Dass HBO Entertainment für Qualität steht, ist bekannt. Und dass es dieses Unternehmen ist, welches den Gedanken der großen französischen Romanzyklen des 19. Jahrhunderts aufgegriffen hat, auch. Mit den Sopranos wurde bereits Geschichte dieses neuen Metiers geschrieben und alles spricht dafür, dass Boardwalk Empire diese Qualität wird fortsetzen können. Mit der bereits im Jahr 2010 veröffentlichten 1. Staffel unter dem Namen Hung wurde die Serienkonzeption beibehalten, aber das Genre hat gewechselt. Aus den Thrillern, die sich mit zeitgenössischen oder historischen Krisen auseinandersetzten, wurde mit Hung eine Komödie, obwohl der Gegenstand wiederum eine Krise ist.
Die Serie spielt im heutigen Detroit, einem der wohl traurigsten Symbole des zerstörten amerikanischen Traums. Und bereits mit dem einleitenden Trailer wird deutlich, worum es geht. Ein gut gekleideter Mittelständler geht vom einigermaßen erhaltenen Stadtzentrum durch Parks und immer schlechter aussehende Wohnviertel, wirft ein Kleidungsstück nach dem anderen von sich, bis er nackt vor seinem abgebrannten Haus und vor seinem neuen Domizil, einem Zelt steht. Und die und deshalb als Komödie begriffene Sinngebung findet sich in der griffigen Beschreibung des Titels: Mittleren Alters. Geschieden. Pleite. Gigolo.
Nachdem die Ausgangssituation klar ist und die handelnden Personen vorgestellt wurden, entspinnt sich um einen einst viel versprechenden lokalen Sporthelden, aber sich dann ohne für ihn selbst erklärliche Gründe als Loser geendeten Hauptdarsteller die kuriose Wende. Die Idee, die sich mit einer flüchtigen Bekannten quasi aufdrängt, ist die, sich als Gigolo zu vermarkten. Am Rande eines der besonders in Krisenregionen in Hotels angebotenen Seminaren für den wirtschaftlichen Erfolg entwickelt vor allem die Frau eine Marketingstrategie. Es entspinnt sich eine Handlung, die, weil sie mit vertauschten Rollen - er der Stricher, sie die Zuhälterin - spielt, das Absurde und Kuriose der Prostitution auf den Punkt bringt.
Neben dem wichtigen Plot dieser Geschichte ist die erste Staffel eine sehr scharfe Beschreibung des Niedergangs einer einst florierenden Region. Nicht nur der Immobilienmarkt zeigt, wie sich die Gesellschaft mit dem Ruin der lokalen Automobilindustrie in Himmel und Hölle verwandelt hat, auch die Symptome der Zerstörung der sozialen Ordnung sind deutlich und dokumentieren, wie faul auch schon manches war, als alle noch glaubten, die Welt sei in Ordnung. Da ist der Dermatologe, dessen Botox spritzende Konjunktur mit der Verarmung des Mittelstandes am Ende ist und sein Pendant, der Kardiologe, der mit der Krise in eine Hausse geschleudert wurde, weil die Stress und Not gut für Herzinfarkte sind.
Das, was anhand der schrägen Charaktere als ziemlich irrwitzige und schrille Dramaturgie herüberkommt, ist in vielerlei Hinsicht sehr bittere Medizin. So bitter, dass man sich zurecht die Frage stellt, ob die Darstellung dieser Realität ohne Überzeichnung überhaupt ein Publikum fände. Wahrscheinlich nicht, und deshalb scheint die Wahl des Genres der Komödie nur folgerichtig. Und während alles um den Protagonisten in Scherben fällt und sich als schnöder Schein entpuppt, hat dieser bereits die Hölle hinter sich und fühlt sich auf dem aufsteigenden Ast. In einem Gewerbe, das als Metapher für die brutalste Form der Unterdrückung gilt. Das ist das Lynchen des amerikanischen Traums mit einem stumpfen Brotmesser! Fortsetzung folgt!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-12-03)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.