raimund-fellner
Mitglied
87 Forenbeiträge seit dem 13.11.2011
|
Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 04.03.2013 um 17:45 Uhr |
2. Die so genannten Genussmittel, unter denen Raimund litt
(Aus "Lange Haare")
Raimund war süchtiger Raucher. Das war ein Laster, unter dem er litt. Er konnte es nicht lassen, obgleich er immer wieder einen Versuch machte, damit aufzuhören. Aber länger als zwei Stunden hielt er es nicht aus. Dann forderte sein Leib das Nikotin. Sein mit diesem Nervengift unterversorgtes Gehirn machte seinen guten Willen zunichte. Das Leben erschien ihm nicht machbar ohne diese Suchtdroge. Er musste sich ein Lungentorpedo runterziehen, um dann betäubt, vorerst genug zu haben, bis sich nach ungefähr einer viertel Stunde wieder das Unbehagen einstellte und er den nächsten Suchtstengel brauchte. Ein fortwährendes Wechseln zwischen unzufriedenem Unbehagen und Betäubung. So ging es den ganzen Tag jahrein jahraus. Ein elendes Leben in Unfreiheit und Quälnis.
Wenn er mit anderen Rauchern, die er zufällig in irgendwelchen Kneipen traf, darüber zu sprechen kam, meinten diese nur die entschuldigende Ausrede: Irgendein Laster muss man ja haben, sonst wäre das Leben langweilig. Oder: Man hat ja sonst nichts vom Leben.
Wenn Raimund betäubt vom Nikotin in seiner Sucht ruhig gestellt, seine Meinung dazu hervorkramte, die er sich im Laufe der Zeit gebildet hatte, war er ganz anderer Ansicht. Das lehrten ihn seine philosophischen Studien. Er musste eben nicht irgendein Laster haben. Vielmehr verhält es sich so: Je weniger Laster einer hat, desto freier und glücklicher ist er. Wenn er rauchte, hatte er nicht mehr vom Leben, sondern weniger. Das war seine feste Meinung dazu, die sich fest einstellte, während er rauchte. Und trotzdem konnte er nicht damit aufhören, denn wenn er unter Entzug war, hielt es seine Gefühle ohne Zigarette nicht aus. Es stellte sich die hinausschiebende Ausrede ein: Noch diese Zigarette, dann würde er aufhören.
Vormals, als er noch frei von dieser Sucht war, noch nicht erfahren hatte, was Sucht war, hatte er sich vorgenommen, sich eine Sucht zuzulegen und diese dann zu überwinden, um wissend zu werden und um sozusagen die Erkenntnis des Guten und Bösen darüber zu erlangen. So hatte er sich ganz bewusst und absichtlich mit Zigaretten süchtig gemacht aus der Ödnis und Langweile heraus, die dem damaligen psychotischen Schub gefolgt waren. Jetzt wusste er, was Sucht war, jetzt hatte er die Erkenntnis. Womit er nicht gerechnet hatte, war, wie unsagbar schwer es war, diese Sucht zu überwinden. Wenn er das gewusst hätte, hätte er die Finger davon gelassen.
Immerhin folgerte er von den schlechten Erfahrungen mit dieser Sucht auf die Alkoholsucht, so dass er es sich nicht gestattete, mit Alkohol anzufangen. Die Beobachtung seiner Mitmenschen zeigte ihm, dass diese Sucht noch verheerender war. Alkohol wäre sein gänzlicher Untergang, zumal er dumm machte, so dass er das Denken, das er so gerne betrieb, nicht mehr erfolgreich hätte betreiben können, wenn er dieser Sucht erlegen wäre.
Was für andere der Alkohol war, das war für ihn Koffein und Thein. Er trank täglich literweise Kaffee, Schwarzen Tee, Grünen Tee, Cola oder Spezi. Das fand er lange Zeit nicht für bedenklich. Er merkte gar nicht, dass er danach süchtig war und nicht mehr aufhören konnte damit. Er meinte, dieser Missbrauch beeinträchtige seine geistige Leistungsfähigkeit nicht. Außerdem hörte er nie eine warnende Stimme seiner Mitmenschen, die eine mögliche Schädlichkeit für die geistige Leistungsfähigkeit von koffein- oder theinhaltigen Getränken ansprachen. Wenn sie mal eine Bemerkung machten, dann verharmlosten sie den Kaffee und Schwarzen oder Grünen Tee. Das Übermaß sei zwar schädlich, aber in Maßen schade es nichts, hörte er sagen. Dass diese Stoffe das Bewusstsein und das Gemüt veränderten, davon sprach niemand, obgleich es zutraf, wie er später herausfand. Ohne darüber nachzudenken, benutze er diese Stoffe, um seinen Schmerz im Gemüt zu betäuben. Jedenfalls war dieses Vorgehen nicht so verhängnisvoll wie der Alkohol, beschwichtigte er sich, wenn ihm doch einmal sachte Bedenken kamen.
Dass er ein oder mehrere Neuroleptika brauchte, um seine Rezeptoren in den Synapsen der Gehirnnerven abzuschirmen, um nicht in eine Psychose abzugleiten, davon suchte ihn sein Arzt Dr. Schöpl zu überzeugen. Von diesen Arzneien wurde freilich keiner süchtig, denn jeder setzte sie am liebsten ab, als die Nebenwirkungen zu ertragen. Nikotin und Koffein wirkten den Neuroleptika entgegen, sie schubsten die abgeschirmten Rezeptoren an den Nervenenden im Gehirn wieder frei, so dass er mehr Neuroleptika brauchte, solange er rauchte und koffeinhaltige Getränke zu sich nahm. Da Neuroleptika mit Zigaretten leichter erträglich waren, war es umso schwerer, mit dem Rauchen aufzuhören, nahezu unmöglich. Trotzdem bildete sich bei Raimund nach und nach die Überzeugung, dass die Voraussetzung, um glücklich zu werden, die völlige Freiheit von Genussmitteln und illegalen Drogen sei. Obgleich er diese Überzeugung hatte, konnte er nicht ihr gemäß handeln, denn der Leidensweg der Umstellung war zu groß. Er wusste, da musste er durch, wenn er sein Leid überwinden wollte.
Raimund Fellner
|