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Theodor Fontane - Irrungen, Wirrungen
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Fontane, Theodor:
Irrungen, Wirrungen

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(Bücher frei Haus)

Unstandesgemäße Liebe

Theodor Fontane ist einer der klassischen Meister des gesprochenen Wortes und der präzise charakterisierten Figuren. In seiner genauen Beobachtung der Gesellschaft seiner Zeit zum Ausgang des 19. Jahrhunderts hin gelingt ihm immer wieder eine treffende Enthüllung vorherrschender, enger Normen und damit eine ironisierende Form der Gesellschaftskritik. Durch seine Nähe zum „Puls der Zeit“ in Berlin (die meisten seiner Erzählungen und Romane spielen in Berlin) fließen genaue Betrachtungen jeweils aktueller Zeitströmungen und menschlicher Befindlichkeiten in seine Geschichten ein.

1887 erscheint sein Buch „Irrungen, Wirrungen“ zunächst als Abdruck in einer Zeitung, 1888 dann als Band 5 seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Das Buch traf umgehend auf Ablehnung und heftige Kritik.

Die unstandesgemäße Liebe zwischen Baron Botho von Rienäcker und der Schneiderin Magdalene, genannt Lene, ihr heimlicher Genuss aneinander, ihre Unwillig-, aber auch Unfähigkeit, beiderseits die Standesgrenzen zu überwinden und ihre jeweilige Entscheidung, „passendere“ Ehen einzugehen mit der Folge eines mäßig glücklichen Lebens ist die Geschichte des Romans, die mit der ausgesprochenen Enttäuschung über die eigene Unfähigkeit und die allgemeine Unmöglichkeit zum Leben der „unstandesgemäßen“ Liebe gegen Widerstände endet.

Der wunderschöne Sprachstil Theodor Fontanes trägt die Geschichte über die Zeit hinweg, auch wenn gegenwärtig nicht mehr vorstellbar ist, warum die Protagonisten ihre jeweiligen Entscheidungen treffen und warum die Kritik am Buch sich 1888 in solch überbordender Form darstellte. Nicht nur die Freizügigkeit der Schilderung (für heutige Verhältnisse nicht nachvollziehbar) stand dabei im Fokus der Kritik, vor allem die Gelichwertigkeit der handelnden Personen. Dass eine Frau aus niederem Stand menschlichen Wert, z.T. sogar eine moralische Überlegenheit in sich trägt, das war der eigentliche Auslöser der Empörung.

Das beständig mitschwingende, generalisierende Element der Liebe und ihrer naturgemäßten Irrungen und Wirrungen geriet völlig aus dem Blick. Dies aber ist für den heutigen Leser immer noch das eigentlich aktuelle Thema am Roman Fontanes. Alle Entscheidungen der Liebe sind nie die genau Richtigen. Immer bleiben uns unsere Entscheidungen die Liebe betreffend etwas schuldig. Ein durchaus modernes Thema.

Fontane war ein genauer Beobachter, der in wenigen Worten die Charaktere der Personen lebendig skizziert. Oft reichen wenige gesprochene Sätze, um dem Leser die Persönlichkeit des im Roman sprechenden bildhaft vor Augen zu führen. Im fließenden Stil des Buches entstehet so eine greifbare Handlung mit fassbaren Personen, die allesamt einerseits Opfer ihrer Zeit und der herrschenden Normen sind andererseits durch ihre Haltung und Überzeugungen auch Verfechter des herrschenden gesellschaftlichen Rahmens sind.
„Wer dem Herkommen gehorcht, kann zugrunde gehen, aber er geht besser zugrunde als der, der ihm widerspricht“, sagt Baron Botho.
Das ein stabiler, sozialer Rahmen auch Vorteile gegenüber der reinen Selbstverwirklichung um jeden Preis haben kann, ist ein Gedanke, der gerade heut zu Tage durchaus neu bedenkenswert erscheint, auch wenn „für die Sitte“ manches Mal persönliche Opfer notwendig sind.

Im Gegensatz zu seinen präzisen und genauen Betrachtungen der handelnden Personen, die in wenigen Sätzen hervorragend skizziert sind, lässt sich Fontane mit der Rahmenhandlung und der Schilderung des Berliner Alltagslebens durchaus Zeit und beschreibt erzählerisch oft bis ins Kleinste hinein. So entsteht ein gemächlicher Erzählstil, der nichts von der Schnelligkeit und Zielorientierung vieler moderner Romane hat. Gerade dies aber ist eine Einladung an den Leser, sich der Schönheit der Sprache und der Genauigkeit der Schilderung zu öffnen.

Als hervorragende Schilderung einer vergangenen Zeit, der Prägung der Personen durch die gesellschaftliche Enge, in fließendem Stil, entlarvenden Dialogen und umfassender Beschreibung des Alltages ein reines Lesevergnügen der gemächlichen Art.

[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-05-16)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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