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Wenn Träume fliegen lernen
Autor: Katja Tribert · Rubrik:
Erzählungen

Wenn Träume fliegen lernen …

„Da ist es ja! So weit, so rätselhaft und voller Widersprüche. Afrika. Ein Kontinent der Extreme“, freute sich Rosa. Sie haben die deutsche Kälte hinter sich gelassen und flogen über das Mittelmeer nach Ägypten. Nach dem sie eine ganze Weile über dem azurblauen Meerwasser geschwebt haben, sahen sie nun die kontrastreiche Landschaft Ägyptens. Abseits der Flugroute war ein schmaler, grüner Streifen zu sehen. Aus der Luft sahen der mächtige Nil, der längste Fluss der Erde, und die angrenzenden fruchtbaren Ebenen winzig aus. Wie dünne, farbige Fäden zogen sie sich durch die kahle Wüstenlandschaft, die sie scheinbar zu verschlucken drohten. Unter ihnen begann dscheret sahra - die Sahara Wüste, das größte Trockengebiet der Erde, sechsundzwanzig mal so groß wie Deutschland. Der Wüstenboden schien ausgebrannt, durchzogen von feinen Linien, die an jene erinnern, die den rauen, von Sonne und Wind gepeinigten Gesichtern der Wüstenbewohner eigen sind. Hunderte trockener Flussbeete schlängelten sich auf dem grau-braunen Boden. Es erscheint fast unpassend, dass auch schnurrgerade Asphaltstraßen die Wüste durchqueren. Niemand war zu dieser Zeit unterwegs. Es war früher Nachmittag und brennend heiß. Im Flugzeug war zwar nichts davon zu spüren, doch sprach die hochstehende Sonne am wolkenlosen Himmel für sich. Ihre Strahlen waren erbarmungslos. Es hieß, dass sie für die Reise durch die Städte Ägyptens festes Schuhwerk benötigen. Die Straßen sind so heiß, dass der Asphalt schmilzt. Das könnte auch den Schuhen passieren.
Es wurde Zeit für einen Imbiss. Die Stewardessen zwängten sich mit ihren Speisewagen durch die engen Gänge zwischen den Sitzreihen. Es dauerte bis jeder seine Portion erhält. Aber das machte Rosa nichts aus. Sie konnte warten. Inzwischen genoss sie die Aussicht aus dem Bullauge.
Zunächst flogen sie über den Teil der Sahara, der als Arabische Wüste bezeichnet wird. Die Landschaft veränderte sich allmählich. Statt Sandwüste sahen sie graue Berge, die sich auftürmten und das goldene Sonnenlicht reflektierten. Sie erreichten die Östliche Wüste. Es sah so leblos aus. Doch dort, in dieser kargen Felsenlandschaft, die mit Gestein und Geröll überseht ist, leben Tiere und Menschen. Auch wenn die Wüste lebensfeindlich aussieht, birgt sie eine Vielfalt des Lebens. Die Wüste lebt – sanft und kraftvoll. „Sie ist unendlich“, dachte Rosa.
Nomaden haben die Wüste zu ihrer Heimat auserkoren. Die Beduinen haben ihre traditionelle Lebensweise noch nicht aufgegeben. Zumindest noch nicht alle. Seit Jahrhunderten durchwandern sie die Wüste auf der Suche nach Wasser und Nahrung für sich und ihre Tiere. Keiner kennt die Wüste so gut wie sie. Ihr Wissen geben sie an ihre Kinder weiter und die, denen sie vertrauen. Den Europäern trauen die Wüstenbewohner meist nicht. Warum denn auch, wurden sie doch von ihnen als „Wilde“ unterdrückt. Und auch die Araber waren und sind ihnen nicht sonderlich freundlich gesonnen. Achill Moser, der als Naturfotograf unterwegs ist, schloss Freundschaft mit den berüchtigten Tuareg. Wie ist es ihm gelungen? Vermutlich ganz einfach: Er begegnete den stolzen Nomaden mit Respekt, auf Augenhöhe. Sie weihten ihn in die Geheimnisse des Überlebens in der Wüste ein. Moser ist fast ein Mitglied des Stammes geworden und genießt ihr Vertrauen.

