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Literaturforum: Fatum, Wien 1983


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Forum > Prosa > Fatum, Wien 1983
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 Thema: Fatum, Wien 1983
ArnoAbendschoen
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718 Forenbeiträge
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 15.01.2022 um 00:14 Uhr

In jenem Beisl hörte ich eines Abends über einen Fall reden, der mir viel zu denken gab. Zwei an meinem Tisch kamen auf einen gewissen Svoboda zu sprechen; vor Jahren sei er an Aids gestorben. „Er war bestimmt einer der Ersten hierzulande“, sagte der eine.
Dann war noch von einem Milan aus Usti nad Labem die Rede. „Er war um die zwanzig und Koch“, sagte der andere. Milan sei mit einem Touristenvisum nach Wien gekommen und habe sich nach ein paar Tagen als Flüchtling bei den Behörden gemeldet. „Wirklich noch ein halbes Kind. Lang, sehr dünn, aber ein hübsches Gesicht, träumerische Augen … Die Eltern durften aus Usti kommen, um ihn zurückzuholen. Aber sie redeten ihm sogar noch zu, hier zu bleiben. Und er, er wollte eigentlich in die USA.“
Ich hörte weiter auf das, was sie sich erzählten. Der eine von ihnen war mit Svoboda nachts unterwegs gewesen und gerade hier im Beisl hatten sie Milan zum ersten Mal gesehen. „Er hat dann nur noch Augen für uns gehabt, so erwartungsvoll. Mein Gott, es waren doch genug andere da! Er hat sein Unglück gesucht.“ Er gab zu verstehen, Milan sei primär an ihm interessiert gewesen. „Aber mir war der Tscheche zu jung, zu unerfahren, zu viel erwartend … Also hat der Svoboda ran müssen. Es ist ihm erst gar nicht recht gewesen. Aber dann sind sie den ganzen Winter zusammen gewesen, bis der Svoboda im März gestorben ist.“
„Ja“, sagte sein Gegenüber, „ich habe auch gehört, dass es bei ihm schnell gegangen sein soll.“
„Und er war vorher vollkommen unauffällig. Den Test gab es ja damals noch nicht. Der Verfall war rasend schnell, die Medizin noch so hilflos.“
Da mischte ich mich in ihr Gespräch: „Und dieser Milan?“ fragte ich.
„Keiner sieht ihn mehr seitdem. Er soll noch versucht haben, in die USA zu kommen.“
Das war eine bedenkliche Geschichte. Svobodas Freund machte sich noch immer ein Gewissen daraus, wie die Vorsehung sich seiner damals bedient und ihn hatte verzichten lassen, zugunsten eines unsichtbar schon Gezeichneten. Gut möglich, dass der Tod unerkannt mit ihnen ins Beisl gekommen war, und er selbst hatte dem Tod den Vortritt gelassen.
Was konnte ich daraus lernen: Dass man keinen zurückweisen soll, der sich einem nähern will? Und immer in Rechnung zu stellen hat, die Vorsehung sei vielleicht auch mal schwankend in ihren Entschlüssen und es komme daher auf uns in jeder Minute an? Was ist Zufall, was Schuld? Ich glaube, es untergräbt die Selbstachtung, sich bloß als Werkzeug des Zufalls zu betrachten – doch Schuld ist nie wirklich abzutragen. Wurde ich etwa religiös?

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Kenon
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1482 Forenbeiträge
seit dem 02.07.2001

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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 16.01.2022 um 09:31 Uhr

Eine tragische, gut erzählte Geschichte, die etwas abrupt beginnt, aber ich kann mir denken, dass sie eines Deiner sogenannten Filet-Stücke ist. Am Ende stellt sich natürlich die drängende Frage: "Wo ist Milan?" – doch man ahnt, dass man darauf keine Antwort bekommen wird.

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ArnoAbendschoen
Mitglied

718 Forenbeiträge
seit dem 02.05.2010

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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 16.01.2022 um 12:06 Uhr

Richtig, der Text ist einem Roman entnommen und leicht umgearbeitet worden. An der ursprünglichen Stelle hat er wie anderes mehr die Funktion, ein Milieu zu charakterisieren und die innere Entwicklung des Ich-Erzählers zu stimulieren. Die Figur Milan taucht kein zweites Mal auf, "Svoboda" dagegen schon. Auf die Idee der Herausnahme und isolierten Publikation kam ich neulich beim Anhören eines Stücks von Martinu, gespielt vom Orchester jener Stadt, aus der das reale Vorbild von Milan kam (nicht Usti n.L.).

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