"Wie warm wirds´n heute", fragt mich meine Tochter laut aus dem Bad.
Ich lehne müde an der Küchenplatte und schrecke hoch. Das fragt sie jeden Morgen um fünf vor sieben. Es ist wichtig. Sie benötigt diese Information für die Kleidungsauswahl. Schließlich möchte sie wissen, wie viel das Teil oberhalb des freien Bauchnabels abdecken muss. Aus der Hitparade sinnloser Kleidungsstücke besitzt sie ein paar Toptitel. Z.Bsp. den ärmellosen nierenfreien Rollkragenpullover und den Tarnfarben-Tanga. Ein Bauteil das soviel abdeckt, wie ein Faden Zahnseide. Modetrends läuft sie eher voraus, statt hinterher. Hochhackiges Schuhwerk mag sie nicht. Auch nicht, wenn ich ihr Überschwemmungen von Gehwegen voraussage. Uncool findet sie. Stattdessen stopft sie sich Reclambüchlein in die Strümpfe und gilt damit in ihren Kreisen als die Begründerin der Plateausocke.
"Woher soll ich wissen, wie das Wetter wird?" antworte ich barsch.
Ich arbeite zur Zeit aushilfsweise in der Nachrichtenredaktion eines kleinen, geldlosen Radiosenders. Ich bin dafür verantwortlich die Daten vom Meteorologischen Institut in einen Wetterbericht umzuarbeiten. Die Meteorologen haben in den letzten Jahren den Konjunktiv zur Kunstform erhoben und sich damit zum kreativsten Block der Wissenschaft gemausert. Ich versuche soviel wie möglich zu lernen.
"Du bist doch hier der Wettergott. Sagt´n der Wetterbericht?"
"Kommt erst in ein paar Minuten!" Ich brühe einen Tee auf.
Im Bad geht das Radio an. In der Küche auch. Ich konzentriere mich auf die Nachrichten. Auch so ein kreativer Haufen mit viel Freude am Konjunktiv, diese Nachrichtenredakteure. Die Worte mutmaßlich und angeblich haben einen hohen Anteil in der Liste wiederkehrenden Vokabeln. Beim Wetterbericht bricht meine Konzentration zusammen. In dem Moment, in dem der Nachrichtensprecher die Temperatur ansagt, fällt mir ein, dass ich den Teebeutel rausnehmen muss. Also entgeht mir die Ansage.
"Sollen heute fünfundzwanzig Grad werden," sagt meine Tochter und klemmt den Rand des Pullover unterm BH fest.
"So?"
"Warum sagt die im Radio, dass es heiter und sonnig ist?"
"Ist es das nicht?"
"Nein. Es regnet!"
Ich schaue aus dem Fenster. Stimmt.
"Warum sagt die im Radio heiter und wolkenlos?"
"Sie liest vom Blatt!"
"Aber es stimmt nicht!"
"Nachrichten stimmen nun mal nicht!"
"Statt Blödsinn vorzulesen, sollte sie lieber mal ans Studiofenster gehen, diese doofe Nuss."
Wo hat sie bloß den Wortschatz her, denke ich und gebe ihr recht.
Das Wetter treffend zu beschreiben, fällt vielen Menschen schwer. Besonders den Meteorologen. Kachelmann, der wabbelige Fernsehwettergott, redete mal davon, es wäre so kalt, dass man sich die Hände nur beim Taschenbillard warmhalten könne. Diese Umschreibung lieferte mir das Bild von hochgezogenen Schultern und Köpfen, die in steifen Rollkragenpullovern versinken. Also bereits eine sehr nachvollziehbare Form der Wetterbeschreibung, auch wenn ich mich bei Kachelmanns Anblick ganz bestimmt nicht zum Taschenbillard hingezogen fühle.
