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Literaturforum:
Selig sind die geistig Armen
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Autor
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Thema: Selig sind die geistig Armen
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ArnoAbendschoen
Mitglied
718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 18.06.2021 um 14:20 Uhr |
Man hat also gewagt? Uns zu berauben? In einem Literaturforum publizierte Texte, Prosa und Lyrik, wurden massenhaft von frevelnder Hand zusammengestellt und unter Vorspiegelung falscher Autorschaft zum Verkauf angeboten. Da musste doch eingeschritten werden! Wirklich?
Nun, so selten ist dieses Mausen nicht. Vor einem Dutzend Jahren äußerte sich in einem anderen Literaturforum schon mal ein weiser alter Mann apodiktisch so: Was ins Internet gestellt wird, ist verloren. Der Mann musste es wissen, er selbst war Journalist und wurde bald darauf als fleißiger Plagiator enttarnt.
Ein krasses Beispiel, das mich betraf: Eines Tages entdeckte ich einen meiner Texte auf einer Hurenwebsite ohne Angabe eines Verfassers. Die Damen glaubten vielleicht, es besonders geschickt angestellt zu haben. Vom Ursprungstext waren der erste und letzte Satz entfernt und an den vorletzten war ohne Übergang eine mir unbekannte Story aus fremder Feder angehängt worden. So macht man das also … Doch ich kam ihnen auf die Schliche: Mitten im Text war mein Pseudonym eingebaut. (Filmemacher praktizieren es ähnlich, wenn sie den Vorspann erst in einigem Abstand zum Filmanfang präsentieren – zur Nachahmung empfohlen.) War ich entrüstet? Ach wo. Mein erotischer Text hatte sonst keinen ungeteilten Beifall gefunden, dass ihn Frauen vom Fach zu schätzen wussten, schmeichelte meiner Eitelkeit.
Diebstahl geistigen Eigentums? Materielle Schäden entstehen mir infolge von solchen Praktiken nicht. Ich verbuche vielmehr als ideellen Gewinn, wenn mir liebe Stoffe und meine Gedanken dazu von anderen weiterverbreitet werden, für mich kostenlos und oft auf Kanälen, die mir nicht zur Verfügung stehen. Ist es nicht eine Auszeichnung, wenn aus der heutigen unübersehbaren Feierabendmassenproduktion etwas von mir Geschaffenes ausgewählt wird? Viel wichtiger als mein Name darunter oder darüber sind mir die Stoffe. Ich wünsche mir, dass von manchem noch zu lesen sein wird, wenn ich nicht mehr existent bin; gern auch ohne Bezug auf meine Person. Vielleicht wird unter einem solchen Text einmal stehen: Unbekannter Verfasser.
Das ist kein Plädoyer für die Abschaffung des Urheberrechts. Wer vom Schreiben lebt, muss vor Textklau geschützt bleiben. Das Urheberrecht ist historisch mit dem Aufkommen von Berufsschriftstellern verbunden und hat so auch weiter seine Berechtigung. Es jedoch im Internetzeitalter exzessiv auf die Produkte von Laienliteraten anzuwenden, halte ich für verfehlt. Das hat dann etwas von Häkeldecken auf Nierentischen: weder zweckmäßig noch schön.
Selig mögen geistig Arme sein - unselig sind die geistig Beraubten, wenn sie sich so vorkommen, ohne es tatsächlich zu sein.
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Kenon
Mitglied
1482 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 18.06.2021 um 18:35 Uhr |
Ich sehe hier einiges recht ähnlich, einiges anders. Früher gab es mal einen Fall, wo jemand meine Texte sehr breitflächig “gestohlen” und unter eigenem Namen in das Internet gestellt hat; das sind dann sehr arme und bedauernswerte Personen, die soetwas nötig haben. Hässlicher wird es, wenn jemand aus fremden Ideen / Texten erfolgreich Kapital schlägt, wie beispielsweise im Roman “Axolotl Roadkill” geschehen (Helmut Krausser dazu: „Diebstahl bleibt Diebstahl, da bin ich sehr konservativ. Sich es mit dem Hinweis, heute werde überall geklaut, einfach zu machen, zeugt von wenig Reflexion und einer gewissen Wollust am Selbstbetrug.“).
Ich suche auch schon lange nicht mehr, ob ich Textfragmente aus meiner Produktion an nicht autorisierten Stellen ohne richtige Autorennennung wiederfinde, allerdings recherchiere ich doch gelegentlich, ob ich irgendwo ordentlich zitiert werde, und das sind dann tatsächlich schöne Momente, die eigenen Worte so in einer Internet-Publikation oder sogar einem Buch wiederzufinden; Anerkennung ist mir nicht komplett unwichtig, und die wird mir ja auch gestohlen, wenn jemand meine Texte als seine eigenen ausgibt. Den Diebstahl selbst sehe ich nicht unbedingt als Anerkennung, sonst könnte man ja beispielsweise auch einen Uhren-Diebstahl positiv werten: Der Dieb fand meine Uhr schön und hielt sie für marktfähig ... Das ist ja kein Lob für meinen Geschmack, sondern geschieht aus materieller Not oder Habsucht. Textdiebstahl geschieht vielleicht vor allem aus seelischer und geistiger Not, der Sucht nach einem winzigen Stück Ruhm und weil man es selber einfach nicht drauf hat, Texte zu erschaffen, die überhaupt irgendeinen Anklang finden.
Ich muss glücklicherweise nicht von meinen Texten leben und habe die Freiheit, mich nicht nach dem Markt und potentiellen Lesererwartungen richten zu müssen; als Laien-Autor sehe ich mich allerdings nicht und auch viele andere Autoren sind keine Laien, nur weil sie keine nennenswerten Umsätze mit ihren Text-Produktionen erwirtschaften und / oder nicht Unmengen an Lesern haben.
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