"Das ist immerhin nbl/nbl, eine fast schon übermächtige Musikgruppe, die seit zwei Jahren noch erfolgreicher geworden ist als früher. Sie sind noch nicht so groß wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte, aber das sind ja auch hängengebliebene Has-Beens aus dem vorigen Jahrtausend", sagt sich die 18-jährige Ljilja, die eben zwei der Bandmitglieder angezeigt hat. Vorwurf: sexueller Missbrauch/Vergewaltigung. Ob sie gegen die überhaupt eine Chance haben wird?
Die letzten richtigen Männer in MA und R'n'R
"Puuuha, das war aber nötig, danke. So ein bißchen Fun, tut doch keinem weh, oder?" Der Fun der Männer ist oft der Pun der Frauen. Als Andenken an den ominösen Backstage-Abend vom ersten der drei Konzerte in einer niedersächsischen Kleinstadt, Sasenheim, dem Heimatort der Band, blieb Ljilja immerhin ein Band T-Shirt mit dem Sperma des betreffenden Musikers, Krass. Beweislage gesichert, Monika Lewinsky lässt grüßen. Aber wie soll sie beweisen, dass sie nicht freiwillig mit ihm nach hinten mitgegangen ist? Jedem der diese Zeilen liest, wird klar sein, an wen Bela B Felsenheimer, Schlagzeuger der bekanntesten deutschsprachigen Band Die Ärzte, beim Verfassen seines zweiten Romans (Debütroman Scharnow stieg sofort auf Platz 2 der SPIEGEL-Bestsellerliste) gedacht hat. Vor Sexismus und Misogynie sind allerdings weder rechte noch linke Musikgruppen gefeit, ja man könnte durchaus behaupten, dass dieser Wahnsinn System hat und das sogar ein wichtiger Teil des ganzen Rock'n'Roll Business ist. Wie Bela B nach der Läuterung seiner Romanfigur, des Sängers Emil Maler, am Ende des Romans ihn in ein mittelalterliches Re-enactment geraten lässt, legt schonungslos die Parallelen der beiden Welten offen. Der ganze Roman, Fun, zeigt wie wenig Spaß Sex'n'Rock'n'Roll eigentlich für die Frauen in der Szene bedeutet. Aber dank einer jungen Generation von Musikerinnen hat sich die Situation natürlich längst geändert. Nur hätten die Männer sicher niemals freiwillig auf ihre Privilegien verzichtet. Weder im MA noch im R'n'R.
Solche Frauen braucht das Land
Dafür bedarf es Frauen wie Maila. Bela B's Roman stellt nämlich Frauen wie sie in den Mittelpunkt seines zweiten Romans im Musikermilieu. Da wäre etwa auch die toughe Tourmanagerin von nbl/nbl, Miriam, dann natürlich Ljilja, aber vor allem auch Maila, die Tochter von Liane, die vor 23 Jahren einmal eine Affäre mit Maler hatte und jetzt, als der Sänger mit seiner Band in ihren Heimatort zurückkehrt, das Weite auf einer Bootstour mit ihren Freundinnen sucht. Nur blöd, dass ihr Lebensgefährte Guido genauso ein "Dosenwürstchen" (O-Ton) wie Emil (Maler) ist. Denn die Männer dieser Generation kennen nichts anderes als ihr eigenes Ego, verkörpert vor allem durch ihr Würstchen, viel weiter reicht der geistige Horizont einfach nicht und man bekommt sogar das Gefühl, dass sie nur dafür überhaupt in diesem Business sind: um möglichst viele Dosen abzukriegen. Bela B hat ein authentisches Bild des Musikerlebens wiedergegeben, einer Männerwelt voller Drogen und Selbstbeweihräucherung, ohne Verantwortung oder gesellschaftliche Ambitionen, irgendwie hohl, schal, flach und unersprießlich. Und immer nur auf Sex und Herrenwitze fixiert. Eben das, was Männer unter "Fun" verstehen. Oder kleine Jungs. Denn erwachsen sind die inzwischen 40-jährigen Musiker allesamt nicht. Im Selbstverständnis von Maler opfern sich die Künstler nämlich, indem sie für die Massen einen Ausweg bieten, da sie sich wenigstens ihrer eigenen Dunkelheit stellen. So kann man sich zum Märtyrer stilisieren und dabei eine Menge Fun abkriegen. Notfalls sogar mit Gewalt. Oder K.O. Tropfen. Aber das ist ganz sicher kein Spaß.
Ein stimmiges Bild einer verwerflichen Welt
Viel Insight, aber auch Sarkasmus beweist Bela B wenn er seine eigene Zunft charakterisiert. Ein Video des verwerflichen Abends befindet sich noch auf einem Handy und Krass, der betroffene Musiker, vernichtet die Beweislage, in dem er die sim runterschluckt und das Handy zerstört. Er weiß nicht, dass auf der sim nur mehr Telefonnummern gespeichert werden und sich alles andere längst in der Cloud befindet. Hohl von den Drogen oder von vornherein dumpf in der Birne? Bald hegt Krass sogar Gefühle für sein ChatGPT, mehr als für seine Kollegen. Lustig ist es auch, wenn das einzig Vegetarische in einer Kneipe der Wurstsalat ist oder der Berliner Slang des verhörenden Polizisten Selim Yilmaz, dem Krass im Suff alles gesteht, lautmalerisch wiedergegeben wird. Dass die drei Freundinnen - wohlgemerkt keine "Yoga Cougars" - um Liane auf ihrem Bootsausflug auf der Müritz eine ebenso geschmeidige Ausdrucksweise pflegen wie die Musiker selbst, mag sich schon rumgesprochen haben ("Ich hatte mein Coming-Out, du hast dein Familie und bei unserer Nymphomanin hier läuft die Pflaume auch noch so zuverlässig wie vor der Pubertät".) Stockhausen, Wickie, Estriol-Salbe und andere kreative Wortschöpfungen wie Yoga Cougars sind weitere Ingredienzien, die diesen Roman zu einer unterhaltsamen Milieustudie machen, darüber hinaus aber natürlich auch zu einer wichtigen Diskussionsgrundlage bezüglich Machismo im Musikbusiness.
Oder anders ausgedrückt: die letzten richtigen Männer, die die Sau raus lassen, gibt es eben nur mehr im MA-Reenactment oder im Rock'n'Roll. Alle anderen sind Weicheier. Aber wer will schon eine richtige Sau sein? Eine gelungene Satire also vor ernstem Hintergrund. Ein Appell, sich nichts mehr gefallen zu lassen und überkommene Rollenbilder dorthin zu schießen wo sie hingehören: ins Mittelalter.
Bela B Felsenheimer
Fun. Roman
2025, Hardcover, Pappband, 368 Seiten, 12,5x20,0cm
ISBN: 978-3-453-27513-3
Heyne Verlag
€ 24,00
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2025-03-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.