Die Beduinen sind keine homogene Volksgruppe. Vielmehr sind es verschiedene Stämme unterschiedlicher Herkunft. Einige sind tatsächlich sesshaft geworden und verdienen ihr Geld in der Tourismusbranche, Ölindustrie, in den Minen oder anderes wo als Tagelöhner. Nun, da das Land im politischen Chaos versinkt, ist der Tourismus eingebrochen und auch sonst ist es Flaute. Andere versuchen es mit der Landwirtschaft auf den kargen Böden mit den wenigen Wasserreserven. Was bringt die Zukunft? Wer weiß?
Es wird immer schwieriger für die Stämme Wasser zu finden. Immer schwieriger zu überleben. Denn der Grundwasserspiegel sinkt stetig und es regnet immer seltener. Wo möglich müssen die Beduinen Nordafrikas ihre jahrtausendealte Lebensweise bald für immer aufgeben. In den Städten würden sie sich kaum wohlfühlen, würden sich nicht integrieren können. Die Arbeitsplätze sind rar. Sie hätten wieder keine Existenzgrundlage. Schwer vorstellbar, dass die einst so stolzen Krieger an der Straße betteln müssten. Der Gedanke macht mich traurig. Ich verspüre Beklommenheit, versuche deshalb meine Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu richten.
„Worauf hättest du Lust, wenn wir da sind?“
Rosa sprach mit ihrem Mann, was sie vor Ort unternehmen wollen. Er war kein Abenteurer. Dennoch planten sie einen Ausflug nach Luxor, zum Karnak-Tempel und nach Theben West in das Tal der Könige ein. Vielleicht haben sie die Gelegenheit Richtung Kairo zu fahren und die Pyramiden zu sehen. Vorbei an Wadis mit Palmenhainen und alten Wasserquellen. Jedoch nicht auf dem Rücken eines Kamels, sondern in einem möglichst komfortablen Reisebus, der hoffentlich klimatisiert ist. Ist vielleicht nicht sonderlich romantisch, aber praktisch auf jeden Fall. Die Pyramiden. Jene Riesen aus längst vergangener Zeit, die Zeugnisse der Macht der Pharaonen und dessen, was der Glaube allein zu bewegen vermag - natürlich nicht ohne fleißige Arbeiter. Einst eine Weltmacht, die über die Schicksale ganzer Völker bestimmte, ist Ägypten heute der Schauplatz eines anderen Kampfes. Des Kampfes eines Volkes um seine Selbstbestimmung und Freiheit. Der Erfolg oder Misserfolg bleibt abzuwarten. Eigentlich wäre es spannend auch die Halbinsel Sinai aufzusuchen. Die „große, furchterregende Wüste“, wie sie in den Schriften Mose bezeichnet wird, mit eigenen Augen zu sehen. Den geschichtsträchtigen Dschebel Musa – den Mosesberg - zu besteigen, wo Moses die Tafeln mit den Zehn Geboten empfangen haben soll. Doch ist es ratsam die Warnungen des Auswärtigen Amtes zu beachten und bestimmte Regionen zu meiden. Der Sinai ist noch voller Landmienen nach den Kriegen mit Israel. Andere Gegenden, wie die an Sudan angrenzende Region, sind auch nicht sicher. Aber auch im Landinneren flammen immer wieder Unruhen auf, vor allem in Kairo. Rosa möchte aber in diesem Land nicht nur die Hotelanlage kennenlernen. Wie sie sich die Gefahren vor ihrem inneren Auge ausmalte, wurde ihr ganz mulmig. Rosa verspüre innere Unruhe und Unsicherheit. Ihre Hände schwitzten und sie überlegte: „War es überhaupt die richtige Entscheidung diese Reise anzutreten?“ – und griff nach der Hand ihres Mannes, der gerade mit seinem Essen beschäftigt war und ganz zufrieden zu sein schien.
