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Wettergott Teil 2
Autor: Karsten Rube · Rubrik:
Humor & Satire

Mein kleiner, privater, schlecht zahlender Radiosender plant eine Expansion ins Fernsehgeschäft. Neben den üblichen untadeligen Medienauftritten, wie Serien, schreienden Trickfilmfiguren und nächtlichen Auszieh- und Abschleckvideos liegt ein weiteres wichtiges Anliegen des neuen Senders in der Präsentation von Verkaufsangeboten, Telefonquiz, Astrologischer Lebensberatung sowie ähnlich seriösen Nachrichten und Wetterberichten. Als Meteorologen ohne glaubhaften Abschluss liegt mir dieser Bereich näher, als beispielsweise die Astrologie, obwohl die Vorhersagen häufig genauso wage sind.

"Informier dich mal gründlich, wie die das in anderen Sendern machen, mit der Wettervorhersage im Fernsehen" sagt mein Chef und schickt mich auf Recherche. Mein Auftrag für die nächsten Wochen lautet: Wetter gucken!
Ich beginne mit meiner neuen Spionagetätigkeit, in dem ich das Fenster putze und rausschaue. Es regnet mal wieder. So sieht also Wetter aus, wenn es funktioniert. Da das nicht sehr abwechslungsreich ist und für eine große Fernsehshow ungeeignet, begebe ich mich mit einer Tüte Chips und einem Sixpack auf die Couch und beginne mich durch das Programm zu zappen, aufmerksam auf der Suche nach Wetterinformation und Erkenntnis.

Ich lande zunächst auf dem Satellitenbild des Kultursenders Arte. Eine freundliche Frauenstimme mit französischem Akzent begleitet das Hin-und-Her-Gehopse zwischen der Landkarte Deutschlands und Frankreichs. Dabei sehe ich, wie es in Südfrankreich nur so dampft vor lauter Sonne während den Berlinern gerade der Himmel auf den Kopf fällt. "In Toulouse lässt es sisch gans priima braunbrönnän, während in den Vogesen die Demperatür weitauus angenämör iist. In Doitschlande hiiingägän, ist es eine Jacke kältärrr." Ein deutlicher Hinweis darauf, was der Zuschauer anzuziehen hat. Das gefällt mir. Es klingt seriös ohne überheblich zu wirken, wie der gutmeinende Rat der Lieblingstante.

Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen locker klingen, Spaß verbreiten. Ein Wetterbericht wird von einem hässlichen gelben Styroporfrosch angekündigt, der entweder im Regen plantscht oder sich beim Grillen selbst anzündet. Ein blödes Vieh, dessen Erfinder an der Universität ernsthaft Witz und Comedy studiert hat und zur deutschen Narrengilde gehören möchte, einer todtraurigen, aggressiven, durch und durch mafiösen Vereinigung, die selbst keinen Spaß versteht. Es ist, als würde man über einen Witz von Mike Krüger lachen. Ertragen wir also weiter den gelben Werbewetterfrosch und murren vorsichtshalber nicht.
Vor der bunten Wetterkarte des ZDF tanzt ein Männchen mit Fliege vor dem Hals herum. Der hat noch nicht begriffen, das Frösche sowas lecker finden. Mit seiner Hand sticht er in die Luft und weist somit auf die aktuellen Wetterwerte die er freudlos abruft. Manchmal stolpert auch ein dünnes kleines diplomiertes Mädchen herum.
In der ARD tritt ein gut informierter aber grau und schlabbrig uninteressanter Sven Plöger auf. Einen morgenerrötenden Hoffnungsschimmer hat die ARD aber, die leckerste Wetterwaffe aller Zeiten Claudia Kleinert. Beim Anblick dieser hochgeschossenen Blondine wird mir jedes Wetter egal. Manchmal sieht man sie im langen zippeligen Rock, dann wieder im luftigen Kleid oder in attraktivem Kostüm. Vor einiger Zeit, als vor lauter Sommer ohnehin sämtliche Zungen lang raushingen, kam Frau Kleinert in einer engen Lederhose vor die völlig uninteressante Wetterkarte gestelzt. Ihr Oberkörper, auch sonst immer ein sicherer Blickfang, wurde von einem absichtlich zu engen ärmellosen dunklen Trikot hervorgehoben. Sie wirkte wie die Ikone eines Latexcomics. Ich schwöre, sie war in Uniform und alle anderen Bediensteten der meteorologischen Institute sind nur die Fußsoldaten von Generalissima Kleinert. Wenn mir jemand mit dem Satz kommt, das Wetter macht mich schwach, weiß ich, was er meint.
Einen Tag später trug sie leider ein geschlossenes Kostüm. Da muss Reichswetterführer Kachelmann wohl Bedenken angemeldet haben.
Auf das regionale Fernsehwettergeschehen kann man sich verlassen. Vor dem Bild des aktuellen Livewetters steht ein Moderator in der Landschaft. Meist ein ahnungslos aufgegriffener Meteorologiestudent, der das Ende der Vorlesung verschlafen hat. Mal stehen diese Meteorologieopfer vor einem völlig verregneten Inselstrand oder in den schattenlosen Einöden des Ruhrgebiets, dann wieder in einem sonnigen Feld im Allgäu, während eine Kuh neben ihm in die Kamera lacht. Das Fell des als Windschutz über das Mikrophon gestülpte Kaninchens weht im Wind und Fliegen summen um die Brille des verschwitzten oder tropfenden Ansagers. Bei Wind und Wetter müssen sie draußen stehen und zeigen, dass man friert, wenn man sich ohne Mütze in den Frost wagt. Manch rote Nase sah ich schon, ohne zu wissen, ob es der Frost war, der sie färbte oder das Frostschutzmittel. Da steht mir ja einiges bevor, denke ich und schalte weiter.
Die privaten Sender, die sonst aus allem eine Seifenoper machen, geben sich als Wetterpräsentatoren noch seriöser als die ARD. Gestylte Mittelklassemoderatoren eiern über den Bildschirm, im Hochsommer darf der Knopf unter der Krawatte leicht gelüftet werden.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen sehen die meisten Wettermoderatoren aus, wie die Besten ihrer Studienjahrgänge. Leute, die wirklich Bescheid wissen, was es mit dem Wetter auf sich hat, solange es sich um Messwerte handelt, die jemand liefert, der draußen war. Da, wo Wetter stattfindet. Selbst haben sie im Studium die Erkenntnis gewonnen, dass Wetter eine für den Menschen gefährliche Situation darstellt, der sie sich selbst nicht so gern aussetzen möchten.
Der Sender Euronews macht das ganz geschickt. Da fliegt der Zuschauer virtuell über eine computeranimierte Landkarte und kann sich die aktuellen Temperaturen in Sarajevo, Helsinki und Dublin durchlesen. Kommentiert wird das nicht.
Spätabends, als ich noch einmal durchzappe sehe ich noch eine Wetterkarte von Deutschland. Die Moderatorin, die die Karte verdeckt versucht die wichtigsten Kleidungsstücke vorzustellen, die man bei den verschiedenen Wetterangeboten tragen sollte. Einen Regenschirm, z. Bsp. oder einen Sonnenschirm. Da der Rest bei diesem Wetter immer nur nass wird oder anderweitig stört, ist die Moderatorin bald nackt. Außerdem betont sie, dass ich sie unbedingt anrufen soll. Warum verrät sie nicht. Ich halte diese Form der Wetterpräsentation für nicht sehr seriös und schalte weg.
Genug Wetter geguckt, denke ich und schaue mir zur Entspannung noch den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" an. In diesem Film, den ich mir immer wieder gern anschaue, wird im kleinen Städtchen Punxsutawney irgendwo in den U.S.A. jedes Jahr an einem bestimmten Tag im Februar ein verschlafenes Murmeltier aus seinem Bau gezerrt und gefragt, wie denn das Wetter in den nächsten Wochen wird. Der Starfernsehwetterfrosch eines größeren Fernsehsenders (wunderbar von Bill Murray gespielt) findet das zum Kotzen. Er benimmt sich ohnehin ziemlich rotzig und bleibt zur Strafe in einer Zeitblase gefangen, die ihn jeden Tag erneut in diesem Kaff aufwachen lässt und zwar immer am Murmeltiertag. Eine Horrorvorstellung. Aber wenigsten kann er nun genau vorhersagen, was an diesem Tag passieren wird und das betrifft nicht nur das Wetter. Auf eine langwierige Weise gelingt es ihm sogar sich einer Kollegin zu nähern, sich in sie zu verlieben und dabei selbst ein besserer Mensch zu werden.
Schöner Film, denke ich rülpsend, verkippe das letzte Bier auf dem Fußboden und schlafe ein.

