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Philipp Sarasin - 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart
Buchinformation

Wieso sprechen eigentlich alle von der Generation `68 und nur wenige von der Generation `77? Wahrscheinlich weil die einen vor den anderen waren. Dabei beinhaltete das Jahr 1977 vielmehr an revolutionärem Potential und führte zu wohl noch größeren Veränderungen als das Chiffre 68. Oder doch nicht?

1968 vs. 1977

Der Michel Foucault verpflichtete Schweizer Autor Philipp Sarasin („Michel Foucault zur Einführung. Junius, Hamburg 2005“) belegt in einer hochwertigen, intellektuellen Sprache, dass es vielleicht doch so war. Dass 1977 viel mehr veränderte als 1968. Da wäre etwa der Ausbruch des internationalen Terrorismus mit der Solidaritätserklärung der Palästinenser mit der deutsche RAF in der Mogadischu-Entführung- der sog. „deutsche Herbst“, die Eröffnung des Centre Pompidou in Paris, der Apple II, das Internet, Jimmy Carters „human rights“, die „identity politics“ schwarzer Aktivistinnen, die Esoteriker des „New Age“ und ArchitektInnen mit ihren symbolischen Formen, Punk, Disco und Hip-Hop. Das alles war 1977 und noch viel mehr, wie der Autor auf eindringliche und dennoch verständliche Art klarmacht. Sein „1977“ sei kein Buch der Erinnerungen. Er habe es als Historiker geschrieben und nicht als Zeitzeuge, heißt es schon im Vorwort. Und schon David Bowie sang 1972 unheilschwanger „We’ve got five years, five years, that`s all we’ve got”.

1968 vs. 1977

Das Scheitern der Revolution von 1968, der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums, der Ölpreisschock, die Abkehr von der keynesianischen Wirtschaftspolitik durch Thatcher und Reagen und das „Wiederaufflammen eines vergessen geglaubten Sozialdarwinismus“ hatten zwischen 68 und 76 nicht nur bei David Bowie eine Endzeitstimmung aufkommen lassen, aber 1977 war das Jahr des erneuten Entflammens der Hoffnung mitten in der Entdeckung des „Schocks des Globalen“. Philipp Sarasin präsentiert zu Beginn jedes Kapitels eine Person, die exemplarisch für das Jahr 1977 steht und taucht anschließend noch tiefer in die Materie ein. So werden neben Ernst Bloch auch Jacques Prévert oder Anais Nin und Fannie Lou Hamer thematisiert und quasi als Zeitzeugen geladen. Das Wort des Jahres 1977 war übrigens „the scene“ und genau das beschreibt Philipp Sarasin in einem atemlosen Monolog über ein Jahr, das es wirklich in sich hatte. Er analysiert die heterosexuelle, phallozentrische Rockmusik und konterkariert sie mit der homosexuellen Subkultur New Yorks, die auch schwarzen Stimmen eine Bühne gab, bricht eine Lanze für Saturday Night Fever als kulturbefreienden Tanzfilm oder zitiert die Werbung für erstmals aufkommende VHS-Geräte, die es erstmals ermöglichten, die „volle Kontrolle“ selbst zu übernehmen. Nicht zuletzt war 1977 auch des Jahr des großen „Blackout“ in New York, der für eine ganze neue Form der Musikkultur sorgte. In der Nacht vom 13. auf den 14. Juli wurden mehr als 1600 Shops von ca. 3700 Plünderern ausgeraubt und dabei wurde zumeist nagelneues Equipment erstanden, das auch armen Schwarzen den Zugang zu leistungsstarken Soundsystems ermöglichte: und so entstand HipHop!

Weitere Exkurse zur Graffiti Kultur, der Moderne und Postmoderne sowie vielen anderen Aspekten des Jahres 1977 machen Sarasins Buch zu einer lesenswerten Lektüre, die allerhand Potential zur Perspektivenverschiebung ermöglicht. Eine aufsehenerregende Lektüre also, die sich lohnt!

Philipp Sarasin
1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart
2021, 502 Seiten, fester Einband mit Schutzumschlag, 14,6 x 22,0 x 4,0 cm, 688 g
ISBN: 978-3-518-58763-8
Suhrkamp Wissenschaft Hauptprogramm
Suhrkamp Verlag, 3. Auflage
32,00 € (D), 32,90 € (A), 42,90 Fr. (CH)

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-10-05)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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