Rosa hat das Risiko bereitwillig in Kauf genommen: „Man lebt doch nur einmal“, dachte sie. Die Geschichte Ägyptens, die großartigen Bauwerke, die Schauplätze bedeutender Ereignisse, wie der Auszug des Volkes Israel, die Teilung des Roten Meeres, haben sie schon seit Kindertagen fasziniert. Und die Wüste. Ein Ort so grenzenlos, so mächtig, so still, dass man die Stille hören kann. Die Wüste lebt in ihrem eigenen Rhythmus. Wer dort überleben möchte, muss sich diesem Rhythmus anpassen. Die Sanddünen wandern und die Wüste ist ständig im Wandel. Sie erobert neue Gebiete und stellt ihre Bewohner aufs Neue auf die Probe. Die Wüste ist in der Lage das vom Menschen Geschaffene verschwinden zu lassen. Sie kann, wenn sie möchte, dies auch wieder frei geben. In der Wüste, so heißt es, sei man dem Himmel so nah, wie nirgendwo sonst. Die Sterne leuchteten wie Edelsteine und man hätte das Gefühl sie anfassen zu können. Rosa wünschte sich zumindest eine Nacht in der Wüste, weitab von der Zivilisation, zu verbringen. Sie stellte sich vor, sie würde am Lagerfeuer sitzen. Über ihr die Kuppel des endlosen Himmels. Die Dämmerung taucht die Wüste in ein rötliches Licht und die Sonne sinkt langsam am Horizont. Der Himmel erscheint saphirblau. Ein nach dem Anderen tauchen die Sterne auf, wie von einer unsichtbaren Hand entzündet. Sie hörte die Gespräche der Beduine im Hintergrund, sank aber tief in die Betrachtung der Milchstraße. Sie erscheint unendlich groß und Rosa kommt sich ganz klein und unbedeutend vor. Es erfühlt sie mit Ehrfurcht und sie beginnt innerlich an die Anfänge des Universums zurück zu blicken. „Ein Zufall, ein Urknall? Nein. So wohlgeordnet, so mächtig und dennoch genauer als jedes Uhrwerk, kann das Universum kein Ergebnis des Zufalls sein…“ Die Dunkelheit bricht herein und damit auch die Kälte. Doch das Lagerfeuer spendet Wärme und Licht. Langsam nickt Rosa ein…
„Vielleicht sollte ich mich doch stärken?“ – überlegt sie und macht sich daran, die Speisen zu begutachten. „Nichts Besonderes – ein Nudelgericht, ein Brot, Butter und ein Stück Kuchen.“ Laut fragte sie: „Ist es genießbar?
„Einiger Maßen.“
Mit der Auskunft zufrieden vertilgte sie ihr Mahl. Im Kopf ratterte es immer weiter:
„Für Einige ist die Wüste ein Ort, um sich selbst zu finden, für Andere ist die Wüste ihr Lebensraum, ja sie selbst. Sie bilden eine Einheit. Achill Moser sagte mal: „Jeder braucht eine Wüste.“ Er braucht seine Wüste. Jeder muss einen Ort haben, um sich zu finden, mit sich selbst eins zu werden. Ja, vielleicht ist es auch der richtige Ort für mich?“
Moser geht immer wieder auf Wanderung durch die Wüsten der Erde. Meistens jedoch in Nordafrika. Die kennt er wie seine Westentasche. Dort kommt er mit sich selbst in Einklang. Die Wüste ist für ihn eine Quelle der Kraft. Den Gefahren der Natur ausgesetzt, erscheinen die alltäglichen Probleme zu Hause fast schon mikroskopisch winzig zu sein.
Ihr eigentliches Reiseziel war das Rote Meer. Im Dezember herrschen dort tagsüber immer noch Temperaturen von bis zu 30° C. Mitten in der Wüste ist eine neue Stadt entstanden – Hurghada – eine Touristenburg. Umgeben von Sand und Gestein, ist es ein Ort, der zumindest Arbeitsplätze für Einheimische bietet. Ein guter Verweilort für diejenigen, die Theben West, Luxor etc. als Ausflugsziel im Auge haben. Die meisten Hotelanlagen gehören den Ausländern und die Ägypter werden miserabel bezahlt. Nur das üppige Trinkgeld, vor allem von den deutschen Touristen, macht diese Arbeit lohnenswert.