Ich werde von einem Klingeln geweckt. Das Telefon. Mein Chef bestellt mich ins neue Fernsehstudio. Ich schaue auf die Uhr. "Ach du Scheiße" rufe ich, greif nach den ersten Wäschestücken die ich finden kann und renne aus der Tür.

"Und. Hast du ordentlich Wetter geguckt" begrüßt er mich, die frühe Morgenstunde ignorierend.
"Jo." Gebe ich müde zurück. "Da gibt es so viel zu bedenken. Das muss gut vorbereitet..."
"Ja" sagt er. Vorbereiten kannst du hinterher. Guck auf den Monitor zur Rechten und immer mal in die Kamera und leg los." Er schiebt mich vor eine blaue Wand und ruft den plötzlich auftauchenden Studioarbeitern zu: "Achtung, Kamera läuft!"
Eine Hand reibt mir noch rasch mit einem Wattebausch das Gesicht ab. Dann gucke ich ahnungslos und sicher ziemlich blöd in eine Kamera, über der eine rote Lampe aufleuchtet.
"Ähm. Guten Morgen." sage ich und schaue auf dem Bildschirm. Dort sollte die Wetterkarte von Deutschland vorbereitet sein, doch noch läuft tonlos der Abspann von "Das Leben des Brian". Ich stülpe die Lippen. Eine Fernbedienung erhebt sich vor meiner Nase und auf dem Bildschirm schiebt sich eine völlig bekleidungslose Dame einen Finger in den Mund und stöhnt eine Telefonnummer. Ein Techniker tritt gegen den Monitor und eine Wetterkarte erscheint die schön gleichmäßig verstreut mit Sonnenflecken und sich abregnenden Wattewolken überdeckt ist. Ein paar Blitze zucken. Jemand hüstelt und ich zucke auch kurz zusammen.
"Is live" höre ich es flüstern.
"Äh. Ja. Wetter. Meine verarmten äh verdammten, also Damen und ... Sie wissen schon." Ich gehe noch einmal kurz in mich, um mich mit dieser etwas überraschenden Situation abzufinden. Völlig konzeptlos stochere ich in der Leere meines Gehirns herum und finde nichts Brauchbareres als einen Werbeslogan für Sinalco.
"Also, ja. Wetter findet statt, wie sie sehen. Im Norden, im Westen, im Süden und Überraschung, diesmal wird auch im Osten nicht gespart." Ich strecke die Hand aus, damit Bluescreen, Wetterkarte und ich eine Symbiose bilden, schaffe es aber den Zeigefinger statt ihn auf den Osten der Republik zu richten mitten in das Herz von Belgien zu stecken. Hilfe suchend schaue ich auf die Assistentin des Chefs, eine eher moppelige, aber angenehme Blondine, die verlegen grinst. "Ach Claudia Kleinert, denke ich, "die wüsste jetzt, was zu machen ist." Aber die Fee lässt sich nicht beschwören und ich bin immer noch am stottern, orientiere mich nun innerlich aber am graumäusigen Leitbild des Wettermännchens Sven Plöger.
"Regen für alle heißt die Devise und wer nicht nass wird, der ist selber Schuld." Mein Chef verdeht die Augen, die Assistentin kiekst hinter vorgehaltener Hand und zwinkert mir mutmachend zu. "Wenn sie sich diese schönen prallen, runden Regenwolken ansehen, die da schweben, vor allem hier so", ich wedele mit der Hand in Bauchhöhe herum, und treffe auf die Mitte Deutschlands - allmählich bekomme ich den Trick raus, mit den Händen genau dahin zu stechen, worauf ich auf der Wetterkarte hinweisen will. " Da sag ich mal, da iss noch, da wird noch, da geht noch was, aber hallo. Ziehen sie sich also trocken an, nass werden sie von ganz alleine. Abgesehen von den Stellen an denen es regnet, ist es allerdings, äh ... trocken. Die da unten im Breisgau leben sowie so in einer anderen Klimazone und dürfen sich wieder schön braun brutzeln lassen, während wir hier in der Hauptstadt bis zu den Knien... Naja, dafür haben se Geld.
Nachts vor allem draußen kühler. Vollmond gibts auch. Wer also unter starken Bartwuchs leidet, Vorsicht."
Die Assistentin wedelt mit einem Zettel und mein Chef zieht seinen Handrücken an seiner Kehle vorbei. Ich glaub ich soll zum Ende kommen.
"Den Rest der Woche wird´s ähnlich. Vielleicht wird es etwas stürmischer" höre ich mich sagen, als ich in die Augen meines Chefs blicke. "Der Sommer ist vorbei meine Lieben. So weit vom Wetter. Und Tschüß."
Die rote Lampe erlischt und ich hole Luft.
Irgendjemand klatscht verhalten. Ich versuche feige zu fliehen.

