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Tod eines Kleinbauern
Autor: ArnoAbendschoen · Rubrik:
Erzählungen

Die Sandgrube stand nicht im Straßenverzeichnis von Neustadt. Sie rangierte dahinter in einem Anhang, betitelt: Wohnplätze und Einrichtungen außerhalb. Alphabetisch folgte da die Sandgrube auf Kläranlage und Lohgerberei (ehem.), dann kamen noch Schäferei und Schuttabladeplatz. All das roch ein wenig absonderlich nach den unehrlichen Berufen des Mittelalters.

Dabei war Manfreds Großvater ein angesehener, d.h. wohlhabender Mann gewesen. Er hatte zeitlebens in einer Villa nahe dem Bahnhof gewohnt und im Jahr des speziellen Heils die Sandgrube in den Hügeln östlich vom Fluss erworben. Damals, in den Jahren vor dem Krieg (und nach ihm erst recht), vermehrte sich die Zahl der Truppenübungsplätze rundherum fortlaufend, bis ein beträchtlicher Teil des Landes von ihnen bedeckt war. Kasernen wurden benötigt, für ihren Bau Steine, Zement und - Sand. Ein sicheres Geschäft, obgleich auf Sand gebaut.

Die Konzession zum Abbau lief 1960 aus. Manfreds Vater, der ohne Beruf aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt war, erbat sich vom Großvater das Gelände. Der Alte überließ es ihm per Schenkung und kümmerte sich, selbst jetzt behaglich im Ruhestand lebend, nicht weiter um die Sandgrube (ehem.). Er war wie der Gott Voltaires, dem wir die Existenz verdanken und der uns dann uns selbst überlässt.

Der Vater kaufte einige umliegende Äcker und Wiesen, Hektar für Hektar, von anderen Kleinbauern. Es war die Zeit der Flurbereinigung. Durch die Käufe erwarb der Vater Anspruch auf staatliche Protektion. Bevor die Gelder flossen, erschien ein Vertreter der Behörde im Gelände, besichtigte, stellte Fragen. Manfred war eingeschärft worden: Und wenn er dich fragt, sag ihm nicht, dass du später nicht in die Landwirtschaft willst.

Das immense und zinslose Darlehen, tilgbar über fünfzig Jahre, wurde vor allem in ihr neues Heim gesteckt, ein Bungalow genanntes, niedriges und lang gestrecktes Gebäude, das auf der untersten der früheren Abbauterrassen stand. Sie räumten die Villenetage am Bahnhof.

Manfred lebte nur fünf Jahre mit den Eltern in der Sandgrube. Dann kam er durch fünfundzwanzig Jahre zweimal jährlich für wenige Tage zu Besuch. Schritt für Schritt vollzogen sich Umwälzungen, im Gelände wie an den Menschen.

Wenn er in den späteren Jahren von Hamburg aus zu ihnen fuhr, lagen bei der Ankunft in Neustadt sieben Stunden Bahnfahrt hinter ihm, und ein Fußmarsch von dreißig oder vierzig Minuten stand ihm noch bevor. Gewöhnlich kam er im Winterhalbjahr. Es war dann immer schon dunkel. Das rasche Gehen belebte ihn, er fühlte sich dadurch verjüngt, zumal er zu alten Eltern ging. Ihnen gegenüber fühlte er sich sehr jung. Er ging noch ebenso rasch wie vor zwanzig Jahren. Die Straße führte vom Bahnhof aus der Stadt hinaus und in die Wiesen hinein; sie wurden auf einem Steindamm durchquert. Zu beiden Seiten lag meist nebliger Dunst, der die Sicht erschwerte. Das Wasser des Flusses strömte ungesehen unter der Brücke dahin. Ab und zu überholten ihn Autos. Sie fuhren zu dem Dorf, das drüben lag. Seit seinem Weggang war es in die Breite und Höhe gewachsen. Neue Häuser zogen sich jetzt den Prallhang hinauf, es hieß dort Am Weinberg; sie gehörten oft jungen Leuten, viel jünger als er selbst jetzt. Sie waren um die Zeit seines Aufbruchs erst geboren worden.

Die Landstraße bog rechts ab und sein Weiterweg war ein Waldweg, der sich steil den Hang hinaufzog, hier und da mit Resten von Asphalt bedeckt. Die Kronen der hohen Robinien und Eichen – Wintereichen mit totem Laub – berührten sich über ihm. Es gab keine Laternen, der Weg war nicht öffentlich, es war finster. Manfreds Füße kannten den Weg, die Schlaglöcher, die zu Gruben sich erweitert hatten. Er strauchelte nicht und hätte auch mit geschlossenen Augen hinaufgefunden.