Rosa hat sich wieder beruhigt und beschloss ein wenig zu dösen. Sie möchte von den Weiten des afrikanischen Kontinents träumen, sich vom sanften Wind, der in den Palmzweigen raschelt, und dem Rauschen des Meeres wiegen lassen. An Afrika ist nicht nur die Wüste, die eine seltsame Anziehung auf Rosa ausübt, faszinierend. Da sind auch die Savannen, die voller Leben sind und die von majestätischen Tieren, auf der Suche nach Nahrung und Wasser, durchstreift werden. Hier hat das größte Landsäugetier, der Elefant, sein Zuhause. Die eleganten Raubkatzen, die Löwen, sind hier die unumstrittenen Könige. Zu den s. g. „big five“ gehören auch noch die Giraffe, das Nashorn und der Gepard – das weltweit schnellste Tier. Die dichten tropischen Regenwälder, die sich als grüner Teppich entlang des Äquators ausgebreitet haben. Auch dort findet man Artenvielfalt vor, die in den „Stockwerken“ der Bäume versteckt ist: bunte Vögel mit schrillem Gesängen, die verschiedensten Primaten, die sich von Baum zu Baum schwingen. In diesen Wäldern leben auch die letzten Gorillas. Die mächtigen Flüsse, wie der Niger, der Sambesi oder Okawango, sind weitere Lebensadern für Tier und Mensch. Kibo – „der Weiße“, wie der höchste Gipfel des Kilimandscharo-Massivs in Suaheli genannt wird, gilt als heilig. Irgendwie ist er schon mit dem Schicksal Afrikas verbunden, denn die Vegetation vor Ort, die Tierwelt und die Gletscher sind Indikatoren für Klimawandel und ökologischen Zustand. Rosa stellte sich vor, sie sei unterwegs. Sie flog über den Kontinent von Norden nach Süden, aber nicht mit dem Flugzeug. Nein. Sie konnte fliegen und glitt durch die weichen Wolken, die sich in Richtung Äquator mehr und mehr verdichten. Vorbei an dem Kilimandscharo-Massiv und dem nahe gelegenen Usambara - Gebirge, über die Serengeti, gelangte sie zum Ngorongoro-Krater - einem Naturschutzgebiet mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, je nach Höhenlage. Ein Panorama wie aus einem Bilderbuch eröffnet sich mir: Eine weite Savanne mit hohen, sich im Wind wiegenden, Grass bedeckt, umringt von bewaldeten Bergen. Der Himmel erstrahlt in zartem Blau. Die gegenüber liegenden Berge erscheinen ultramarin bis violett. Große Antilopenherden durchqueren den Krater, Löwenfamilien sind auf der Lauer, die Elefanten schlendern gemächlich dahin auf der Suche nach saftigen Blättern. Hier können sich das Auge und die Seele ausruhen. Rosa wollte sich in das weiche Grass fallen lassen und ruhen. Den Gesang der Vögel genießen, die Weite, die Stille. Nicht die Stille, wie sie in der Wüste zu finden ist. Denn hier wuselt Alles. Alles ist unterwegs: geschäftig hüpfen die Affen auf der Suche nach Leckereien und es wird untereinander rege um das beste Stück verhandelt. Man hört die grasenden Tiere, das Gebrüll der Dickhäuter. Aber die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Keine Hektik, kein Stress. Wie dumm unser westlicher Lebensstil ist! Wir hetzen von einem Termin zum Nächsten. Den größten Teil unseres Lebens verbringen wir an Orten, wo wir nicht sein wollen, mit Dingen beschäftigt, die uns nicht interessieren. Die Menschen um uns herum sind gleichgültig, ehrgeizig und sogar gierig. Die Ellenbogenmentalität schont die Konkurrenz nicht. Immer mehr Menschen in Industrieländern leiden unter psychischen Krankheiten. Warum es in ärmeren Gegenden nicht so verbreitet ist? Vielleicht ist es ja die Mentalität: bloß keine Hektik aufkommen lassen. Arbeiten, um zu leben, und nicht leben, um zu arbeiten.
Nach einer Weile brach sie auf. Dieses Mal sah sie die alten Lehmbauten Timbuktus und das bunte Treiben der Basare. Es wurde gefeilscht, gelacht und diskutiert. Und dennoch, es war ein gemächliches Treiben. Die traditionelle Bauweise der Gebäude wurde beibehalten und wird an die nächsten Generationen weiter gegeben. Zwar müssen die Häuser nach der Regenzeit immer wieder nachgebessert werden, aber Lehm, als Baumaterial, ist billig und umweltfreundlich.
