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Franzobel Franzobel - Hundert Wörter für Schnee
Buchinformation

Nach "Die Eroberung Amerikas" (2021) setzt der österreichische Schriftsteller erneut Fuß in die Neue Welt und beschäftigt sich mit Grönland, das einst, vor 1000 Jahren, von dem Wikinger Erik der Rote entdeckt worden war. Franzobels Roman spielt im Jahre 1897 als der US-amerikanische Entdecker und Abenteurer Robert Peary sechs Inughuit, so der Name der im Norden Grönlands lebenden Menschen, auf einem Dampfschiff nach New York bringt.

"Der Koch, der Eskimo, Peary und seine Frau"

Zufällig erschien der neue Roman des Trägers des Ingeborg-Bachmann-Preises, des Arthur-Schnitzler-Preises sowie des Nicolas-Born-Preises und des Bayerischen Buchpreises zeitgleich mit der Propagandaaktion des amerikanischen Präsidentensohnes Donald Jr. auf Grönland Anfang dieses Jahres. Ich erwähne dies deswegen, weil auch der Schriftsteller Franzobel in seinem Roman immer wieder zeitliche Bezüge herstellt, die man nur als Zeitgenosse verstehen kann. Diese sind sehr gerne auch ironischer Natur, etwa wenn er seinen Roman - einen Peter Greenaway Film paraphrasierend - "Der Koch, der Eskimo, Peary und seine Frau" nennt. Die Frau in seinem Roman nennt sich Josephine und vernahm bereits als Pubertierende gerne das verlockende Röhren der Hirsche, auch wenn sie sich nie tief in den Wald hineingewagt hatte. Nun befindet sie sich inmitten einer Expedition durch Grönland mit ihrem Ehemann Robert, vielleicht die erste Dame und weiße Frau im Hohen Norden, die sich gegen die damals noch unanständige Bräune der Sonne wehrt. "Eine Frau am Pol, das sei ein Skandal und der Untergang der Zivilisation", wie Peary selbst die von ihm verursachte Situation beschreibt, in der die geborene Josephine "Jo" Diebitsch brachte. Für ihre gemeinsame Ehe findet der Autor drastische Worte: Jo selbst sei sich nach dem Verlust ihrer Unschuld wie eine "entwertete Briefmarke" vorgekommen , "abgeschleckt und abgestempelt".

Inughuit Insider Wissen zum Überleben
Nachdem vier der Inughuit an der damals weiterverbreiteten Tuberkulose versterben, wird der neunjährige Minik zum ungewollten Star der Expedition. Seine Geschichte – Taufe, Schule, betrügerischer Pflegevater, Flucht – sorgt bald für Schlagzeilen in der damaligen Weltöffentlichkeit. Natürlich geht Franzobel auch dem weiterverbreiteten Stereotyp des Frauentauschs bei den Eingeborenen auf die Spur, was durchaus überlebenstechnische Gründe hätte. Auch der Polarforscher Peary wird den Reizen der "Nippel wie Dörrfrüchte" und "rotierenden Hintern" ausgesetzt und kann nur schwer widerstehen. Umso besser widersteht er wenig darauf der Eisbärenleber. Die ist nämlich giftig. Dafür wäre die Galle in Alkohol ein kleines Vermögen wert. Für das ewige Eis findet Franzobel ebenso drastische Bilder: "Das Meer war wie ein Teller voll hysterisch tanzender Kartoffelnudeln, auf dem die Nussschale wild geschaukelt wurde". Aber nicht nur gegen die Gezeiten müssen die tapferen Seemänner kämpfen, sondern auch gegen die Temperaturen im Iglu: in Kopfhöhe oft dreißig Grad, in Bodennähe nahe am Gefrierpunkt. Wilde Träume garantiert. "Die Nestwärme war überwältigend."

Überleben in der Wildnis des Nordens

Vier Monate lang versank die Sonne nicht und eine ebenso lange Finsternis folgte. "Nicht allein für Peary, auch Henson, Cook, Amundsen und viele andere Entdecker waren vaterlos aufgewachsen und hatten den ödipalen Konflikt in die Natur verlegt, in einen Übervater namens Pol." Welche Rolle die Tupilaks bei der Eroberung des Nordens spielen und was "mamarpak" aus der Eskimosprache bedeutet ist in diesem abenteuerlichen neuen Roman ebenso zu erfahren wie der Ausgang des Wettkampfs zwischen Peary und Fridtjof Nansen. "Obwohl Minik Grönland liebte, war er ein Außenseiter geblieben, ein Zerrissener, Heimatloser. In Amerika würde es ein Mann mit seinen Talenten rasch zu etwas bringen, auch wenn es nur Fischfiletierer, Zigarettensortierer oder Geflügelrupfer war." Durch ihn, Minik, erzählt Franzobel auch die Geschichte seines Volkes, den Inughuit, die trotz der Kargheit ihrer Umgebung das Überleben meisterten. Ein informativer Einblick in eine untergegangene Welt.

Franzobel
Hundert Wörter für Schnee
Roman
2025, Hardcover, 528 Seiten
ISBN 978-3-552-07543-6
Zsolnay
28,00 €

[*] Diese Rezension schrieb: Jurgen Weber (2025-03-12)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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