Sein Schwung ließ nach. Es war nicht der Berg, sondern die Frage: Sind sie noch älter geworden? Sie werden immer hinfälliger und du trittst ihnen entgegen in immer derselben Gestalt. Ein Jüngling mit vierzig, fragwürdige Erscheinung …

Wenn er die untere Sohle der früheren Grube erreichte, glomm ihm von der Hausecke schwaches elektrisches Licht entgegen, es funzelte verbraucht aus einer verschmutzten alten Neonröhre. Die großenteils verwilderten Gärten blieben im Dunkel, er sah das vermooste Dach nicht, nicht das Grau der Putzfassade, die einmal weiß gewesen war. Frisch und neu war hier alles im Jahr seiner eigenen Konfirmation gewesen. Die Leuchte war kaum von Nutzen, sie schalteten sie nur ein zum Zeichen, dass er erwartet wurde. Die Kunststeinplatten im zugewucherten Vorgarten standen zum Teil hoch. Er drückte die Klingel. Sie war ebenso alt wie die Außenlampe und klang blechern-dürftig. Alles war hier veraltet, erschöpft und neigte sich seinem Ende zu.

Sie öffneten ihm rasch und standen beide in der Diele. Ja, sie waren erschreckend alt und sie waren es nicht in seiner Nähe geworden. Sein Bild von ihnen, wie er es sonst im Kopf hatte, war jedes Mal viel jünger als sie selbst. Er musste es nach der Ankunft stets schnell retuschieren. War er wieder fort, verjüngten sie sich dann in seinem Kopf allmählich wieder.

Verhutzelt, dachte er, verknöchert, verkrümmt, vernachlässigt die Kleidung und die Frisuren.

Dennoch war seine Sorge auch dieses Mal unbegründet gewesen. Noch zeichnete sich kein wirkliches Ende, kein endgültiger Zusammenbruch ab. Sie gaben sich ganz unverändert, sie gaben noch immer dasselbe Stück: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Es war in zahlreichen Aufführungen allmählich immer mehr perfektioniert worden. Die Mama wünschte ein „Guten Abend, willkommen daheim, Manfred“ und strahlte, wie man es an Greisinnen selten sieht. Unwandelbares Strahlen all die Jahre, wenn er ankam. Und der Papa sagte wie immer: „Guten Abend, Manfred. Schön, dass du wieder da bist. Lass es dir noch einmal ein paar Tage gut gehen.“ Und wie immer empfand Manfred die hierin enthaltene harmlose kleine Unterstellung und nahm sie ohne Widerspruch hin.

Dann gab es einen spätabendlichen Imbiss für ihn. Ein Paar Würstchen wurde erhitzt, Brot und Sprudel kamen auf den Tisch, ein süßer Nachtisch in Gestalt eines Grießpuddings. Manfred aß und gab Auskunft über den Verlauf der Reise, die die Eltern selbst nie unternommen hatten. Man besprach das Wetter der letzten Wochen. Die anfängliche Munterkeit war schon dahin, das Gespräch versickerte allmählich, bis einer, Manfred oder die Mutter, das erlösende Wort sprach: „Sollen wir schlafen gehen?“

Der Vater war leidend. Noch deutlicher zeigte es sich am folgenden Morgen. Er aß wieder nur Zwieback und lehnte heute sein Frühstücksei ab. Woran litt er seit Jahren schon, war es eine Verdauungsstörung, eine chronische Darmentzündung? In Hamburg schlug Manfred von Zeit zu Zeit in seiner Ausgabe von Pschyrembels Klinischem Wörterbuch nach (253. Auflage) und las dort unter Kolitis ulcerosa: Wie kaum bei einer anderen Krankheit ist die Persönlichkeit des Patienten mit dem entzündlichen Dickdarmgeschehen verbunden.

Es hatte vor etwa zehn Jahren begonnen, ungefähr mit dem Ruhestand, und sich dann von Jahr zu Jahr verschlimmert. Der Vater hielt strenge Diät, er aß nur noch Zwieback, dazu morgens ein Ei, mittags ein winziges Stück Huhn und wenige Kartoffeln. Er trank nur noch Fencheltee und duldete nicht die kleinste Abweichung auf dem Speisezettel. Den größten Teil des Tages verbrachte er auf dem Sofa, ruhend und schweigend.

Es hätte nahe gelegen, einen Arzt zu nehmen. Aber er ging, seit er krank war, zu keinem mehr und ließ auch keinen ins Haus kommen. Unbehandelt schritt die Auszehrung so immer weiter fort. Einmal hieß es, man könne ihm doch nicht helfen, ein anderes Mal, ein Arzt werde ihn ins Krankenhaus stecken, man werde ihn operieren, und an den Folgen werde er dann krepieren.

Auch an diesem Morgen lag er dann auf dem Sofa, das in der Küche stand. Er beteiligte sich nicht am Gespräch, das er dennoch überwachte, misstrauisch oder apathisch, wer konnte es sagen, oft im halben Schlummer. Die Mutter vermied es, über seine Krankheit, über die Zukunft zu sprechen. Manfred hielt den Anblick dieser atmenden Totenmaske nicht länger aus und verließ ihr Heim, diesen Vorsaal einer Leichenhalle.