Irgendwie wird Rosa doch noch von einem Gedankenstrudel mitgerissen. Und überlegte jetzt:
„Jahrhunderte bevor nach Europa erste zivilisierte Menschen vordrangen, existierten bereits, ausgerechnet in Afrika, Hochkulturen. Bis heute findet man ihre Spuren über den ganzen Kontinent verstreut. Abgesehen von den Bekanntesten, den ägyptischen Pyramiden, sind nubische Bauten bemerkenswert, die Lehmbauten in Mali, die ältesten Felszeichnungen, die je gefunden wurden, in Namibia etc. Und auch wenn uns die Lebensweise mancher Stämme und Völker Afrikas fremd und rückständig erscheint, heißt es nicht, dass die Europäer was Besseres sind. Wir verstehen diese Menschen einfach nicht. Vor gar nicht so langer Zeit hat man geglaubt, dass die afrikanischen Sprachen simpel und ärmlich sind. Doch inzwischen weiß man, dass dem nicht so ist. Die Sprachen Afrikas sind voller Emotionen und Ausdruck. Suaheli, zum Beispiel, klingt weich und melodisch, wie das Plätschern eines Bachs. Die stattlichen Massai konnten nie versklavt werden. Sie starben bald in Gefangenschaft, ihrer Freiheit beraubt. Bis heute haben sie sich ihre Traditionen bewahrt. Die Somalier: großgewachsene, schlanke und ausdauernde Menschen, die seit jeher die Wüste bewohnen, sind voller Anmut und Kraft.“
Wir sehen nicht, was die Menschen durchgemacht haben, durchmachen mussten. Den Verlust ihres Landes, den Verlust ihrer Freiheit, den Verlust ihrer Würde und viel zu oft, den Verlust ihres Lebens. Viele wenden dann ein, die Zeit der Kolonien sei vorbei und die Schwarzen bekämen es einfach nicht auf die Reihe. Dazu kann ich nur sagen, dass die Kolonialherrschaft gar nicht so lange her ist. Die mächtigen Fremden haben Grenzen nach ihrem Belieben gezogen, ohne Rücksicht auf jahrtausendwährende Konflikte oder Sonstiges. Viele Ethnien konnten sich untereinander nicht mal verständigen, da sie unterschiedliche Sprachen benutzten. Die Europäer säten Zwietracht unter den Stämmen. Da ist es kein Wunder, dass am Ende der Kolonialzeit Bürgerkriege aufflammten, die Jahrzehnte dauerten und vielen Menschen das Leben kosteten. Nicht zu vergessen wären auch die Stellvertreterkriege der Supermächte USA und Sowjet. Jeder, der auch nur im Entferntesten ihre Ideologie anzunehmen schien, wurde, bis an die Zähne bewaffnet, auf die Günstlinge des Gegners los gelassen. Und wer hat wohl die Blutdiamanten gekauft? War es nicht der überhebliche Weiße, der über die Unfähigkeit der Afrikaner in Frieden zu leben, schimpft?
Ganze Völker wurden ausgerottet: die Herero und Nama in Deutsch-West oder die Hehe in Deutsch-Ost, um nur ein paar Beispiele zu nennen . Andere wurden versklavt und schlimmer wie Vieh behandelt, haben sie die Reise zu ihren Bestimmungsorten überlebt. Laut Legende, bat William Wilberforce, ein glühender Verfechter der Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts, die feinen Damen und Herren der Londoner Oberschicht zur Besichtigung eines Schiffes, das zur Beförderung der Sklaven diente. Bereits aus der Ferne wurden die Herrschaften von einem unerträglichen, bissigen Geruch in Empfang genommen. Dies verdeutlichte einiger Maßen die Bedingungen von solchen Transporten. So wurde 1807 der Sklavenhandel im ganzen Empire verboten und 1833 wurde die Sklaverei abgeschafft. 1861 wurde die Leibeigenschaft im Russischen Reich aufgelöst. Und 1865 war es endlich auch in ganz Amerika mit der Sklaverei endgültig vorbei. Doch die Spuren der Geschichte sind tief. Sie haben sich in die Herzen der Menschen eingebrannt. Denn Diskriminierung gibt es immer noch. Das Ende der Apartheid in Südafrika kam erst 1994.
