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Leben schmeckt anders
Autor: Horst Fesseler · Rubrik:
Erzählungen

"Leben schmeckt anders" ist eine sehr gute Mischung von Kurzerzählungen, die alles geben, was des Lesers Herz verlangt: Witz, Spannung, Kurzweil, Liebe, Ironie, Ernst etc.
„Der Mix macht´s“ – die Verschiedenartigkeit der Geschichten sorgt für ansprechende Unterhaltung.

Insgesamt 9 Autoren der SCHREIBWERKSTATT FELDKIRCH haben sich an dieser Anthologie beteiligt, die im September 2006 im Novum-Verlag (ISBN 3-902546-36-0) erschienen ist.

Auszug aus meinem Beitrag "Roter Schnee":

Die Straße war spiegelglatt, noch vor einer Stunde hatte es mächtig geschneit. Vorsichtig steuerte Lothar seinen Golf in eine der wenigen freien Parkbuchten am Fahrbahnrand. Die hoch aufgetürmten Schneehaufen entlang der Straße brauchten den meisten Platz. Direkt vor Lothars Ziel, der Kneipe, gab es wegen der ohnehin schon schmalen Gehsteige keine Parkplätze. Nur durch enge Hofeinfahrten getrennt standen hier die Häuser des kleinen Ortes dicht aneinander gereiht entlang der Hauptstraße.
Eisiger Nordwind blies Lothar schneidend ins Gesicht, als er seinen Wagen verließ und in seine Stammkneipe „Zum Grünen Baum“ auf der anderen Straßenseite eilte. Beide Hände hatte er schützend in den Hosentaschen vergraben, so als könnte er damit der grimmigen Kälte entgehen.
Lothar stieß die Kneipentür auf und betrat den Gastraum, wo ihn drückende Wärme empfing, die sich wie ein glühendes Eisen auf seine frostige Stirn legte. Es stank nach abgestandenem Bier und kalter Zigarettenasche. Viel war noch nicht los um diese Zeit, so kurz nach sieben am Abend. An zwei Tischen saßen einige Gäste, am Tresen hockte sein Nachbar Bernd. Lothar zog seine Jacke aus und hängte sie an den Garderobenhaken.
„Mach mir ein Pils!“, rief Lothar dem Wirt zu, der hinter dem Tresen stand und eifrig Gläser spülte.
Lothar rieb seine kalten Hände, um sich aufzuwärmen und hockte sich neben Bernd, während sein Blick durch den fast leeren Gastraum streifte.
„Verdammt kalt heute. Kein Wunder, dass außer den paar alten Knackern da hinten kein Mensch hier ist“, meinte Bernd treffend, der Lothars Blick folgte.
Im Laufe des Abends füllte sich das Lokal mehr und mehr, bald waren fast alle Plätze an den Tischen besetzt. Nur an der Theke blieben Lothar und Bernd die einzigen Gäste.
Kurz nach zehn betrat Sabine das Lokal, Lothar hatte sie sofort bemerkt. Für einen Moment blieb sie zaudernd an der Tür stehen. Dieser Augenblick erschien Lothar wie eine Ewigkeit, gab er ihm Gelegenheit, Sabines schlanken Körper zu bewundern, der ihn stets aufs Neue faszinierte, wenn er diese Frau erblickte. Sie hatte ihre Reize, von denen sich Lothar nicht lossagen konnte: Ihre rehbraunen Augen, die leicht gelockten, schulterlangen dunklen, fast schwarzen Haare, der gebräunte Teint, ihre makellose Haut, mit 36 Jahren zeigte sie noch keine Falten. Nur wenn Sabine lachte, bildeten sich an den Augen ganz leichte Fältchen, die aber nur bei genauem Hinsehen wahrnehmbar wurden. Die sanft vorstehenden Hüftknochen ließen ihren ohnehin schon schlanken Körper noch eleganter wirken. Die Jeans passte sich exakt der Form ihrer Beine und des Hinterns an. Da war wirklich kein Fetzen Stoff zu viel. Lothar wunderte sich, wie man bei dieser Eiseskälte solch enge Hosen tragen konnte. Sie endeten in Stiefeln aus braunem Wildleder, die ihr bis knapp zu den Knien reichten.