Die Morgensonne stand schon über dem östlichen Kamm und erwärmte die drei Terrassen der alten Grube. Das Haus selbst lag noch im Schatten des Berges, die Sonne wird es ab Mittag bescheinen. Hier war der Winter die helle Jahreszeit. Der Bungalow stand vom Frühjahr bis in den Herbst im tiefen Blätterschatten des Wäldchens dahinter und der Bäume, die vor dem Haus aufgeschossen waren. Ohne Heizung war es im Sommer drinnen oft empfindlich kühl.

Die ganze untere Ebene hier war einmal als Gartenland genutzt worden. Wie viel Mühe hatte es seinerzeit gekostet, den Boden fruchtbar werden zu lassen. Nur eine kleine Fläche, jetzt kahl daliegend, wurde noch bebaut, ein kleiner Gemüsegarten und eine Ecke für Blumen. Die Lichtung wuchs von ihren Rändern her immer mehr zu. Die Kronen der alten Bäume gingen noch mehr in die Breite. Brombeeren und Himbeeren kolonisierten zuerst die aufgelassenen Gärten, dann kamen Schwarzdorn und Weißdorn, die Haselnuss, Birken und schließlich die hohen Bäume: Weiden, Robinien, Vogelkirschen und Eichen. Noch vor zwanzig Jahren waren hier Felder mit Tausenden von Tulpen, Narzissen und Gladiolen gewesen.

Den alten Fahrweg hinauf auf die mittlere Terrasse hatten sie auch zuwachsen lassen. Nicht einmal zu Fuß kam man mehr durch. Fremden sollte das Vordringen unmöglich gemacht werden, das war die Absicht des Vaters. Manfred fand noch den kleinen Abkürzungspfad von früher. Er war steil und rutschig. Oben angekommen kam er doch nicht mehr an die früheren Hühnerställe heran. Die sechs flachen Gebäude staken rundum in mannshohem Dornengebüsch, noch jetzt im Winter hätte man eine Machete benötigt. Die Ställe waren leer, die Türen verschlossen, die Fensterscheiben teilweise zerbrochen. Von weitem sah er, dass drinnen noch der alte Kot in mächtigen Schichten lag.

Noch einen Pfad weiter hinauf zwischen sehr alten Obstbaumruinen – die Anlage stammte vom Großvater -, dann die obere Terrasse, wo früher Erdbeeren und Kartoffeln gezogen wurden. Auch hier das gleiche Bild: nachwachsender mitteleuropäischer Urwald. Den Hintergrund bildete eine rötliche Felswand, schütter bebuscht und bewaldet. Er kämpfte sich weiter nach oben und kroch zwischen Apfelbäumen bergan, die noch Früchte trugen. Zahlreiche Vögel im Gelände ernährten sich jetzt im Winter von ihnen.

Endlich stand er oben. Die Wiesen waren sauber gehalten, das Land hier war seit Jahren verpachtet. Die Fernsicht öffnete sich, da waren das breite Tal und dahinter die alte Stadt mit der Pfarrkirche auf dem Hügel. Er sah hinunter auf die Terrassen mit ihren Ruinen und ihrem Wildwuchs. Es war ein Bild von Verfall und Fruchtbarkeit, von Ende und Anfang.

All das war ihm angeboten worden, als es noch in Blüte stand. Es war einige Jahre vor dem väterlichen Ruhestand. Sein Vater führte ihn nicht auf die Höhe, um etwa die Versuchung zu steigern – sie besprachen es in der Küche. Ob Manfred sein Nachfolger werden wolle? Der Sohn war perplex wie selten einmal und begriff eines: dass die eigene Existenz, dass Berufswahl, Freunde, Leben in der fernen Großstadt, dass all dies einfach nicht zählte gegenüber dem Lebenswerk des Vaters und dessen Willen, dieses Werk gegen den Ablauf der Zeit zu verteidigen. Unglücklicherweise besaß er nur diesen einen Sohn, der früh fortgegangen war, einen lächerlichen Beruf ergriffen hatte (Kunstgeschichte!) und noch immer nicht verheiratet war.

Manfred lobte die Sandgrube. Er wisse sie zu schätzen, ihre Schönheit, ihre Einmaligkeit. Das Angebot ehre ihn, sei nicht ohne Verlockung. Indessen: Er sei nicht der Rechte dafür. Später schien es ihm, von da an sei es mit dem Vater und der Sandgrube bergab gegangen.

Allerdings konnte man den Kräfteverfall auch anders erklären. Sein Vater war erschöpft. Er hatte mit vierzig Raubbau getrieben, die eigenen Kräfte überfordert. Er warf sich damals auf immer neue Zweige landwirtschaftlicher Produktion und verzettelte sich auch noch im Gartenbau. Die Rinder, das Weidevieh: Milch und Fleisch. Die Hühner: Eier und Fleisch. Die Feldfrüchte: Kartoffeln und Rüben. Nur den Getreideanbau gab er bald wieder auf. Und erst das Obst: Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, Erdbeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren. Dann noch die Schnittblumen: Tulpen, Narzissen, Gladiolen, Astern, Dahlien.

