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Literaturforum: Johannes R. Becher - Levisite


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Forum > Rezensionen > Johannes R. Becher - Levisite
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 Thema: Johannes R. Becher - Levisite
Kenon
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 10.04.2005 um 23:39 Uhr

Sieben Jahre sind seit dem Ende des Ersten Weltkrieges vergangen, als Johannes R. Becher sein Buch "Levisite oder Der einzig gerechte Krieg" in einem nur drei Monate währenden Schaffensrausch niederschreibt. Er sieht sich selbst zu dieser Hast, die ihm kaum Korrekturen vor dem Druck erlaubt, gedrängt, weil er den Ausbruch eines neuerlichen Krieges als kurz bevorstehend wähnt - und er ist der Überzeugung, dass die im Weltkrieg erstmals erprobten grausamen Giftgaswaffen dann eine entscheidende Rolle spielen werden. Diese Vision eines kommenden Krieges ist für Becher Anlass, seine Leser auf das eindringlichste zu warnen, sie über die neue Kampftechnik zu informieren, sie für den Widerstand zu gewinnen und dafür geistig zu rüsten.

"Levisite" ist kein herkömmlicher Roman, er kennt keine individuellen, vom Autoren sorgfältig gezeichneten Helden, Figuren, sein Stil ist nicht einheitlich, sondert nutzt, wie es Becher selbst im Vorwort zur 1926er Charkower Ausgabe formuliert, die Technik der Fotomontage: Dialoge, Reden, Zeitungsartikel, sachliche Beschreibungen und poetische Schilderungen wechseln sich ab, um ein möglichst umfassendes Gesamtbild abzugeben.

Der Roman ist der "kommenden deutschen sozialen Revolution" gewidmet und ein ideologischer Spiegel seiner Zeit. Becher war damals wieder Mitglied der Kommunistischen Partei und dies ist dem Buch überdeutlich anzumerken. Dem drohenden Gaskrieg stellt Becher den seiner Meinung nach einzig gerechten Krieg entgegen: Den das Proletariat befreienden Klassenkrieg, für den er unermüdlich in einer alles niederschmetternden Wortgewalt agitiert.

Für Becher gibt es keinen Kapitalismus ohne Krieg: "... und wenn man sich nicht mehr um Absatzgebiete hinmorden kann, was dann... Wie soll man weiterhin den Mehrwert realisieren?... Die Welt ist aufgeteilt: nun muß man wohl bald dem Konkurrenten den Produktionsapparat zerschlagen...". Er blickt in eine düstere Zukunft, die tatsächlich bis dahin noch unvorstellbar dunkler werden sollte, auch wenn die gegnerischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg vom Gaseinsatz auf den Schlachtfeldern absahen:

"Wir sind im Anfang einer Zeit von Grausamkeiten, Barbareien ohnegleichen, und bei all dem wird man verlogen, wie man ist, verächtlich und human aufgeklärt auf die Geschichtsepoche der Inquisition und der Hexenprozesse herabblicken..."

Mit am beeindruckensten ist Becher, wenn er die entfesselte Proletariermasse beschreibt: Sie ist eine Riesenkampfmaschine mit Millionen schlagenden Herzen, besteht aus Millionen zuckenden Muskeln, Millionen dem glühenden Morgenrot im Gleichschritt entgegenmarschierenden Füßen. Immer wieder findet er noch ungeheuerlichere Beschreibungen:

"Lawinen von Menschenmassen schüttelt aus sich heraus die Erde. Lava von Menschenblut stampfte dampfend daher.
Türme von Menschenleichen stiegen aus der Tiefe. Massengräber schluckten, ein schlammiger Rachen, die Lichtfrucht der Sonne".

"Schritt gefaßt! Schwenkt! Ausgeschwärmt -
Massenprotest - Generalstreik - Massenaktion - Bewaffneter Aufstand ---
Und wie ein Fächer sich entfaltet -
Sturmwellen wirft der hohe Triumphgang der Geschichte.
Alles ist Kampf, ist Bewegung.
Die Natur selbst trommelt den Kampftakt."


Die Massen- und Maschinenästhetik des Futurismus trifft sich hier mit den oft bis ins Groteske überzogenen Schilderungen des Expressionismus, wird in das strahlendrote Gewand der kommunistischen Ideologie gekleidet. Becher selbst hat seinen Roman als ein Experiment gesehen, das ihm mißlungen ist. Vielleicht hat er recht, wenn er den Roman als Gesamtheit betrachtet, aber allein die wie tollwütig schäumenden poetischen Einsprengungen machen ihn dennoch lesenswert.

1926 wurde "Levisite" in Deutschland verboten. Seine Veröffentlichung spielte eine entscheidende Rolle bei dem Hochverratsprozess, den man gegen Becher anstrengte und der aufgrund öffentlichen Druckes - national wie auch international - eingestellt werden musste.

