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Richard Cockett - Stadt der Ideen. Als Wien die moderne Welt erfand.
Buchinformation

Der britische „Economist“-Journalist und Historiker Richard Cockett setzt mit seinem neuen Buch Wien ein Denkmal. Wiens Einfluss auf die moderne Welt und die Erfindung der Moderne an sich steht im Mittelpunkt einer aufsehenerregenden Stadt-Biographie, wie man sie bisher noch nicht gesehen hat.

Wien, Nabel der Welt

Die Geschichte einer schillernden Elite, die Wien ihre Heimat nannte, von den Nazis ermordet oder in die Welt verstreut wurde – und deren Ideen uns bis heute prägen. Denn die visionären Ökonomen und Rebellen des Roten Wien, die Hollywood-Western oder gar die Einkaufszentren, Orgasmen und (Alb-)Träume vom "Neuen Menschen" haben alle ihren Ursprung in der brodelnden Viellvölkermetropole der Jahrhundertwende: Wien. Im Guten wie im Bösen, wie Cocketts Porträt einer epochalen Stadt betont. Denn erstaunlich viele Innovationen aus Wien prägen bis heute Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Carl Schorskes "Fin de Siecle Wien" (1980) oder William M. Johnstons "Kulturgeschichte Österreichs und Ungarns 1890–1938" (1992) setzten den Standard für die Betrachtung der Hauptstadt des Habsburgerreiches und der Ersten Republik. Einige Jahrzehnte später legt Richard Cockett mit seiner Transfergeschichte noch eins drauf, denn er zeigt, wie sehr das, was als modern und amerikanisch galt, von Wien(ern) beeinflusst wurde.

Hollywood und Wirtschaftstheorien

Rudolph Michael Schindler, ein ehemaliger Assistent Frank Lloyd Wright, erbaute 1921/22 das Haus in der Kings Road in West Hollywood Los Angeles, das aufgrund der unlängst wütenden Waldbrände wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit geriet. Das "Schindler House" dient heute als Dependance des MAK und ist auch zu besichtigen. Der unkonventionelle Architekt lief damals in offenen Seidenhemden und Sandalen herum und wird von Crockett als "Porto-Hippie" bezeichnet, da auch seine Lebensweise an die späteren Sechziger Jahre erinnert, eine Zeit in der er selbst allerdings längst tot war. Im Filmbereich wiederum war es etwa Billy Wilder, der mit Filmen wie "Some Like it Hot" mithalf, den Hays Code (der damaligen Zensurbehörde PCA) zu Fall zu bringen. Aber auch der Einfluss Wilhelm Reichs darf nicht unterschätzt werden. Mit seiner Orgontherapie und dem dazugehörigen Orgonakkumulator schaffte er nicht zuletzt die Voraussetzungen für das heutige "Handy". Die FDA soll ein Viertel ihres Budgets allein für die Verfolgung Reichs eingesetzt haben. Seine Schriften wurden nach seiner Verhaftung sogar verbrannt (!). Sein Orgon-Laboratorium in Maine sei jedoch als Museum noch erhalten. Auch der Erfinder der Werbung, Edward Berney, war ein Neffe Sigmund Freuds und hatte besonders in den USA großen Erfolg, etwa mit seiner PR-Strategie zur Propaganda für das Rauchen für Frauen. Neben Hayek und Popper in den Wirtschaftswissenschaften waren es auch Schumpeter oder Polanyi die die Diskussion in Amerika anregten, ob es sich um einen Kampf zwischen Individualismus und Kollektivismus oder doch um einen zwischen liberalem Kapitalismus und Faschismus/Kommunismus handle. Besonders bemerkenswert ist die Aussage des letzten Kapitels.

Der Anfang und das Ende des Freihandels

Unter der Überschrift "Die Doppelordung: Wiedergeburt Österreich-Ungarns auf globaler Ebene" setzt Cockett einem ganzen Kultur- und Wirtschaftsraum ein weiteres Denkmal. "Die österreichische Schule trug zur Bildung jener Institutionen bei, die am Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden und Grundlage für das neue, von den Vereinigten Staaten beherrschte westliche Wirtschaftsssytem schufen." Dazu gehörte u.a. der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Freihandelsabkommen GATT (heute WTO), das sog. Bretton Woods System, das ein gewisser neuer Präsident aktuell in den Fokus seiner Angriffe genommen hat. Die sog. Globalisierung, die von dem Harvard Professor Theodore Levitt 1981 erstmals so benannt wurde, habe das Herzstück gebildet, das Österreich-Ungarn auf die Ebene des Weltmarkts gehievt habe, so Cockett. Übrigens selbst die Gründung von wikipedia gehe auf einen Österreicher zurück. Der Gründer des Internetwissenslexikons, Jimmy Wales, habe als Student Hayek Idee von der Dezentralisierung und Streuung des Wissens aufgesogen und später mit Wikipedia erfolgreich umgesetzt. Intellektuelle Heterodoxe und politischer Pluralismus hätte die Entwicklung von Ideen ermöglicht, die bis zum heutigen Tag die Welt prägen. Die Wiener und Wienerinnen hätten sich dabei dabei stets bescheiden verhalten und nie den Ruhm geerntet, den sie verdient hätten. Dem ist hiermit - mit vorliegender Publikation - schlußendlich doch noch Genüge getan worden.

Richard Cockett
Stadt der Ideen. Als Wien die moderne Welt erfand.
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
2024, Hardcover mit SU, Format: 16.8 x 24.0 cm, 432 Seiten
ISBN: 978-3-222-15138-5
Molden Verlag
40,00 €

[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2025-02-16)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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