Die Milch nahm die Genossenschaft ab, die schlachtreifen Kühe der Metzger. Alles Übrige wurde selbst vermarktet. Eier an Hotels und Kurkliniken und Privatkunden. Kartoffeln an Privatkunden. Obst an die Privatkundschaft. Schnittblumen an Blumenläden und wieder an Privatleute. Der Verkauf war zum größeren Teil en détail und nur zum kleineren en gros.

Die Eltern ackerten und rackerten von halb fünf morgens bis zehn, elf Uhr abends, sieben Tage in der Woche: So ging das fast das ganze Jahr. Sie hatten keine Hilfskräfte, nur an Samstagen und manchmal auch sonntags kamen für Tagelohn italienische Bauarbeiter aus der weiteren Umgebung. Sie hießen Antonio, Renato oder Pasquale und übernahmen die schwersten Arbeiten wie den Wegebau. Es waren kräftige junge Männer, im Vergleich zu ihnen wirkte der Vater wie ein Phthisiker.

Manchmal kamen die Italiener, nicht um zu arbeiten, sondern um Hühner zu kaufen. Sie nahmen sie lebend mit und schlachteten sie zu Hause. Die Mutter fing die gewünschte Zahl in einem der Ställe und stopfte die Tiere in einen langen Papiersack; darin war Futtermehl für das Geflügel geliefert worden. Bei solchen Gelegenheiten brachten sie manchmal Cesare mit, Antonios Sohn oder Neffe. Er war ungefähr so alt wie Manfred. Manfred fand ihn freundlich und hübsch, wenn auch etwas zu gelassen für sein Alter. Er sprach fließend Deutsch und sprach es besser als die Einheimischen. Zum ersten Mal fiel es Manfred auf, dass sein eigenes Hochdeutsch für kundige Ohren einen Neben- oder Unterton aufweisen musste, einen Akzent ohne Zweifel. Da war etwas Erdiges und Klobiges an seiner Sprache. Man konnte reiner und flüssiger sprechen, Cesare bewies es. Manfred bemühte sich, es ihm gleichzutun. Es war schwer vorstellbar, dass Cesare in einigen Jahren auf dem Bau arbeiten würde wie sein Vater und seine Onkel. Und vollends undenkbar war es, dass er dann an den Wochenenden in der Sandgrube schuften würde. Seine Leute daheim fingen schon an, ihren hübschen kleinen Gott zu mästen. Er wurde ein wenig rundlich, wie ein süßer Panettone, von dem der Ansatz zur Fülle unter anderem vielleicht auch herrührte. Er kam nur zwei oder drei Sommer lang.

Und dann Karlheinz. Die Erinnerung an ihn, den Schulkameraden, hing offenbar mit Cesare zusammen. Ein Psychologe würde den Vorfall damals vielleicht eine Übersprunghandlung nennen. Aber es ging nur um ein Wort. Sie waren auf den Wiesen hinter dem Wäldchen unterwegs. Manfred fand, Karlheinz sei dick, und sagte es ihm. Es war halb Neckerei, halb Bewunderung. Er selbst kam bei allem Futtern nicht aus dem Zustand des Spindeldürren heraus. Die Großmutter hatte gesagt, als Besuch da war: Der? Der wird noch keine zwanzig.

Karlheinz fasste es übel auf, fiel ihn an, rang ihn nieder und lag dann auf ihm: Sag, dass ich nicht dick bin! – und drückte sein volles Gewicht gegen Manfred, der kaum Luft bekam zu widerrufen: Nein, du bist nicht dick. Es war eine Art Vergewaltigung, die ihr Ziel im Verbalen, Begrifflichen fand. Wäre ihm nicht der Atem ausgegangen, er würde dieses Eingeständnis gern ein wenig hinausgezögert haben.

Vor ein paar Jahren nun war er auf dieser Wiese hier oben Rudi begegnet, dem viel jüngeren Bruder von Karlheinz. Sie hatten sich seines Wissens vorher nie gesehen. Wer war der junge Mann mit dem dunklen Blick, der nicht grüßte und stumm und vorwurfsvoll an ihm vorüberging? Seine Miene schien sich dabei auf eine uralte Bekanntschaft zu beziehen. Die Mutter erklärte es Manfred nachher: Das sei der Bruder von Karlheinz, er sei doch jetzt ihr Pächter. Es war nicht angenehm, hier einem Menschen zu begegnen, der einem etwas an Wissen vorauszuhaben schien. Sein Blick deutete an, schon alles zu kennen, was Vergangenheit und Zukunft ihres Verhältnisses betraf. Manfred wollte ihm heute nicht erneut begegnen und trat den Rückweg an, den gleichen Weg, den er heraufgekommen war.

