|
Rezensionen  
|
Silke Maier-Witt - Ich dachte, bis dahin bin ich tot
Am 7. April 1977 jährt sich ein unheilvoller Tag der deutschen Nachkriegsgeschichte: der Tag des Mordes an Siegfried Buback durch die sog. Rote Armee Fraktion, kurz: RAF. Aber an diesem Tag jährt sich auch die Mitgliedschaft der Autorin der vorliegenden Autobiographie, Silke Maier-Witt, bei der RAF, der sie seither abgeschworen hat.
Der Deutsche Herbst Revisited
Als eine der meistgesuchtesten Terroristinnen der Bundesrepublik gehörte sie dem innersten Kreis der RAF an, zeichnete u.a. für
die Fahrtstrecke von Hanns Martin Schleyer aus, leistete also logistische Hilfe und gehörte dem Kommando an, das in Köln den Arbeitgeberpräsidenten entführte und dessen vier Begleiter tötete. Als bei einem Banküberfall der RAF eine Unbeteiligte erschossen wurde, übte sie daran Kritik und stieg aus der Terrorgruppe aus. Durch die Mithilfe der Staatssicherheit konnte sie in der DDR untertauchen und wurde nach dem Fall der Mauer verhaftet. Mehr als ein halbes Jahrhundert später erscheint nun ihre Autobiographie, in der Silke Maier-Witt gleich zu Beginn klar macht, dass Erinnerung immer "selektiv, subjektiv auf das eigene Selbstbild bezogen ist". "Erinnerung ist eine Geschichte", zitieret sie Milewski, "die man sich selbst erzählt. Sie mag nicht wahr sein, wer es spricht eine Wahrheit aus ihr". Silke Maier-Witt hat den Versuch unternommen, wahrhaftig zu sein, wie sie selbst schreibt, und sich kein Blatt vor den Mund genommen. Sie erzählt auch von ihrer eigenen Familie, ihr Vater war nach dem Krieg noch entnazifiziert worden, da er in der SS Mitglied war. Wie so viele seiner Generation schwieg er über seine Vergangenheit und nicht zuletzt das sprichwörtliche "Schweigen der Väter" sollte auch zur Radikalisierung der sog. 68er Generation führen. Silke Maier-Witt fing Anfang der Siebziger an, für die Rote Hilfe tätig zu sein, die sich um politische Gefangene bemühte. Schon drei Jahre später traf sie auf die ersten "Illegalen", die damals vor allem die sog. Erste Generation aus dem Gefängnis freipressen wollten.
RAF: Sinnloses "perfektioniertes Töten"
Der "Bewegung 2. Juni", die sich nach dem Tag der Ermordung von Benno Ohnesorg benannt hatten, konnten damals einen spektakulären Coup landen und durch die Entführung von Peter Lorenz sechs Inhaftierte freipressen. Vielleicht war es dieser erste Erfolg, der damals auch die RAF zu mehr spektakulären Taten beflügelte. Das Leben im Untergrund in unterschiedlichen Städten Europas oder z.B. dem Jemen, die Kommandoaktionen und Bekennerbriefe sowie Internas der Terroristen erklärt Silke Maier-Witt authentisch und glaubwürdig, ebenso wie die damalige Autoritätshörigkeit und Bewunderung der Illegalen. Dass Gefühle, eigene Meinung und Befindlichkeiten unterdrückt und eine strenge Kommandostruktur eingehalten werden musste liegt in der Natur einer Untergrundorganisation, aber die durch und durch undemokratische Struktur hatte ihr damals schon zu denken gegeben. Als Anja Weber erhielt sie von der Stasi sogar eine neue Nase, um sie für die Westbehörden unkenntlich zu machen. Als IMS Anja Weber hatte sie natürlich auch bestimmte Aufgaben zu übernehmen, sah sich selbst aber niemals als Spitzel für die DDR. Von ihrer RAF Vergangenheit distanziert sie sich spätestens nach der Wende und gilt in deren Kreisen sogar als Verräterin (Kronzeugenregelung). Für sie sind die RAF-Aktionen einfach nur mehr "perfektioniertes Töten" und entbehren jeder Grundlage, sind sinnlos. Zum Vierzigsten Jahrestag der Ermordung Schleyers trifft sie seien Sohn, der gutes über ihr Friedensarbeit im Kosovo und Mazedonien sagt. Er nimmt ihre Entschuldigung bei einer ausgerechnet von der Bildzeitung inszenierten Begegnung an, vergeben kann er ihr aber nicht.
Im Anhang ist ein Personenregister und eine "RAF-Spurensuche" von André Groenewoud, der Brigitte Mohnhaupt aufspürt und auch mit Christian Klar versucht Kontakt aufzunehmen. Ein durchaus ehrlicher Bericht, der versucht zu erklären, warum eine ganze Generation in die Autoritätshörigkeit und Kritiklosigkeit einer kleinen Bande geriet: "Immer wieder habe ich darüber nachdenken müssen, dass ich ihm in mehr als einer Beziehung ähnlich bin.", schreibt sie in einem Brief an ihre Mutter über ihren Vater.
Silke Maier-Witt
Ich dachte, bis dahin bin ich tot
Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach
2025, Hardcover, 384 Seiten
ISBN: 978-3-462-00690-2
Verlag Kiepenheuer & Witsch
26,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2025-03-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.
-> Möchten Sie eine eigene Rezension
veröffentlichen?
[ weitere Rezensionen : Übersicht ]
|
|
|
|