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Szczepan Twardoch - Die Nulllinie
Buchinformation

Mit dem Zorn des Peliden beginnt Homer's Ilias. Achilles zieht in den Trojanischen Krieg, weil sein Freund Patroklos getötet wurde. Auch Twardoch lässt seinen Roman über den Russisch-Ukrainischen Krieg mit Homer's Klagelied beginnen und den Konflikt auf ein episches Ausmaß, nämlich des Krieges an sich, den es immer schon gegeben hat.

Das ewige Soldatenlied der Illias

Aber das heißt nicht, dass es ihn ewig geben muss. "Man kann nicht leben, wenn man nicht so tut als ob", sagt der Erzähler zu Kon, dem Protagonisten, der mit sich selbst im vertrauten Du-Ton spricht und eine Erzählung in Gang setzt, die von einem rauen Soldatentum ebenso geprägt ist wie von der genauen Beobachtungsgabe des Autors. Szczepan Twardoch hat sich selbst immer wieder an die Front in der Ukraine begeben, nicht nur um Material zu sammeln, sondern auch, um zu helfen. Ko?, der sich wie andere seiner Einheit freiwillig zur ukrainischen Armee gemeldet hat, wird an vorderster Front, der Nulllinie, in einem vom Dnipro abgeschnittenen Flecken Erde, eingesetzt. Gemeinsam mit seinen anderen (internationalen) Kampfgefährten sucht er nach dem Sinn, dem Licht, zwischen Drohnen, Verletzten und dem Tod. 45 Jahre ist er schon alt und dennoch nimmt er Anteil am Schicksal seiner Mitkämpfer wie etwa Malpa, dessen Frau sich in seiner Abwesenheit an der Front mit Georgiern vergnügt. "Er war fromm, strahlte eine Art übermenschliches Licht aus, wie eine Ikonenfigur. Am Donbass trank er keinen Tropfen." Aber die Etappe, die Nulllinie, der eingestanzte Frontverlauf, kein Vor und kein Zurück, das raubt jedem den Verstand. Das Warten wird zum einzigen Akt des Widerstands in dem der Warter noch einen Sinn erkennen kann, denn "nicht das Erwartete macht den Sinn des Wartens aus, sondern das Warten selbst".

Die Nulllinie: Krieg in der Etappe

"Wenn die kein Alkoholiker und nicht drogenabhängig bist, dann bist du schon besser als die Hälfte der Leute hier. Und dazu bist du gebildet, kein Irrer, kein Nazi, kein Dieb - das ist Extraliga, Freund", muntert ihn einer seiner Kollegen auf. Aber das war, noch bevor er für die Armee unterschrieben hatte. Kolumbianer gibt es ebenso in der Einheit wie Amerikaner, Briten oder Donbas-Russen. Alle halten sie ihr Pokémon (PKM - Pulemjot Kalaschnikowa) fest und denken an den Feind dabei. So wie in Hemingways "Wem die Stunde schlägt", den Twardoch als weitere literarische Referenz in seine Erzählung einfließen lässt, ist der Krieg vor allem ein Aushalten. "Dieses Ausharren, eine Mischung aus Langeweile und Lebensgefahr, Ausharren unter übelsten Bedingungen, in Dreck und Kälte, wäre das möglich gewesen ohne diese östliche, ohnmächtige Akzeptanz des Leidens, die in der Ukraine sicherlich ungleich verteilt war, denn der Westen des Landes, der Russland erst in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts so richtig zu schmecken bekam, konnte vorher nicht unter seinem Einfluss stehen." Auch das ein Unterschied zwischen dem Westen und Osten des großen Landes, das in seiner Einheit bedroht wird. Die Sprache ist authentischer Soldatenjargon und mag manche verschrecken. Aber die einzige Verbindung zur alten Welt ist das Internet über Starlink. Ko? denkt an seinen Großvater, der schon im Weltkrieg kämpfte, sucht Kontakt zu seiner Geliebten Zuja, um der Verzweiflung zu entfliehen. Der Krieg ist in der Etappe. Ein Ende ist nicht abzusehen. Dieses Gefühl zu vermitteln ist Twardoch ohne Zweifel gelungen. Nun liegt es an Europa.

Szczepan Twardoch
Die Nulllinie
Übersetzt von: Olaf Kühl
2025, gebunden, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7371-0209-4
Rowohlt Berlin
€ 24,00

[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2025-06-26)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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