Die meisten Hühner wurden geschlachtet verkauft. Das Schlachten besorgte die Mutter, denn Manfreds Vater konnte kein Blut fließen sehen. (Wie konnte er dann am Krieg in Polen und Russland teilnehmen, vom Kriegsausbruch bis zu seiner Gefangennahme anno vierundvierzig? Die Lösung: Sie machten ihn zum Funker.) Und es war tatsächlich ein blutiges Geschäft, wovon Manfred sich damals überzeugte, wenn er aus seinem Zimmer auf den Vorplatz sah. Da stand die Mutter am Hackklotz und schwang das Beil, trennte zwanzig- bis dreißigmal an einem Vor- oder Nachmittag den Kopf vom Rumpf einer Henne. Blut schoss in starkem rotem Schwall heraus, und der Rumpf hüpfte und wackelte noch eine Zeitlang kopflos, doch flügelschlagend über die Richtstätte. Dieses Flügelschlagen war grausig, unheimlich. Nur unappetitlich und mühselig waren dagegen die nachfolgenden Arbeiten, auch von Mama besorgt, das Abbrühen, Rupfen und Ausnehmen. Ekelhaft das Gekröse – aber die Hühnerleber, die nicht verkauft wurde, schmeckte frisch gebraten vorzüglich. Zartes, butterweiches, leicht körniges Fleisch, ein wenig herb im Aroma.

Sie hatten beide mehr als genug zu tun, Manfreds Eltern, und wenig Zeit für ihn. Zum Glück gab es die Großeltern, deren einziger Enkel er war. Großvater war allerdings an der Familie wenig interessiert. Er las viel, er war fern wie Gott, wie der Gott Voltaires. Die Großmutter dagegen stand früh in Manfreds Bann, nicht umgekehrt, und blieb es bis in ihre letzten, trüben Jahre. Sie hielt ihn zum Lernen an: Lern was, du siehst, wie dein Vater sich quält, lern was, damit du es besser hast. – Sie übte Schönschreiben mit ihm. Im Ganzen bewegte sie sich ihm gegenüber in einem engen Zirkel von Bewundern, Zanken, Bewundern. Das war auf die Dauer lästig. Manfred zog sich daher immer wieder in die Sandgrube zurück, um schon nach kurzem erneut sein Quartier in der Villa am Bahnhof aufzuschlagen. Seine ganze Schulzeit über pendelte er zwischen den beiden Polen, den zwei so verschiedenen Haushalten in einem Takt, den er selbst bestimmte und der die feinsten atmosphärischen Störungen wiedergab. Er war in Grenzen frei, und die Frequenz seiner Besuche ähnelte den Linien und Kurven eines Elektrokardiogramms. Herz und Gefühl verursachten oft heftige Ausschläge, beruhigende Bindungen von Dauer ergaben sich nicht.

In großen Abständen kam dem Vater in den Sinn, Manfred zu ernsthafter Tätigkeit und Mitarbeit im Betrieb anzuhalten. Das waren nur Episoden, die folgenlos blieben. Sie waren jedoch peinlich genug, so lange die Sache andauerte.

Zum Unangenehmsten gehörte der komplette Umzug eines Hühnervolkes von einem Stall in einen anderen. Ursprünglich war der freie Auslauf der Hühner geplant gewesen und anfangs auch praktiziert worden. Dann jedoch schlugen Habichte, die unter Naturschutz standen, immer häufiger Hennen. Das Geflügel blieb daher ganzjährig im Stall, das hieß nun Bodenhaltung. Aus dunklen Gründen mussten von Zeit zu Zeit die Ställe gewechselt werden. Vielleicht wurden sie dann auch gereinigt. Der Hühnertransport ging so vor sich: Nach Einbruch der Dunkelheit betraten die Eltern mit Manfred den Stall. Die Hennen schliefen schon auf Reihen von hölzernen Stangen über der Kotbank, einer Betonplatte in Kniehöhe. Einer, gewöhnlich Manfred, hatte mit der Taschenlampe zu leuchten. Die Mutter hielt einen leinenen Kartoffelsack auf und der Vater ergriff nach und nach fünfzehn oder zwanzig schlafende Tiere, um sie in den Sack zu stopfen und ihn zuzubinden, worauf die nächsten zwanzig Säcke auf die gleiche Weise gefüllt wurden. Die Säcke wurden mit dem Unimog zum neuen Stall gefahren und ihr Inhalt dort einfach auf dem Stallboden ausgeleert.

