„Die edelsten Taten haben oft unvorhergesehene Folgen“, schimpft John den kleinen, vierjährigen Laurent, aber dieser ergriff keine Partei: Er mochte die Meisen, aber er mochte auch die Katzen. Doch die räuberischen Absichten der Katzen hatten wenigstens einen guten Grund: sie hatten Hunger, ihr Instinkt verlangte es, zum Spieltrieb wurde es erst durch die voll gefütterten Mägen der Hauskatzen. Laurents bester Freund heißt NO und gemeinsam wachsen sie neben einem Golfplatz auf. NO kommt übrigens von Norbert und als Laurent seinen Vater vor den Deutschen warnen soll und dieser kurzum seinen besten Freund zum gefährdeten Vater schickt, nimmt ihm dieser, NO, noch ein Versprechen ab: „55.555 Golfbälle musst du mir dafür sammeln und eines Tages überreichen!“ Das verhängnisvolle Versprechen nimmt seinen Lauf, denn Laurent sollte sein ganzes Leben dazu brauchen und sich nicht einmal einen Urlaub gönnen, so ernst nahm er sein Versprechen an seinen besten Freund, selbst als dieser längst nicht mehr daran glaubte.
Die tragikomische Geschichte der beiden Spielkameraden spielt vor einem ernsten Hintergrund. Frankreich ist von den Deutschen besetzt und die Resistance ist nicht untätig in Kollaboration mit den Engländern das Joch der Besetzer abzuwerfen. Die Szenerie spielt im malerischen Lyon, wo die so genannten „Traboules“ (das sind Lyons berühmte Fußgängerpassagen in manchen Altstadthäusern, die von einer Gasse zu einer anderen führen, sehr geheimnisvoll und spannend, http://www.frankreich-sued.de/lyon-server/Traboules.htm
) so manchen Franzosen vor den Zugriffen der Gestapo-Leute schützen half, indem der Verfolgte seine Peiniger einfach abschüttelte. Ortskenntnis war noch nie von Nachteil, wie auch im neuen Quentin Tarantino, der ja auch im besetzten Frankreich spielt, zu sehen ist. Die beiden heranwachsenden Jungs, NO und Laurent, sind aber weit davon entfernt sich in irgendeiner Weise an der Politik zu beteiligen. Sie interessiert allein das Golfspielen und die dabei für sie abfallenden Bälle oder allerhöchstens noch das Basteln von Papierfliegern, deren Beschreibung dem Schriftsteller Roubaud immerhin eine zweiseitige Anleitung widmet. Auch in ihm scheint der Spieltrieb des kleinen Jungen also noch nicht verloren gegangen zu sein.
Dementsprechend flüssig und – wie gesagt – tragikomisch ist auch die vorliegende Geschichte, die den Leser nicht nur so manche Weisheiten über das Basteln von Papierflugzeugen oder das Golfspielen angedeihen lässt, sondern auch ein leicht verhaltenes Schmunzeln über den absurden Vorgang der Ereignisse. Das Geheimnis des Versprechens an seinen Freund ist nämlich das Gedenken an seinen inzwischen verstorbenen Vater, aber das wird ihm erst bewusst, als er sich endlich einmal eine Auszeit nimmt: „Wozu war diese Reise also gut gewesen? Seinen Schmerz hatte sie nicht austreiben können. Er war immer noch da, brennend, in seiner Brust. Seine Augen blieben trocken, aber all seine Gedanken waren nass von Tränen.“ A gentleman always keeps his promises…
Jacques Roubaud
Der verlorene letzte Ball
Roman
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl
2009
Wagenbach www.wagenbach.de
113 Seiten in der Reihe SALTO des Verlages erschienen
ISBN 978-3-803112644
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-02-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.