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Krankes Tier
Autor: Mone Hartman · Rubrik:
Erzählungen

"oh Nacht! Ich nahm schon Kokain", schrieb Gottfried Benn, und:
"Blutverteilung ist im Gange". Das geht mir durch den Kopf, jetzt.
Blutverteilung. - Ich steh am Ende der Nacht, steh auf der Schwelle
zwischen Wohn- und Schlafraum, und starre hin zu meinem Bett:
Weisse Seidenlaken in reichlicher Zerwühlung, und mittendrin diese
Frau, die Betty ist, wie sie so still dort liegt, im orangefarbenen
Frühsonnenlicht, und es könnte ein friedlicher Anblick sein.

Jetzt erkenn ich Sabines Schritte im Hausflur, wirklich unverkennbar,
wie sie die Holztreppen hochstolpert, schweres Stapfen, sie wird
betrunken sein. Sie wird sich erschrecken.
...und: Dass es eine Frau ist, die dort liegt, in meinem Bett. Seit
Sabine und ich hier wohngemeinschaftlich zusammenleben, hatte sie
mir einzureden versucht, dass ich schwul sei. Ein Typ wie ich und seit
Ewigkeiten keine Frau, das sei wohl kaum normal. Dass ich auch keine
Männer hatte, war kein Störfaktor für ihre merkwürdige Theorie.

Jetzt steht sie hinter mir, sagt ein "Hallo", ich seh sie an, seh, wie sie
an mir vorbeistarrt, hin zu meinem Bett, grosse Augen, sie geht an mir
vorbei ins Schlafzimmer, bis an den Rand des Bettes, dort steht sie in
regungslosem Harren, ein paar Sekunden oder drei Ewigkeiten lang,
dann sagt sie: "Ach Du Scheisse", starrt nun mich an und will wissen,
wer das ist und was passiert ist und warum und warum das eine Frau
ist und kein Mann.
Dass ich nicht schwul bin, sag ich ihr, und dass ich ihr schon längst
gesagt hab, dass ich wohl ein krankes Tier bin.

"Ich brauch jetzt einen Vodka", sagt Sabine, und dann sitzen wir
zusammen am Küchentisch, trinken Vodka-Lemon, und ich sag ihr,
dass das Betty ist. - "Die Betty?", fragt Sabine, "die Dich damals....?"
"Ja", sag ich, "die Betty. Die mich damals zurückgelassen hat. In
Demütigung. Gestern abend hab ich sie wiedergetroffen, zufällig, es
war fröhlich und unkompliziert, und dann hat es sich so ergeben, dass
wir hier gelandet sind. Und ich hatte die ganze Zeit über diese....
Ahnung."

Die Sonne scheint harmlos hindurch das Fenster auf unsere Gläser. Wir
rauchen schweigend. - Die gestrige Nacht war ein Film. Betty, ihre
helle Haut, und hell ihr schönes Lachen, und heiss der Schmerz von
vor fünf Jahren, aufgeflammt, ein weisser Blitz in der dunklen Nacht,
und weiss das Koks, zuviel davon, zuviel von allem.

"Das darf niemand wissen", sagt Sabine jetzt, "also lass uns überlegen,
was zu tun ist. Wenn das jemand erfährt.... sieht's nicht gut aus für
Dein Leben". Sie holt einen Notizblock und fängt an, etwas
aufzuschreiben. Sie macht einen Plan, denk ich.
Es hat etwas Frisches, wie sie nicht nach Gut und Böse fragt und
nicht nach Richtig und Falsch. Wie sie nur schaut, was gerade das
Zweckmässigste ist, und das dann auch tut.
'Es geht schliesslich um's Überleben', sagt sie immer.
Jeder andere hätte wohl zuerst daran gedacht, die Polizei zu rufen...

"Vielleicht bist Du wirklich ein krankes Tier", sagt sie jetzt.
Ich sage nichts. Sitze am Ende einer Nacht, am Ende eines Films, in
dem ich eine Hauptrolle gespielt hab. Denken kann ich nicht, jetzt.

"Lass uns erstmal schlafen und nüchtern werden", sagt Sabine, "und
am Abend... tun wir dann, was eben zu tun ist".
Ich steh auf, geh nochmal in mein Schlafzimmer, Sabine kommt
hinterher. Wir stehen da und starren auf die Frau, die Betty ist, und
Betty liegt nackt in den weissen Laken, und ... Blutverteilung. Nicht
allzuviel Blut, aber blutige Ergüsse, der eigentlich so helle Hals ganz
lilablau verfärbt, und leere Augen starren hin zur Zimmerdecke.

Sabine nimmt ein Stück des Lakens hoch und wirft es Betty über den
Kopf. -- "Du kannst mit bei mir im Bett schlafen", sagt sie dann und
sieht mich an, und ihre Augen werfen mir ängstlich eine seltsame
Neugier ins Gesicht.


Einstell-Datum: 2003-09-12

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

Bewertung: 333 (1 Stimme)

 

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