Sabine! Auf sie hatte Lothar schon den ganzen Abend insgeheim gehofft. Er spürte, wie sein Herz ungewollt ein paar Takte schneller schlug. Sie war die Frau, die er begehrte und nach der er sich sehnte, von der er fast Tag und Nacht träumte, mit der er gerne ins Bett gestiegen wäre. Mein Gott, was hätte Lothar dafür gegeben! Aber es ging nicht, Elke und die Kinder bildeten ein verdammt starkes Argument dagegen.
Lothar winkte Sabine zu, sie kam und setzte sich auf den freien Barhocker neben ihn.
„Trinken wir einen zusammen?“, fragte Lothar.
„Klar doch“, nickte Sabine lächelnd und bestellte ein Mineralwasser.
Es blieb nicht dabei, man trank noch mehr an diesem Abend. Sie saßen bis kurz nach Mitternacht zusammen. Lothar war zufrieden, die Anwesenheit von Sabine machte ihn glücklich, er flirtete gerne mit ihr. Aber mehr spielte sich bisher nicht ab, auch wenn er es gewollt hätte. Sabine war ganz anders als Elke. Kein Wunder, nach fast zwanzig Jahren Ehe stellte sich neben Langeweile und Stumpfsinn vor allem auch Abenteuerlust nach neuen Horizonten ein. Zwanzig Ehejahre bedeuteten auch, jeden Winkel vom Körper des Partners in- und auswendig zu kennen. Da blieb kein Raum mehr für neue Entdeckungen. In Sabine aber mit ihren 36 Jahren steckten so viele unbekannte und geheimnisvolle Zonen, die erforscht, durchstreift werden wollten.
Einen festen Freund hatte Sabine nicht, sie lebte zu Hause bei ihren Eltern. Ein verheirateter Mann wie er hatte keine Chance auf eine schnelle Nummer so nebenher. Sabine konnte ihn schließlich nicht einfach mit nach Hause nehmen, jeder im Dorf kannte ihn und wusste, dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte. Aber vielleicht bot sich eines Tages die Gelegenheit, mit Sabine ins Bett zu gehen.
„Für mich wird’s Zeit, es ist schon spät.“
Wie aus weiter Ferne klangen Sabines Worte an Lothars Ohr und rissen ihn aus seinen zügellosen Gedankengängen.
„Wie, was meinst du?“, fragte er leicht verwirrt.
„Ganz einfach, ich verschwinde jetzt, morgen muss ich wieder früh raus“, betonte Sabine und fuhr nach einem kritischen Blick zur Uhr fort: „Das heißt heute schon, es ist bereits nach zwölf. Du solltest dich langsam auch auf den Weg machen. Oder willst du hier übernachten?“
Lothar hob die Schultern, formte die Lippen zu einem Schmollmund als Zeichen der Unzufriedenheit und deutete mit dem Zeigefinger nach Sabine. Aber in Anbetracht des schon beträchtlichen Alkoholkonsums fiel es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Je mehr Lothar getrunken hatte, desto mutiger war er geworden.
„Ich sage dir eins: Morgen sehen wir uns wieder, dann trinken wir einen oder zwei ..., und dann knutschen wir beide mal so richtig drauf los. Klar?“
Sabine winkte grinsend ab. „Was deine Elke wohl dazu sagen würde? Lass sie das bloß nicht hören, sonst kratzt sie uns beiden die Augen aus und lässt dich nicht mehr fort ...“
Mit einer heftigen Handbewegung wehrte Lothar ab und fauchte: „Ach die Alte! Die kann mir gestohlen bleiben. Mit der ist doch nichts mehr los, das ist eine alte Schachtel, taugt nichts im Bett ... Aber du! Wir beide gehen irgendwann noch in die Kiste, verlass dich drauf!“
Sabine hörte nicht mehr hin, was Lothar im Suff redete, sie stand auf und holte ihre Jacke von der Garderobe.
Lothar hatte leicht die Orientierung verloren, er blickte suchend durchs Lokal und sah gerade noch, wie Sabine ihre dicke Lederjacke überstreifte und zur Tür eilte. Er rief ihr hinterher: „Fahr vorsichtig, es ist glatt ...“
Doch in dem Stimmengewirr konnte Sabine ihn nicht verstehen. Es kümmerte sie sowieso nicht, sie wollte möglichst rasch nach Hause.
Lothar hielt es auch nicht länger, er hatte genug für heute, trank sein Bier leer, bezahlte und torkelte hinaus. Sebastian, ein Kollege, der fast den ganzen Abend neben ihm gesessen hatte, begleitete ihn.
