den Organismus einer industrialisierten Landwirtschaft hinein.
In diese Dokumentation hat Cantu geschickt seine Filmhandlung implantiert. Der verschlossene Marko (Lukas Steltner) ist einer von den Auszubildenden. Er kommt aus sozial schwachem Milieu, steht kurz vor seiner Abschlussprüfung. Jacob (Kai-Michael Müller) hat eine Banklehre abgebrochen und fängt ein Praktikum in der Genossenschaft an. Er ist aufgeschlossener, mutiger als Marko. Beide fühlen sich erotisch voneinander angezogen. Und zu zeigen, wie es dabei für sie in kleinen Schritten vorangeht, zwischen dem Markieren von Kälberohren und dem Bedienen von Beregnungsanlagen und mit einer Spitztour nach Berlin, der für beide so fernen, fremden Großstadt, darin besteht die Kunst dieses kleinen, sympathischen Streifens.
Verlauf wie Ende des Films sind rundum glaubwürdig. Man ist neugierig, wie es weitergeht, und wird nicht mit Unwahrscheinlichem konfrontiert. Die Szenerien – das Dorf, die kleinen Städte, das stille, tiefgrüne Land, selbst die Berliner Ecken – all das wirkt seltsam frisch für die Augen. Und ich staune immer noch darüber, wie zwei fähige Nachwuchsschauspieler sich innerhalb einer fiktiven Handlung derart harmonisch in einen authentischen Rahmen einfügen können. Ein einmaliger Glücksgriff? Besser ein Muster, das, ohne kopiert zu werden, als Beispiel dienen könnte.
[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2013-01-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.