Einem impressionistischen Gemälde gleich hat die in der DDR aufgewachsene und seit 1988 in der BRD lebende Schriftstellerin Monika Maron ihren neuen Roman komponiert. In einem „Zwischenspiel“ durchlebt die ich-erzählende Protagonistin Ruth, eine ausgebildete Schauspielerin, ihre Vergangenheit und ihr bisheriges Leben.
Ruths ehemalige Schwiegermutter Olga ist mit über neunzig Jahren gestorben und Ruth bereitet sich darauf vor, zu deren Beerdigung zu fahren. Sie hatte sich mit der Mutter ihres ersten Mannes Bernhard immer gut verstanden. Doch die auf der Beerdigung bevorstehende Begegnung mit ihm belastet sie. Da ist etwas lange erfolgreich Verdrängtes, eine alte Schuld, die sie hochkommen spürt. Die Frage quält sie, "wo die ganzen Ichs überhaupt bleiben, die man in seinem Leben war und denen man das letzte immerhin verdankt?"
Als Ruth am Morgen der Beerdigung erwacht, nachdem sie am Vortag alles geplant hatte, findet sie ihre Wahrnehmung verändert. Alles verschwimmt regelrecht vor ihren Augen. Ein genialer Kunstgriff von Monika Maron, um ihre Hauptfigur nun in der Folge sehr seltsame Dinge erleben zu lassen. Auf der Fahrt zum Friedhof in der Nähe von Pankow verirrt sie sich und landet in einem Park, in dem ihr den ganzen Tag lang (die Beerdigung verpasst sie) Lebende und Tote erscheinen. Nicht nur Menschen, die sie kannte und die in ihrer Vergangenheit eine Rolle spielten, sondern auch das Ehepaar Honecker taucht auf. In diesen Gesprächen, die sie mit den „Geistern“ führt, geht es über alte Lieben und kaum vernarbte Wunden. Es geht um die Erfahrung des Verrats, immer wieder auch um Abschiede. Doch es sind nicht nur die Gespräche mit den „Geistern“, die sie führt. Über lange Strecken denkt sie dort in jenem verwunschenen Park nach über sich selbst, über die Entwürfe, die sie für ihr Leben hatte, über ihr Scheitern, hauptsächlich aber und mit Nachdruck über die Tatsache, dass man nicht ohne Schuld und ohne Wunden sein Leben führen kann. So vieles ist versäumt, so vieles verpasst worden, und unaufhaltsam nähert sich das Alter und mit ihm der Tod:
"Mein eigener Tod blieb für mich eine unvorstellbare, wenn auch mit Sicherheit zu erwartende Angelegenheit. Ich konnte mich auch nicht mit den Gedanken trösten, dass es nach dem Sterben eigentlich nicht schlimmer sein konnte als vor dem Geborenwerden. Aber die Kränkung lag eben im Wegsein, während alles andere, die Stadt, die Straße, das Haus, der Stuhl, die Bilder, das Bett, noch da sein würde. In solchen Augenblicken wäre ich gerne religiös gewesen und beneidete alle Menschen, die ernsthaft an einen Gott und ihr Weiterleben nach dem Tode glaubte, obwohl ich nie verstand, wie ihnen das gelingen konnte."
Als es dunkel wird, beginnt Ruth wieder klar zu sehen und sie kommt wieder in der Gegenwart an. „Es war vorbei“.
Als der Rezensent diese letzten drei Worte des Romans liest, ist er davon überzeugt, dass diese Stunden im Park, dass dieses „Zwischenspiel“ dem Leben von Ruth noch einmal eine entscheidende Wendung gegeben hat.
Monika Maron, Zwischenspiel, S. Fischer 2013, ISBN 978-3-10-048821-3
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-12-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.