Was an manchen Orten im 20. und 21. Jahrhundert auf dem s. g. „Schwarzen“ Kontinent stattfindet und stattgefunden hat, ist kaum in Worte zu fassen. Kindersoldaten werden dazu angehalten ihre Verwandten zu töten. Mit Drogen vollgepumpt, sollen sie Kriegsverbrechen begehen. Nicht zuletzt durch Kriege hat sich das HIV in unvorstellbarem Maße ausgebreitet. In manchen afrikanischen Ländern ist ein Viertel aller Erwachsenen infiziert. Die medizinische Versorgung ist mangelhaft, die Infrastruktur - zerstört, Hilfsgüter erreichen die Bedürftigen nicht und in vielen Regionen ist nicht mal sauberes Wasser zu finden.

Ein Land der Kontraste: die schönsten Naturerscheinungen, die Lebensfreude der Einheimischen, das bunte Treiben auf den Straßen und die immense Widerstandsfähigkeit, ihre innere Kraft, auf der einen Seite. Und die Korruption, die unendlichen Fehden, die Krankheiten, der Hunger, die Not und die Zerstörung der Umwelt auf der Anderen. Oft frage ich mich: „Wo versickert nur die ganze Entwicklungshilfe?“. Die Balance der Mikroökonomik gerät aus den Fugen, denn die Nahrung aus Hilfslieferungen macht die Landwirtschaft unrentabel. Wo es doch überwiegend die Landwirtschaft ist, von der die Menschen leben!
Dann geht man her und bezeichnet es als Dritte Welt, als unterentwickelt. Es ist doch ein Armutszeugnis, das die Regierungen der Welt viele Milliarden für Rüstung, die Erforschung des Alls etc. ausgeben, jedoch den Hunger der Menschen hier auf der Erde nicht stillen können. Noch nie haben so viele Menschen gehungert, wie zu unserer Zeit – über einer Milliarde, ca. jeder 7 Erdbewohner ist unterernährt und stirbt irgendwann an den Folgen. Zu aller erst natürlich die Kinder. Und die Meisten Hungernden leben in Afrika. Unglaublich, doch das ist die traurige Realität.

Rosa konnte sich an ein Gespräch mit einer Kollegin erinnern, die sagte, die Welt sei wunderbar und das Gute wird Überhand nehmen etc. Nun, scheinbar hat jeder seine eigene Realität. Während hier in übersättigtem Westen die Erhaltung eines gewissen Lebensstandards, die neusten elektronischen Errungenschaften und die Mode die Geister in Aufruhr versetzten, ist es an anderen Orten, und nicht nur in Afrika, auch im Osten Europas, in Mittel- und Südamerika sowie in Asien, ein täglicher Kampf ums Überleben. Diese andere, unbequeme Realität wird ausgeblendet und man ist mit sich sehr zufrieden, wenn man Geld für „mildtätige Zwecke“ gespendet hat. Immerhin kann man es von der Steuer abschreiben. Inzwischen verschmutzen wir die Umwelt durch die Massentierhaltung, die unseren unermesslichen Fleischkonsum stillen soll. Die Regierungen merken durchaus, dass gegen den globalen Klimawandel etwas unternommen werden muss. Doch keiner möchte auf seinen Profit verzichten. Stattdessen lenkt man von den Problemen im Inneren des Landes und von den globalen Problemen mit einem inszenierten Krieg in der Ukraine ab. Man streitet sich, wer mehr Schuld hat und schließt sich dubiosen, selbsternannten „Volksvertretern“ an und initiiert vielleicht noch den 3. Weltkrieg. Dabei wurde das Jahr 2014 von der UNO zum „Jahr des Friedens und Sicherheit“ ausgerufen.