Peinlich wurde die Sache, wenn der Vater an den Zehen der immer nur im feuchten, verdreckten Stall lebenden Tiere jene steinharten, schwarzen Gebilde entdeckte, die er Kotballen nannte. Um sie zu entfernen, knackte er sie mit einer Zange, während die Mutter Tier und Lampe und Manfred den Sack halten musste. Die Prozedur erschreckte die Tiere, sie belebten sich, krächzten, flatterten und hackten mit den Schnäbeln nach den Händen der Menschen. Mit ihnen belebten sich auch die Milben, von denen es bei dieser Art von Haltung auf den Tieren und überhaupt im Stall wimmelte. Sie befielen jetzt die Menschen als neue Wirte, es begann sogleich zu jucken. All das war widerwärtig, ekelhaft und verstörend. Manfred ließ dann schon einmal einen Sack zu Boden gleiten, um die Hände vor einem hackenden Schnabel zu schützen, und ein Teil der Tiere im Sack entfloh. Der Vater war mit Manfred sehr unzufrieden. Es waren dann harte Worte gefallen, an die er sich jetzt nicht erinnern wollte.

Er war auf der untersten Terrasse angelangt und näherte sich dem Haus. Es lag, nun besonnt, sehr schön da im fahlen Winterwald, sozusagen höchst romantisch. Dieser Charakter des Ortes hatte sich ihm erst spät enthüllt. Dabei war er von jeher für Reize der Natur empfänglich, schon als Kind. Damals besaß er ein Buch mit Reproduktionen berühmter Bilder. Es hieß: Hundert Meisterwerke der Malerei. Besonders liebte er eine Landschaft von Wolf Huber, ein Musterbeispiel der Donauschule. Die betreffende Stelle im Buch schlug er immer wieder auf und versenkte sich in die Ansicht, die sich kaum vom bewaldeten Steilhang hinter ihrem Haus unterschied. Aber er verglich damals nicht. Überall sonst musste es besser, schöner, herrlicher sein als daheim.

Es gab auch einen Führer durch den Louvre. Gott allein mochte wissen, wie er in den Besitz des Großvaters gelangt war. Es war nur ein Taschenbuch mit dürftigen Abbildungen, unter denen die Wiedergabe eines Werkes von Charles Le Brun Manfred am stärksten anzog. Dargestellt war der Kanzler Séguier. Der junge Sonnenkönig, dem der Kanzler damals zur Seite stand, konnte nicht mehr Glanz verbreitet und Pracht entfaltet haben als dieser Staatsmann in den besten Jahren, ein nicht unschöner Mann mit schwarzem Hut und schwarzem Haar (oder war es eine Perücke?), ein Mann von würdigem und doch irgendwie tückischem Gebaren. Dieser Prachtmensch oder –kerl saß, angetan mit goldbrokatnem Mantel, auf einem Schimmel, über den eine rote Riesenprunkdecke gebreitet war. Pagen beschirmten den Kanzler von rechts und von links, sie waren im Überfluss vorhanden: Sieben oder acht von ihnen umtänzelten das Pferd. Es gab nicht viel für sie zu tun: das Zaumzeug halten, die beiden schwarzen Schirme mit den ebenfalls goldbrokatnen Fransen gegen das dunkle Gewölk des Himmels halten … Sie hielten sich bereit, Befehle jeder Art entgegenzunehmen, und boten bis dahin dem Kanzler, ihrem Herrn, einen erfreulichen Anblick, goldlockig, kurz berockt und eng bestrumpft, wie sie nun einmal waren.

Demgegenüber fiel das eigene Familienleben natürlich stark ab. Ohnehin verbrachte man wenig Mußezeit miteinander, zumindest im Elternhaus war es so. Immerhin, einige Male spielte der Vater mit ihm Schach. Manfred war mit acht oder neun zu jung und viel zu ungeduldig und verlor das Spiel jeweils schnell. Sie tranken einmal bei dieser Gelegenheit Glühwein. Manfred, erbost nach verlorener Partie und beschwipst, schüttete in einem sonderbaren Anfall dem Vater den Rest des heißen roten Getränkes in den Hemdausschnitt, woraufhin nie mehr Schach gespielt wurde.

Das Mittagessen verlief heute ebenso bedrückend wie das Frühstück. Der Vater, schweigend und verstimmt, aß fast nichts von seinem Einerlei. Manfred bekam die außerplanmäßigen Produkte der mütterlichen Kochkunst serviert. Daran hatte sie den ganzen Vormittag gearbeitet. Er hätte sich währenddessen nicht mit ihr unterhalten können, denn sie musste sich auf diese schwierig gewordene Arbeit konzentrieren. Nun war sie erschöpft und gleichwohl aufgekratzt und fragte mit künstlicher Munterkeit: „Kann man es essen?“

Bei ihrem Gespräch stellte sich heraus, dass die Eltern, wenn sie nicht mit dem Golf zum Einkaufen in die Stadt fuhren, die unterste Terrasse nicht mehr verließen. Sie hatten seit Jahren die Wiesen über der Sandgrube nicht mehr gesehen, sie waren nie mehr zu Fuß auf dem eigenen Grund unterwegs.

