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Rezensionen


 
Thomas Glavinic - Die Arbeit der Nacht
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Glavinic, Thomas - Die Arbeit der Nacht bestellen
Glavinic, Thomas:
Die Arbeit der Nacht

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(Bücher frei Haus)

Sollte man überhaupt den Versuch unternehmen, einen fast vierhundert Seiten starken Roman zu schreiben, der im Prinzip nur von einer einzigen Person handelt? Und was das Publikum noch mehr interessieren dürfte: sollte man ihn lesen? Was zunächst abschreckend wirkt ob der zu vermutenden Langatmigkeit, gerät dem Autor jedoch zu einem in aller stilistischen Schlichtheit erzählten Buch, das von den Schrecknissen der absoluten Einsamkeit berichtet. Jonas, der Protagonist, erwacht eines morgens in seiner Wiener Wohnung und muss feststellen, dass es über Nacht außer ihm selbst kein lebendes Wesen in der Stadt mehr gibt. Was er anfänglich als zwar beunruhigendes, aber gleichwohl spannendes Experiment empfinden kann, mündet bald in Paranoia und zwanghafte Selbstbeobachtung. Mit der Konstruktion von Gründen für das rätselhafte Verschwinden der Mitmenschen hält sich Glavinic nicht auf, ebensowenig mit der Entwicklung von langfristigen Überlebensstrategien für seinen alleingelassenen Solodarsteller. Ihm geht es nur um die Reaktion des menschlichen Ichs auf die Absurdität der Situation. Der Held fährt denn auch zunächst in einem geklauten Alfa-Spider ziellos in der Gegend umher, ballert mit einer Pumpgun um sich, lebt schon bald nur noch von Konserven und filmt sich selbst. Es existiert auch keinerlei Tierwelt mehr, was zwar nur mit wenigen Worten skizziert wird, aber beim Leser fast ebenso große Beklemmungen wachruft wie die plötzliche Abwesenheit menschlichen Lebens. Trotzdem fühlt sich Jonas ständig bedroht, erfindet gar eine Art Monster, das ihn scheinbar verfolgt und muss entdecken, dass er nachts im Schlaf ihm völlig unerklärliche Dinge tut. Gebannt verfolgt der Leser Jonas' Aufbruch zu einer Fahrt durch das menschenleere Europa auf der Suche nach Spuren seiner Lebensgefährtin, die nach Schottland gereist war. Diese Fahrt wird für Jonas vor allem zu einer letztlich zum Scheitern verurteilten Standortbestimmung des eigenen Ich und seinem Glauben an die Liebe. Die Grundsituation - der letzte Mensch auf Erden - ist literarisch natürlich nicht neu, man denke etwa an Rosendorfers "Großes Solo für Anton", Marlen Haushofers "Die Wand" und etliche andere Versuche zu diesem Thema. Glavinic' subtile Herangehensweise an die Befindlichkeit seines Protagonisten durch den Einsatz einer strikten Betrachtung von außen muss man jedoch schon als gelungenes literarisches Wagnis bezeichnen. Da keine großen Gefühle gewälzt werden, mag das Buch vielleicht zunächst ziemlich blutleer erscheinen. Hat man sich jedoch erst einmal an die nüchterne Sprache und die streng beobachtende Erzählperspektive gewöhnt (die übrigens auf beklemmende Weise mit der Manie Jonas' korrespondiert, sich und seine leblose Umwelt ständig zu filmen und die Ergebnisse dann stundenlang zu betrachten), gerät man unwillkürlich in einen Strudel der Spannung, obwohl objektiv gesehen nicht allzuviel geschieht. Glavinic, dem für "Die Arbeit der Nacht" im Jahr 2007 der begehrte Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar zugesprochen wurde, gelingt es dennoch über die gesamte Distanz ein Gefühl des latenten Unbehagens, der Bedrohung, der Urangst des Verlassenwerdens im Leser wachzurufen, der sich schließlich selbst die Antwort auf die entscheidende Frage geben muss: wie lange kann ein Mensch mit sich selbst allein sein, ohne seelischen Schaden zu nehmen? Auf jeden Fall so lange, bis er dieses Buch gelesen hat. Er wird seine Mitmenschen vielleicht sogar hernach mit anderen Augen sehen, weil auch er einen ungewöhnlichen Blick in sich selbst hinein getan hat.

[*] Diese Rezension schrieb: Marcus Neuert (2010-02-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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