Natürlich gibt es auch Menschen, denen das Schicksal Anderer nicht egal ist. Seiner Zeit hat Albert Schweitzer seine Heimat verlassen, um den armen Bewohnern Gabuns zu helfen. Für seine Bemühungen in Lambarene wurden er und seine Frau während des 1. Weltkrieges interniert. Doch er kam wieder. Baute im Urwald eine Klinik und scheute weder Mühe noch Kosten für seinen Traum – einen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten. Heute sind es Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, oder die Jane Goodall-Stiftung die weiter machen. Natürlich kann nicht jeder Solches zur Stande bringen. Man müsste ggf. seine Familie, seine Freundschaften aufgeben. Oft heißt es auch, sein Leben riskieren. Auch die nötigen Gelder müssen aufgetrieben werden. Und nicht jeder kann mit virtuosen Orgelkonzerten und einem berühmten Namen die Massen begeistern. Aber alles fängt ja ganz klein an. Respektiere die Menschen, die dich umgeben. Hilfe den Bedürftigen um dich herum. Setzte dich für die Umwelt und die Tiere ein. Und sei es, dass du weniger Fleisch konsumierst und die Nachbarskatze nicht trittst, wenn sie deinen Rasen verschmutzt hat. Ach, wie einfach doch die kompliziertesten Probleme zu lösen sind! Wenn jeder bereit wäre auf ein Stück seiner Bequemlichkeit zu verzichten, wären die Weltprobleme gelöst. Wenn keine Waffen produziert und verkauft werden würden (hier wäre der Verzicht auf hohe Geldsummen nötig) gäbe es keine Kriege. Wie viel glücklicher könnten die Menschen sein!
Ja, in Afrika sind noch der Aberglaube und grausame Traditionen weit verbreitet. Die Mädchenbeschneidung und die Angst vor „dem Zorn der Ahnen“ sind tatsächlich große Probleme. Anderes sein ist oft lebensgefährlich. Und auch die Aufklärung im Kampf gegen AIDS muss vorangetrieben werden. Man sollte aber nicht meinen, es seien alles afrikanische Probleme. Mitten in Europa werden auf grausame Weise Mädchen verstümmelt. AIDS ist eine weltweite Pandemie. Circa 35 Mio. Infizierter gibt es auf unserem Planeten. Über einer Million in Europa. Das Fremde wird immer mehr zum Symbol des Bösen stigmatisiert. Wenn man vor der Bundestagswahl Wahlplakate mit Sprüchen wie: „Islamisten raus!“ oder „Minarett-Verbot“ und „Gegen Überfremdung, damit München Heimat bleibt!“ sieht, bleibt einem die Spucke weg.. Sehr verfassungskonform und demokratisch! …
Der Sog in Rosa´s Kopf ließ sie nicht los. Während dessen näherten sie sich dem Reiseziel. Unter ihnen erschien das Rote Meer. Fast smaragdfarbend leuchtete es. Das Wasser war ruhig, sah wie im Swimmingpool aus. Hurghada-Stadt ließen sie hinter sich und flogen Richtung einer Reihe von Hotelanlagen.
Plötzlich wurde Rosa durch einen heftigen Ruck aus dem Gedankenstrom heraus gerissen.
„Was ist passiert?“
„Nur ein Luftloch.“
„Sind wir schon angekommen?“
„Ja, fast. Jetzt brauchen wir noch etwa 20 Minuten zum Landen.“
Eine angenehme weibliche Stimme wies die Passagiere an: „Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Richten Sie Ihren Sitz auf. Klappen Sie den Tisch auf dem Sitz vor Ihnen zu. Bitte legen Sie die Sicherheitsgurte an.“ Und das Gleiche noch mal in Englisch. Alle gehorchten. Rosa lehnte sich wieder zurück und versuche sich zu entspannen.

Dann landeten sie. Die Träumereien waren zu Ende. Sie spürte die Erdanziehung, und als die Räder den Boden berührten, rumste es gewaltig. Die rasante Geschwindigkeit fiel allmählich. Alle waren froh über die gelungene Landung und applaudierten, um ihre Begeisterung kund zu tun. Der Flughafen von Hurghada ist ziemlich eng für die Anzahl an Passagieren, die zur gleichen Zeit abgefertigt werden müssen. Es war heiß und stickig. Innerhalb von Sekunden bildete sich eine riesige Schlange am Terminal. Doch dann ging alles ganz schnell. Ohne Verzögerung bekamen sie das Gepäck und machten sich auf die Suche nach dem Bus, der sie zur Hotelanlage bringen sollte. Das erste Wort, dass man von den hilfsbereiten Einheimischen hörte – „Bakschisch, Bakschisch“- Trinkgeld wollen sie alle. Im Vergleich zu ihnen müssen die Europäer unvorstellbar reich erscheinen. Rosa und Robert nahmen Platz in einem Kleinbus und machten sich auf, die Realität der Urlauber und der Ägypter kennen zu lernen.


Einstell-Datum: 2015-11-30

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Bewertung: 22 (1 Stimme)

 

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