Als sie die Straße betraten, kramte Lothar umständlich seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
Sebastian musterte ihn kritisch und fragte vorwurfsvoll: „Willst du etwa noch fahren in deinem Zustand?“
Lothar sagte nichts, nickte nur.
„Mensch, wenn dich die Bullen erwischen, ist dein Lappen weg!“
Lothar hob kurz den Kopf und entgegnete dann selbstsicher: „Schau dich um: Die Straßen sind schneebedeckt. Glaubst du, die kommen mitten in der Nacht hier hoch? Die sind froh, wenn sie bei der Kälte in ihrer warmen Revierstube hocken können.“
Die eiskalte Winternacht ließ Lothar erzittern. Er schüttelte sich und krempelte den Kragen seiner Jacke hoch.
„So, ich will los, ist verflucht kalt“, stöhnte er und rieb sich die Hände.
Sebastian stampfte auf dem verschneiten Fußweg entlang, er wohnte nur wenige Häuser entfernt, während Lothar über die Straße zu seinem Wagen torkelte. Die Scheiben waren rundum zugefroren. Zum Glück hatte Lothar einen Eiskratzer dabei, der immer griffbereit im Handschuhfach lag. Lothar kratzte die Windschutzscheibe frei, er brauchte unbedingt klare Sicht. Hier in der Gegend rannte nachts öfters unerwartet Rotwild über die Straße. Es war nicht auszudenken, wenn ihm so ein Reh vors Auto springen würde, was das für einen Blechschaden verursachen könnte. Das ging mächtig ins Geld, und das hatte er nicht.
Das Kratzen strengte an, vor allem weil durch die Kälte seine Finger vollkommen klamm wurden und er am ganzen Körper zitterte. Endlich hatte es Lothar geschafft und konnte starten. Bis zu seinem Haus waren es knapp zwei Kilometer, er wohnte am anderen Ende des Dorfes. Die Straßen wirkten wie ausgestorben, kein Fahrzeug und keine Menschenseele waren so spät unterwegs. In der Dunkelheit der verschneiten Winterlandschaft zeichnete die Natur gespenstische Schatten in den klaren Sternenhimmel. Wie schemenhafte Geister tauchten im Scheinwerferlicht die vereinzelt am Straßenrand stehenden Bäume mit der Last ihrer schneebedeckten Äste auf.
Nach einer weit auslaufenden Rechtskurve kam eine lange Gerade, eine vertraute Strecke für Lothar. Er beugte sich vor, starrte durch die Windschutzscheibe nach oben. Zunächst noch schwach, aber je mehr er seine Augen auf den Nachthimmel konzentrierte, desto deutlicher konnte er die Sterne funkeln sehen. Das da über ihm musste der große Wagen sein und dort der Polarstern, im Südosten musste irgendwo das Sternbild Orion sein, das Lothar an eine schief stehende Eieruhr erinnerte. Schön sahen sie ja aus, diese glitzernden Punkte ...
Plötzlich ein ungewohnter dumpfer Schlag! Erschreckt fuhr Lothar zusammen und sah gerade noch einen großen, dunklen unförmigen Gegenstand über die Motorhaube fliegen, von dort wieder zurück auf die verschneite Straße, wo er in einer Schneewehe liegen blieb. Lothar bremste den Wagen ab, hatte seine Mühe, ihn auf der glatten Fahrbahn zum Stehen zu bringen. Mit zitternden Beinen stieg er aus, jetzt war er mit einem Mal völlig nüchtern. Hatte er etwa einen Begrenzungspfahl umgenietet? Lothar schaute sich gründlich um, so weit dies in der Dunkelheit möglich war. Dort hinten lag ein komischer Gegenstand am Straßenrand, Lothar ging darauf zu, wurde mit jedem Schritt langsamer. Das war nicht irgend so ein harmloses Ding, das sah eher nach einem menschlichen Körper aus, was er trotz der Finsternis sofort nur allzu deutlich begriff. Gegen den hellen Schnee zeichnete sich diese dunkle Gestalt wie ein verschwommener Schatten ab.

Mehr unter http://www.fesseler.org


Einstell-Datum: 2006-10-06

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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