Manfred half wie üblich beim Abwasch. Der Vater lag auf dem Küchensofa und schlief jetzt ohne Zweifel fest. Diese Gelegenheit nutzte die Mutter und beklagte sich flüsternd: Jeder sehe doch, wie es um ihn stehe - er bringe sich selbst um. Und was solle dann aus ihr werden? Sie könne nicht allein leben. Und alles sei jetzt schon so schwer. Er lasse keine Reparaturen am Haus mehr zu, er dulde keine fremden Leute, keine Handwerker, und ihr seien die Hände gebunden. Wohin solle das noch führen? Natürlich könnten sie hier in der Einöde nicht bleiben, doch wenn sie davon nur anfange, drohe er mit dem Altersheim, und das sei nichts für sie.

So sprach die Stimme der Vernunft. Er wollte ihr nicht flüsternd Recht geben und schwieg. Dann sah er auf den Schlafenden. Der Anblick, wie da Geist und Fleisch verfielen, berührte ihn tief, aber es war kein Mitleid, eher Abscheu. Manfred ging in sich: Kam der Widerwille vielleicht daher, dass er selbst Fleisch von diesem Fleisch war? Dafür sprach das unheimlich Anmutende, das Unheimliche war ja das Vertraute, das nun Schrecken erregte. Biologisch verbunden sein (und sei’s auch nur durch einen Akt in der Vergangenheit) und nicht eingreifen können, den Verfall nicht aufhalten können: Das war Grauen erregend, nicht weniger als jene kopflosen, mit den Flügeln schlagenden Hennen, aus denen das rote Blut spritzte. Und er hatte ihm einmal warmen roten Wein über die Brust gegossen …

Er war ohne Mitleid und war ihm doch innerlich näher als früher. Er war kein Gymnasiast mehr und konnte den Familienroman der Neurotiker nicht einfach wie damals weiterspinnen und sich andere passendere Eltern erfinden. Auch die Vaterschaft war gewiss, die mentale Verwandtschaft war zu groß für den geringsten Zweifel. In der Bockigkeit des Alten fand er sie wieder. Still sein, geschehen lassen, sich verweigern in einer Zeit rasenden Fortschritts, in der alles forderte: Sei flexibel! Sei spontan! Lerne lebenslang! Für solche Töne (und für viele andere) hatte er früher, in seinen besseren Jahren, nur ein skeptisch-ironisches Lächeln übrig gehabt. In der Erinnerung daran entdeckte Manfred ein Stück von sich selbst. Es war Proust, der bemerkt hatte, von einem gewissen Alter an fänden wir alle unsere Vorfahren in uns selbst wieder. Das war richtig, und ging er sich auf den Grund, so fand Manfred dort viel mehr vom Vater als von der Mutter.

Sie verbrachten den Nachmittag im Wohnzimmer, der Vater auf dem Sofa ruhend, Manfred und die Mutter in den Sesseln gegenüber. Die Vernunft erhob ihre dünne Stimme: Es müsse etwas geschehen, sagte die Mutter in elegischem Ton. Manfred fiel kräftig ein, er hatte sich nun doch zum Intervenieren entschlossen. Sie hackten beide auf ihm herum, klagte der Vater. Alles gehe doch ruhig seinen Gang, und den störten sie jetzt, statt zufrieden zu sein.

Manfred malte ihm dieses und jenes aus: Schlaganfall, Oberschenkelhalsbruch, die Mutter als Pflegerin ausgefallen, kein Auto mehr da, Hilflosigkeit höchsten Grades – was dann? - Dann werde alles wie üblich und wie vorgesehen geregelt. Er sei auch mit der bescheidensten Ecke in einem Heim zufrieden. Er könne sich fügen.

Sie lachte: er, der Schwierige, Unverträgliche, mit seinen Marotten! Unerträglich für Fremde sei schon sein dauerndes, heftiges Aufstoßen. Er belebte sich auffallend, richtete sich auf, saß dann mit aufgestützten Ellenbogen auf dem Sofa, argumentierte, wirkte mit einemmal zehn Jahre jünger.

Manfred rechnete ihm vor, dass das Vermögen ansehnlich sei und Zinsen und Rente für den laufenden Verbrauch ausreichten, theoretisch. Und für besondere Bedürfnisse könne man natürlich auch das Kapital angreifen. Nur sei ihr Vermögen unproduktiv angelegt, es verschlinge mehr, als es erbringe. Alles müsse verkauft und neu angelegt werden. Und sie bräuchten eine Wohnung fürs Alter oder ein kleines Haus, nahe an den Geschäften, nicht weit zum Arzt, zur Apotheke. Zwei Jahre müsse man veranschlagen, wenn man die Sachen ändern wolle. Es sei keine Zeit mehr zu verlieren.

Sie redeten zu dritt miteinander, zwei Stunden lang. Die Situation war ungewohnt. Jahrzehnte waren vergangen, ohne dass sie sich ausgesprochen hätten. Da gab der Vater nach. Er werde bei der Stadt anfragen, ob die Kommune Interesse an der Sandgrube habe. Er könne auch der Bank anbieten, den Verkauf zu vermitteln. Er wolle sich mit der Mutter die Eigentumswohnungen drinnen in der Stadt ansehen. Er werde … er könne … er wolle … Sie genossen alle drei das Gefühl, etwas Entscheidendes sei geschehen.