"Sag mal. Willst du mich verarschen," brüllt mich mein Chef munter an.
Jetzt reichts, denke ich.
"Weißt du wie spät es ist", maule ich zurück. Unverständnis trifft mich. "Nee? Dann schau mal in den Fernseher. Da rekeln sich noch immer die Nackten. Und ich soll hier unvorbereitet Livewetter machen."
"Ja, Is gut. Reg dich ab. So schlimm war es ja auch nicht" lenkt er ein. "Na, das bekommen wir schon hin. So. Gleich Sechs, da machen wir Nachrichten. Vermutlich hat um die Zeit ohnehin noch kein Schwein hingeguckt."
"Nein," sage ich. "Die sitzen entspannt auf der Couch und gucken Nackte. Nackte."
"Hm. Ja. Wir lassen das jetzt alle zwei Stunden vor den Nachrichten laufen. Morgen früh bitte etwas weniger stottern."
"Heißt das jetzt jeden Morgen ..."
"Äh, ja. Bedaure. Jeden Morgen die Aufzeichnung für den Tag und ab nächste Woche nochmal Live am frühen Abend."
Da kann ich, da muss ich, da brauch ich ..."
"Wasss?"
"Einen zweiten Mann?"
"Pah."
"Eine Assistentin."
"Hm?"
"Einen ordentlichen Anzug?"
"In den Lederhosen brauchst du morgen nicht nochmal zu erscheinen. Ich kümmere mich drum. So, muss los. Nachrichten. Bis Morgen früh."

Es ist noch nicht mal sieben Uhr Morgens und ich fühle mich träge genug, um mich zu betrinken. Bill Murray hatte es gut, denke ich, in seiner Zeitblase. Da konnte er am nächsten Tag, der ja wieder der selbe Tag, also heute war, das alles besser machen, was er gestern, also heute falsch gemacht hatte. Warum kann mein Leben nicht manchmal auch ein bisschen komplizierter sein?
Deprimiert schleiche ich nach Hause, trinke den Rest des Bieres vom Vorabend aus, schaue mir einen Herrn Ben Wettervogel im Wetterbericht des Frühstücksfernsehens an, der ein komplett anderes Wetter ankündigt als ich es vorgeschlagen habe. Dann schlafe ich ein.

Ein Klingeln weckt mich. Telefon. Mein Chef möchte, das ich ins neue Fernsehstudio komme. Ich schaue auf die Uhr. "Ach, du Scheiße" rufe ich, greife nach den ersten Wäschestücken die ich finden kann und renne aus der Tür.


Einstell-Datum: 2006-08-21

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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