Manchmal reicht ein Blick aus dem Fenster aus, um von miesem Wetter zu reden. Davon, dass man doch keinen Hund auf die Strasse jagt, oder dass es eben jene Hunde, in ihrer jüngeren Fom regnet. Stellen sie sich das vor, statt der allgegenwärtigen Hundekacke auch noch verendente Dackel und Pekinesen auf der Strassen zu finden, die den Sturz nicht überlebt haben. Letztens fiel der Begriff vom schuftigen Wetter. Ein Schuft, so beschreibt es Knaurs Herkunftswörterbuch ist ein niederträchtiger Mensch, ein Halunke gar oder ein lichtscheuer Spitzbube. Er ist also der Einzige, der bei trüben Wetter draussen herumschleicht, um seinem üblen Tagewerk nachzugehen, dass aus Schuftigkeiten besteht. Es handelt sich bei seiner Tätigkeit also um das legendäre Schuften. Ein Schuft, der Arges plant oder verkündet, was mich wieder zu Kachelmann und dem Wetterbericht bringt. So ein Wetterbericht ist wie ein Horoskop. Erst die Summe verschiedenster Medien ergibt eine halbwegs anschauliche Datenmenge, aus der man sich alles herausnehmen kann, was man braucht. Keiner gibt zu an Horoskope zu glauben, aber alle glauben Kachelmann. Die Radiomoderatorin in meiner Küche gratuliert dem Zuhörer zum schwülwarmen Tag. Meine Tochter geht mit knappem Top aus dem Haus. Ich starre missmutig in den Regen und verkrieche mich unter meinem Strickpullover. Danach hänge ich ein bisschen herum, in der Hoffnung, irgendwann munter zu werden. Das Telefon klingelt und vermasselt mir das eigene vorgelegte Tempo. Mein Redaktionskollege teilt mir mit, dass ein Computer abgekackt hat und ich mich um die Wetterdaten für den Abendwetterbericht selber kümmern muss. Das hat mir noch gefehlt. Stress leuchtet in roten Buchstaben über meinem morgendlichen Dämmerdenken. Ich muss mich erst einmal dringend Entspannen, beschließe ich, greife meinen Kulturbeutel und schleiche in die Sauna.
Schwülwarme Luft hängt in den Räumen. Später, unter der Dusche platzt ein kalter Schauer auf mich nieder. In den Umkleidekabinen jagt ein Fön einen warmen Tornado durch das Haar eines Mitbürgers. Eine Gluthitze erdrückt mich unter dem Röster des Solariums. Es erwischt mich das Donnergrollen der Masseuse Angela, da ich beim letzen Mal vergessen habe zu bezahlen. Ihre Hände zaubern Blitze durch meinen Körper.
Angela? Haben die Tiefdruckgebiete in diesem Jahr nicht weibliche Namen?
Ich sitze im erholsamen Whirlpool. Die Blubberblasen sehen aus, wie die Einschläge von Hagelkörnern auf einen See. Mein Caribic-Cocktail in der Hand lässt mich von Sommersonne träumen. Das Wasser läuft über, als ein dickes Pärchen dazusteigt. Ich kann nicht schon wieder ein Hochwasser vorhersagen, denke ich. Ein kalter Luftzug trifft mich, als ein Gast die Tür zum Außenbereich länger als nötig auflässt.
Ich bestelle mir ein großes kaltes Eis an der Saunabar und braue den Wetterbericht für den nächsten Tag. Meine Hörer sollten sich schon mal warm anziehen.
"So das Tief Angela über uns käme, vertriebe es unsere gute Sommerlaune durch seinen kräftigen Griff, mit dem es uns unterwürfe. Den schwülwarmen Einflüssen vergangener Tage zum Trotze plätzen eiskalte Schauer auf uns herab, kräftige Sturmwinde peitschten uns und hüben Dächer ab. Niederschlagsmengen ergössen sich, die manchen das Wasser bis zum Halse steigen ließe. Hagel beglitte das mutmaßliche Angebot des Tiefdruckgebietes, so dass man von der Sommersonne nur noch träumte. Kühle Luftmassen trüfen ein aus nördlichen Gefilden und bröchten eisiges Erwachen. Man hieße Sommer nicht mehr Sommer, sondern schölte ihn Winter. Die Temperaturen, die eben noch Rekordwerte erklömmen, schwänden, sie söffen förmlich ab und kröchen auf niedrigsten Thermometerniveau. Ach, das Tief Angela. Verschonte es uns doch."
Mein Redakteur ist zufrieden. Endlich habe ich es geschafft, meint er, einen Wetterbericht zu schreiben, der ausgewogen genug ist und der sich jeglicher Haftbarmachung entzieht. Nur am Konjunktiv müsse ich noch feilen, krittelt er rum und reicht mir meinen Wetterbericht zurück.
"Könnstest du wohl nächste Woche in der Bibelredaktion mitarbeiten? Es geht um die Umarbeitung der Apokalypse. Schönes Wochenende dann. Unter uns, wie wird denn das Wetter?"
Ich zucke mit den Schultern. "Woher soll ich das wissen? Ich bin nur der Wettergott. Ich weiß überhaupt nichts."