Manfreds Abreise, sein Aufbruch vom Elternhaus zwei Tage später, verlief zeremoniös wie immer.

Selbstredend blieb danach alles beim Alten. Die Mutter schrieb Manfred einige Wochen später einen Brief und teilte ihm kurz mit, sie sei sich mit dem Vater einig, in der Sandgrube zu bleiben. Damit sei auch der Plan mit dem Altenheim vom Tisch. Manfred fühlte sich genarrt, doch kam er bald darüber hinweg. Der Vater schrieb ihm nie.

Die Erdbeerzeit war die einzige im Jahr, in der der Vater noch Obst aß. Sie besaßen davon einige Beete neben dem Haus. Immer schon hatte er es abgelehnt, gekauftes Obst zu essen. Südfrüchte waren verpönt gewesen. Mochte früher die Großmutter Bananen und Apfelsinen für Manfred besorgt haben, er hatte sich nur an die eigenen Produkte gehalten. Da Äpfel und Birnen sich zuletzt als unbekömmlich herausgestellt hatten, blieben ihm nur noch die Erdbeeren. Die Mutter sorgte dafür, dass er während der kurzen Saison täglich eine große Portion verspeiste.

In jenem Jahr schmeckten sie ihm womöglich noch besser als früher. Sie schlug nach der eigenen Ernte vor, Erdbeeren im Supermarkt zu holen. Er war einverstanden, es wäre früher undenkbar gewesen. Nach den Erdbeeren wollte er weiter Obst essen, sie kaufte Aprikosen, Nektarinen, Pfirsiche und was der Markt sonst bot. Er entwickelte eine wahre Gier nach süßen Früchten. Dabei klagte er immer, sie seien ihm zu sauer. Er streute Zucker sogar über die Aprikosen.

Diese Obstkur endete im Spätsommer mit anhaltenden Durchfällen. Er magerte noch mehr ab und verfiel zusehends. An einem Mittwoch im September stürzte er mittags in der Küche zu Boden und prellte sich dabei den Kopf. Vielleicht war es ein leichter Schlaganfall. Sie schaffte ihn ins Bett und ließ endlich einen Arzt kommen. Ohne Widerstand zu leisten, ließ er sich ins Krankenhaus bringen. Die Sprache, die Sinne, der Verstand, alles funktionierte noch leidlich. Der einweisende Arzt sagte, sie müssten den Ausgezehrten dort erst wieder aufpäppeln.

In der ersten Nacht auf der Station stand er auf – niemand erfuhr, warum – und stürzte mit dem Kopf gegen das Metallgitter des Bettes. Man fand ihn mit schwerem Schädelhirntrauma. Sie verlegten ihn sofort auf die Intensivstation, wo er drei Tage und vier Nächte bewusstlos dem Tod entgegentrieb. Am Sonntagmorgen erlosch der Rest seiner Existenz.

Als Manfred nach einem Monat in der Schweiz nach Hamburg zurückkam, fand er den Brief seiner Mutter, die Nachricht vom Tod des Vaters. Die Leiche war schon eingeäschert, nur die Urne noch nicht beigesetzt, wie er erst später erfahren sollte. Es verhielt sich damit folgendermaßen: Die Eltern waren vor Jahren auf dem Rathaus gewesen, sie hatten sich für ein anonymes Grab entschieden und dies amtlich registrieren lassen. Du hast dann nicht die Arbeit mit dem Grab, sagten sie ihm. Und: Einen Gärtner? Das würde dich auch noch mal Geld kosten. Es war beider Wille, und er akzeptierte es.

Erst nach Monaten sah er Verlauf und Stand der Sache klar vor sich: Die Urne war entgegen früherer Annahme bei seiner Rückkehr noch nicht beigesetzt; Einäscherung und Bestattung waren ohne jede Feier erfolgt; seine Mutter war beidem fern geblieben; wo genau das anonyme Gräberfeld auf dem Friedhof war, wusste sie nicht; sie hatte den Friedhof nach dem Tod noch nicht betreten.

Einmal zeigte sie ihm die Rechnung des Bestatters, mit der angeblich etwas nicht stimmte. Daraus ergab sich auch das Datum der Beisetzung: Ende Oktober. Monate später hieß es am Telefon, die Nichte habe ihr angeboten, sie einmal zum Friedhof zu bringen. Sie habe sie allein fahren und dort, am Rand der Rasenfläche, ihre Kerze anzünden lassen. Sie selbst brauche nicht zum Friedhof zu fahren, um dem Toten nahe zu sein. Nur die Schwägerin sei immer noch verstimmt, wie sie gehört habe: Wie habe man ihn bloß so elend verscharren können. Verscharrt!


Einstell-Datum: 2017-04-11

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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