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LX.C
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 02.02.2007 um 11:55 Uhr

Was ist das nur für ein Werk, mit Bildern, die so ausdrucksstark und eindringlich sind, dass sie einen manchmal fast quälen können. Hat der Mann eine Beschreibungsbegabung! Ich verstehe immer weniger, warum Becher nicht mehr veröffentlicht wird. Verleger, die sich solch einen Roman entgehen lassen, müssen doch mit Blindheit geschlagen sein. Das Buch kann natürlich nicht mehr die Funktion erfüllen, die Becher ihm zugedacht hat, aber als Spiegel seiner Zeit ist "Levisite" grandios und unabdingbar.


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LX.C
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 07.02.2007 um 00:13 Uhr

Diese Nachricht wurde von LX.C um 00:20:48 am 07.02.2007 editiert

[Quote]Becher war damals wieder Mitglied der Kommunistischen Partei und dies ist dem Buch überdeutlich anzumerken.[/Quote]

Ich weiß nicht, ob mein Eindruck täuscht, aber bisher hab ich mich eher gewundert, wie überaus scharfe Kritik er an den Linken übt, an den russischen wie an den deutschen Kommunisten, an den Sozialdemokraten ja sowieso. Das Ziel ist für ihn klar, doch der eingeschlagene Weg der Linksparteien scheint ihm alles andere als recht.

[Quote]Dem drohenden Gaskrieg stellt Becher den seiner Meinung nach einzig gerechten Krieg entgegen Den das Proletariat befreienden Klassenkrieg, für den er unermüdlich in einer alles niederschmetternden Wortgewalt agitiert.[/Quote]

Das hört sich an, als rufe er aufdringlich und unermüdlich zur gewaltsamen Revolution auf. Doch das tut er gar nicht. Er geht viel geschickter vor. Rüttelt mit, wie schon gesagt, niederschmetternder Wortgewalt auf, indem er Kriegsschauplätze seziert, lässt hinter die Kulissen der Kriegstreiber schauen, um aufzuklären, wie unter dem Vorwand des Patriotismus für das Ausbeutertum sinnlos Menschenleben geopfert wurden. Nicht für Becher gibt es keinen Kapitalismus ohne Krieg, sondern für eine geringe Anzahl mächtiger Lobbyisten, auf allen Seiten, die Becher schonungslos entblößt, die man vielleicht sogar heute noch mit ähnlichem Gedankengut entblößen könnte. Hier ein Beispiel aus "Die Kriegsdebatte im amerikanischen Offiziersklub":

"Nur wir, die Arrangeure, ein Prozent der Gesamtmenschheit, behält klar den Kopf. Denn wir sind darauf eingestellt, wir kennen die Vorbereitungen, für uns allein ist die Kriegserklärung kein Überraschungsmoment, wir allein wissen nur allzu genau - im Gegensatz zu gewissen Sozialisten, Sie entschuldigen schon-, dass die Produktionsmethode, die wir heute betreiben, und Krieg unbedingt zusammengehören, in ihrem Wesensgrund eins sind, und dass der sogenannte Friede nur eine Atempause ist [...] Und der Krieg nimmt allemal eine Unmenge von Menschen weg, die nur lebten, weil sie eben geboren waren. [...] wie viele sind denn darunter, die man zu beweinen oder derer wir uns auch nur erinnern brauchten!? Ich wette meinen Kopf, dass sie nicht an die Zahl der Finger und Zehen heranreichen. [...] Der Krieg nutzt außerdem der Landwirtschaft und der Neuzeitlichkeit. Die Schlachtfelder liefern für viele Jahre einen erheblich höheren Ertrag als zuvor ohne irgendwelche Düngemittel. Was für schöne Kohlköpfe werden wir essen, wo die Leichen sich anhäufen, und welche dicken Kartoffeln wird man einige Jahre später in den Gegenden ernten, wo die Leichenmassen der deutschen Infanterie liegen. [...] und was die Losung ´Proletarier aller Länder, vereinigt euch´ betrifft: so ist sie nichts anderes als der Klassenausdruck der Homosexualität..."

Quelle: Becher, Johannes R.: Levisite oder Der einzig gerechte Krieg, Aufbau, Berlin und Weimar 1985, S. 172-175.


So kann der Roman heute durchaus als Antikriegsroman benannt werden. Er enthält erschreckend abschreckende Bilder. Man erfährt unheimlich viel über den damaligen Zeitgeist und bekommt historisch relevante Einblicke, wie es überhaupt möglich war, dass es zur erneuten Katastrophe kommen konnte.


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LX.C
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 19.02.2007 um 23:53 Uhr

Meine Zwischenbilanz muss ich leider korrigieren. Ab dem Kapitel "Der Erste Mai", etwa Mitte des Buches, wird der Roman tatsächlich wahnsinnig linientreu und pathetisch revolutionär. Zudem driftet er von historischen Fakten zunehmend ab ins Fiktive, wodurch man schnell das Interesse verliert, da die Fiktion Kommunismus nun mal keine mehr ist. Würde man mich heute fragen, ob das Buch lesenswert ist, würde ich lediglich auf die erste Hälfte verweisen, die hat mich wirklich gefesselt.


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