„Un poco di ben e un poco di mal tien la barca drita“, heißt es in einem triestinischen Sprichwort und wer die Trinkgewohnheiten der Triestiner kennt, wird es mit „auf einem Bein kann man nicht stehen“ ins Deutsche übersetzen. Aber das Beste an Triest gleich vorneweg: es ist vielschichtig „wie ein Blätterteig“, schreibt der Nicht-Kostverächter Schatzdorfer und benutzt schon in seinen ersten Zeilen zwei kulinarische Metaphern. Womit wir auch schon zwei wichtige Dinge erwähnt hätten, die das Leben nicht nur des Autors in Bewegung halten: das Saufen und das Fressen. Aber in vorliegendem Portrait geht es nicht nur darum, im Vordergrund steht die Geschichte dieses ehemaligen K.u.k.-Hafens, der einst Österreich mit dem Orient verband und so auch Böhmen mit dem Meer, wie Shakespeare oder die Bachmann schon wussten…
„Es liegt ein grobes Missverständnis vor“, schreibt Schatzdorfer, „von Triest als einer mitteleuropäischen Stadt zu sprechen“. Triest sei vielmehr eine Hafenstadt am Ufer des Karstes, wo Kulturen aus aller Welt sich festgesetzt hätten wie Muscheln. Und nicht einmal innerhalb dieser Ethnien herrsche eine einheitliche Identität. Aber trifft nicht genau das, was der Autor hier schreibt, wenn man einmal von den Muscheln absieht, gerade auf Mitteleuropa zu? „Nicht die Menschen, sondern ihre Lebensumstände waren einfach schizophren. Eine sinnvolle und effiziente Therapie konnte tatsächlich nur darin bestehen, diese Bewusstseinsspaltung in Freiheit ausleben zu lassen (...).“ Eccola! Genau das ist Mitteleuropa, das seit jeher Aufmarschplatz aller Armeen und der Schauplatz aller Kriege zwischen Ost und West war und genau das macht seine Identität nämlich auch aus: Vielfalt auf engstem Raum, Minderheiten, Ethnien und die verschiedensten Mischungen, Miskulanzen, mescolanze...auch „mishmash“ existiert im Triestinischen als lebendige Vokabel.
Aufgrund dieser Vermischungen sprühte dann auch der Intellekt und eine Vielzahl von Erfindungen wurden hier gemacht. Im Jahr 1818 gab es die erste regelmäßige Dampfschiffahrtslinie zwischen Triest und Venedig die „Carolina“ war übrigens ein Raddampfer. Man braucht also nicht neidisch auf den Missisippi schauen: Europa hatte das alles längst erfunden, vielleicht nur weniger marktschreierisch vermarktet. Josef Ressel, ein Böhme, erfand nämlich die Schiffsschraube, bot es der k.u.k. Admiralität an, die ihn verlachte. Er hatte mehr Glück bei den Deutschen, von denen die Österreicher das Patent später teuer zurückkaufen mussten. Eine ähnliche Geschichte gibt es übrigens auch über das Zündnadelgewehr, dessen Erfinder, ebenfalls ein Böhme, so die Legende, hatte es auch zuerst den Österreichern angeboten, die ihn ebenfalls verlachten, und später in Königgrätz (1867) bitter dafür büßen mussten.
1837 gab es bereits eine reguläre Dampfschiffahrtslinie zwischen Triest und Konstantinopel und so wurde Triest – neben Venedig – der Importhafen für Güter aus dem Orient. Nach Marseille soll Triest – nach Schatzdorfer – sogar der zweitgrößte Hafen für den Asien und Ostindienhandel gewesen sein. Aber das war erst nach Negrellis und Lesseps Suezkanal, 1869, danach aber für immerhin fast 50 Jahre.
Günther Schatzdorfer weiß zweifellos für die Geschichte „seines“ Triests zu begeistern. Er kritisiert die Versäumnisse Franz Josephs, die zu Hitler geführt hätten oder zumindest den Boden dafür bereitet hätten. Auch der Bruder des Kaisers sei ein „610“ („sei un zero“) gewesen und konnte während seiner Residenz in Miramare (bei Triest) außer seinen Blumen nichts zustande bringen. Der Autor weiß aber auch italienische Mythen zu entweihen, so erwähnt er nicht ohne Häme, dass der von den Faschisten zum italienischen Naitonalhelden erklärte Guilielmo Oberdan, der ein Attentat auf den Kaiser verübt hatte, in Wirklichkeit weder ein Held noch ein italienischer Patriot war. Kurzum: „Die Schizophrenie wurde immer wieder zum Überlebensprinzip und ist es bis heute geblieben. Zumindest in Mitteleuropa.
GÜNTHER SCHATZDORFER, Schriftsteller und Maler in Wien, hat mittlerweile vier Bücher über Friaul und Triest geschrieben, zuletzt die beiden Bestseller „Einfach. Gut“ mit Erwin Steinhauer und „Besser. Einfach“ mit Wolfgang Böck oder zuletzt „Fünfzig Jahre Appetit. Eine kulinarische Nacht zwischen Adria und Neusiedlersee“ (Verlag Carinthia 2008).
So war das nämlich gemeint, mit dem Fressen und Saufen.
Triest
Portrait einer Stadt
Geschichten zur Geschichte
Mit einem Vorwort von Paolo Rumiz und Fotos von Ferdinand Neumüller